laut.de-Kritik
Weit weg vom alten Straßensänger-Image.
Review von Vicky ButscherNach der durchschnittlichen ersten Single "Flip A Coin" ist der Beginn des neuen Kelly Family-Albums "Homerun" eine durchaus positive Überraschung. "I'll Be There" klingt sehr viel erwachsener, als man es von den Kellys erwartet hätte. Ein zurückhaltender Song, der die Stimmen zu Klavier- und Schlaginstrumenten voll klingen lässt. Aufs Nötigste reduziert entfernen sie sich damit weitest möglich von ihrem Straßensänger-Image.
Der Opener weist den Weg, den der erste mit "Home" betitelte Teil des Doppelalbums gehen soll. Die Arrangements sind ausgefeilter, die Songs durchdacht und erwachsen. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kelly Family vor allem billige Gassenhauer-Strukturen verarbeitete. Es tut den Kellys offenbar gut, dass sie nicht mehr im Clan zusammen wohnen und sich sowohl menschlich als auch musikalisch (solo) weiter entwickeln. Die Songs auf "Home" sind eine entspannende Wohltat, die so gar nichts mehr mit der plakativen "Wir spielen irgendwie alle jedes Instrument, und das darf man auch hören"-Philosophie zu tun haben, die die reisende Familie einst vereinte.
Solche Untugenden haben die verbliebenen Mitglieder wohl zusammen mit ihrer langen Haarpracht abgelegt. Gott sei Dank. Statt dessen finden sich nun Jazz- und Folk-Elemente in ihren klassischen, schlichten Popsongs. Die ruhige, ausgefeilte Rhythmussektion bildet da nur noch das Sahnetüpfelchen. Damit bewegen sie sich langsam in die Gefilde, die sonst Künstler wie Norah Jones bearbeiten.
Diese Entwicklung ist nur zu unterstützen. Auf "Don't Always Want" überrascht den Hörer sogar ein Oldschool-Rap, der wider Erwarten wirklich nicht peinlich ist. Etwas komisch mutet es an, wenn darauf eine Intermission, ein kurzer Auszug aus einer Rede Mutter Theresas folgt. Damit verhält es sich wie mit den Texten der Family: Sie versuchen die Hörer von ihrer Weltansicht zu überzeugen, kriegen das mit der Verpackung aber nicht allzu gut hin, was das folgende "Carry My Soul" sofort beweist.
Wieso bloß haben sie sich nicht schon viel eher in diese Richtung bewegt, wenn jahrelang solch ein Talent zum erwachsenen Songwriting in ihnen schlummerte, fragt man sich, während man zur zweiten CD wechselt. Mit "Run" stellt sich dann zwar nicht die große Enttäuschung, wohl aber eine gewisse Ernüchterung ein. Da ist er wieder, der typische Hang der Kellys zum europäisierten, angerockten Gospel-Verschnitt. Zwar geraten auch hier die Songstrukturen lange nicht mehr so platt, wie auf früheren Alben. Doch mit dem, was die Kellys auf der ersten CD vorgelegt haben, kann der zweite Teil nicht mehr mithalten.
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