laut.de-Kritik
Künstlerische Selbstsuche zwischen Unsicherheit und Kalkül.
Review von Anthony CerezoErst vor Kurzem gelang The Kid Laroi der kommerzielle Durchbruch. Im Jahr 2018 war er noch ein aufstrebender australischer Künstler, der als Vor-Act bei der Juice WRLD Tour auftrat. Zwei Jahre später brachten Songs wie "Stay" mit Justin Bieber, "Without You" oder "Go" ihn an die Spitze der Pop-Welt. Mit jugendlicher Stimme singt er über Herzschmerz und Liebe, während er zwischen energiegeladenem Pop, Emo-Trap-Elementen und akustischen Balladen balanciert. Auf seinem Debütalbum "The First Time" erweitert er diese vertraute Formel und schafft ein Hörerlebnis, das das Leid des jungen Erwachsenen förmlich spürbar macht. Dennoch verliert er sich in vielen Tracks entweder in undurchsichtige Gefühlsduseleien oder in musikindustrielle Kalkulationen.
Der rasche und überwältigende Aufstieg zum Erfolg bringt den jungen Kid Laroi in eine ungewohnte Position. Als Kind bewunderte er die großen Stars der Hip Hop-Szene und konnte sich kaum vorstellen, wie sich das Leben als unantastbarer, prominenter Musiker anfühlen würde. Jetzt, da er sich in derselben Lage befindet, erkennt er, dass sich nicht automatisch alles zum Besseren verändert. Im Schein des Rampenlichts durchlebt er weiterhin die jugendlichen Gefühle und Herausforderungen. Leid und Kummer gehören auch dazu, und der Reichtum hat ebenso seine Schattenseiten.
Im Eröffnungstrack "Sorry" thematisiert er letztere über eine sample-lastige Produktion. Hier betrachtet er seinen Erfolg noch mit Ungläubigkeit, reflektiert die Opfer, die er dafür bringen musste, und beschreibt den Druck und die Angst, die ihm die Berühmtheit bereitet. Dabei kratzt er immer noch an seiner Jugend, ist überfordert im Umgang mit seinem ganzen Geld, trifft unkluge Entscheidungen und vernachlässigt Dinge, die ein normaler 20-Jähriger eigentlich durchleben sollte. Direkt zu Beginn zeigt Kid Laroi persönliche Einblicke in sein Leben, wobei Unsicherheit und Unerfahrenheit deutlich in seinen Worten mitschwingen.
Der überwiegende Teil des Albums von Kid Laroi ist seinen gescheiterten Liebesbeziehungen gewidmet. Dabei strahlt er stets eine toxische Mischung aus Hass und Liebe sowie jugendliche Sensibilität aus. Auf der melancholisch-akustischen Ballade "Bleed" gibt er seinem Herzschmerz einfühlsam Ausdruck und erzeugt in den tieferen vokalen Passagen beinahe einen ungeschliffenen Post Malone-ähnlichen Klang. In leidender Weise drückt er sein Unverständnis darüber aus, wie seine Ex nach der Trennung scheinbar mühelos weitermachen konnte.
In der schwungvollen Trap-Produktion "I Thought I Needed You" wandelt sich die anfängliche Einfühlsamkeit in weinerliche Verzweiflung. Andererseits präsentiert sich Kid Laroi in "Where Do You Sleep" von seiner rachsüchtigen und zornigen Seite, während er sich fragt, wo seine Ex jetzt ohne seine Präsenz verweilt. Mit "Too Much" leitet Kid Laroi eine von vielen unspektakulären und generischen Pop-Rap-Liebesschnulzen ein. In Zusammenarbeit mit BTS-Mitglied Jung Kook und dem britischen MC Central Cee bleibt er in einem sicheren, kommerziell vermarktbaren Rahmen. Bei "You", "Love Again" und "Deserve You" setzt er diese Richtung im Solo-Act fort, wobei er die ursprünglich bullige Intensität seiner Liebesrache etwas eindämpft.
Kid Laroi gibt sich jedoch nicht mit eintönigem Pop zufrieden und will vieles. Aus diesem Grund verzichtet er auf die wuchtigen Bässe in einigen Liedern und lässt seine klägliche Stimme auf melancholischen Akustik-Ausflügen erklingen. Das Klavierstück "Call Me Instead" behandelt eine zu Brüche gehende Beziehung, die er gemeinsam mit dem unverständlichen und ohrenschmerzenden Youngboy Never Broke Again besingt. Auf "The Line" übernimmt ein Gitarrensolo den musikalischen Part, während Kid Laroi vokal zurückhaltend über das Hinwegkommen einer Grenzen überschreitenden Beziehung murmelt. Die Piano-Ballade "Where Does Your Spirit Go?" beleuchtet ein schmerzlicheres und naheliegenderes Thema: die Erfahrung mit dem Tod eines nahestehenden Menschen, ursprünglich für seinen verstorbenen Freund Juice WRLD geschrieben.
In deutlichem Gegensatz zu seinen akustischen Gesangsnummern zeigt sich Kid Laroi auch als junger Mann, der gerne einen Schluck aus dem Doublecup nimmt und Blunts verköstigt. Da er das vollständige Rapper-Image verkörpert, scheint er reichlich Zeit mit seinen Vorbildern Future und Babydrill verbracht zu haben, die ihn auf dem Song "What Just Happened" dazu verleiten, seinen Schmerz mit jeglichen Substanzen zu betäuben :"Spent a week, pourin' up, it's a whole lotta pain in the cup / Sippin' slow, keep my pain on the tuck, you had me really believin' in love". Auch in "What Went Wrong???" hilft ihm der ungezügelte Konsum dabei, eine Trennung zu verarbeiten.
Obwohl Kid Laroi sich nebenberuflich dem Rapperdasein verschrieben hat, erstrahlt sein wahres Talent im Singen, wobei er selbst bei den raplastigen Tracks mit einer melodiösen, schwingenden Stimme auftritt. Auf dem Album versammelt er namhafte Produzenten aus der Hip-Hop-Szene, die ihm bei den raplastigen Stücken den nötigen kreativen Freiraum verschaffen. Namen wie BNYX, der für Größen wie Drake, Travis Scott und Yeat arbeitete, sowie Clams Casino, berühmt für seine atmosphärischen und verträumten Produktionen, unter anderem für A$AP Rocky, bereichern das durchwachsene Album auf ihre eigene Art.
Kid Laroi demonstriert eindeutig seinen Wunsch, nicht in einem festen Genre eingeordnet zu werden. Daher erkundet er kühn verschiedene Stile und verleiht jedem Stil zumindest einen Hauch von Leben. Kid Laroi ist ruhelos und präsentiert dadurch zahlreiche weniger ausgereifte Tracks. Die Unsicherheit erstreckt sich jedoch nicht nur über sein musikalisches Slalom, sondern spiegelt sich auch in seiner Lyrik wider.
Vieles dreht sich lediglich um Momentaufnahmen aus dem Leben eines emotional aufgeladenen Teenagers. Kid Laroi ist kein kunstvoller Lyriker, er verziert nur spärlich und greift so gut wie nie zum Storytelling. Die Ausnahmen bilden das Eingangslied und das Outro "Kids Are Growing Up", in denen er nicht nur erstmals echte Rappassagen präsentiert, sondern auch wohl am meisten über sein eigenes Leben enthüllt. Am Schluss bleibt der Eindruck, dass sowohl das Album als auch Kid Laroi irgendwie alles sein möchten. Ein jüngerer Post Malone mit einer rauen, verklüfteten Kante, Stimmhöhen à la Justin Bieber außer Kontrolle, und der Einsatz sowie Rhythmus von Juice WRLD – alles in einem, allerdings noch in einem unreifen Stadium.
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