laut.de-Kritik
Sie können auch irdisch.
Review von Rinko HeidrichAuf geht's: The Mars Volta verteilen wieder Tickets für den nächsten Weltraumflug in ihrem ganz eigenen Kosmos. Cedric Bixler-Zavala und Omar Alfredo Rodriguez-Lopez vermittelten nie den Eindruck, dass sie wirklich von diesem Planeten stammen - eine ominöse Karte, die dem neuen Album "Lucro Sucio; Los Ojos Del Vacio" beiliegt, verstärkt diesen exzentrischen Eindruck nur. Eine beige, auf den ersten Blick profane Map und doch begaben sich die treuen Fans bereits früh auf die Suche nach der wahren Bedeutung.
Die Auflösung verkündete Clouds Hill-Chef Johannes Scheerer persönlich: Es handelt sich um eine Abbildung der nördlichen Hemisphäre, die man mit den Händen erkunden solle. Ja, ein mehrschichtiges Design passt auch zu dem Soundgebilde von The Mars Volta und wer das Rabbit Hole um dieses Rätsel weiter gehen möchte, darf gerne die Cygnus-Sternenkonstellation am 11. April 2025 noch genauer beobachten. Oder die überdeutliche Thematik-Verbindung zu dem 2005er-Album "Frances The Mute" und natürlich dem 13-minütigen Prog-Monster "Cygnus...Vismund Cygnus".
Die Band agiert seit der Reunion 2022 deutlicher ruhiger als noch in den Nullerjahren, wenn auch nicht weniger komplex. Die abrupten Stilwechsel der frühen Alben, in denen man die Hardcore-Wurzeln der Band erahnen konnte, verschwinden immer mehr in einem übergeordneten Jazz-Psychedlic-Vibe. So auch auf "Lucro Sucio; Los Ojos Del Vacio", das den karibischen Sommer-Flair des letzten Albums einfach übernimmt und damit mal wieder die E-Gitarren - bis auf den Bass - weitestgehend außen vor lässt.
Das sind Neuigkeiten, die gerade Fans der ersten Alben nicht so gerne hören, aber The Mars Volta gaben nie besonders viel auf Erwartungen. So wundert es auch nicht, dass sie in diesem Jahr als Deftones-Vorband einer verdutzten Menge ihr bis dato gar nicht veröffentlichtes Album komplett vorspielten. Statt eines satten Pfunds wie noch zu "Frances The Mute"-Zeiten bekamen sie wahrscheinlich eine komplett eigenständige Live-Version von "Lucro Sucio; Los Ojos Del Vacio". Diese Band bleibt nie stehen und verändert ihre Alben noch auf der Bühne im Impro-Style. "Fin" und "Reina Tormata" bieten einen ruhigen Einstieg, bis in "Enzalan Las Tienablas" das Fieberthermometer doch wieder rasch nach oben schnellt. Ein hitzig-nervöser Song.
Die Überforderung und das Einarbeiten macht sicherlich auch etwas den Reiz dieser Band aus, aber wenn ein Song wie "The Iron Rose" dann auch einfach mal mit normaler Songstruktur und ohne Verschachtelung in drei Unterakte auskommt, macht es halt auch Spaß. The Mars Volta können auch irdisch, wenn sie mal Lust darauf verspüren. Und doch weiß man schon allein beim Anblick des Artworks, dass sie nie nicht so ganz von dieser Welt sind. "If you have watched me mid-eclipse / Then you should know that it's not safe inside my mind". Die kosmischen Lyrik-Analogien passen zu einem Weltall-Sound, der etwas an die Space-Prog-Phase von Genesis oder Rush erinnert. Wo diese aber auch gerne mal in streberigen Kunststudenten-Sphären unterwegs waren, gibt es bei The Mars Volta dieses sinnliche Element wie in "Posseora De Mi Sombra".
Dieser leichte, trippige Song zwingt den Hörer nicht zu einem Verständnis für vertrackte Rhythmen, die Herausforderung liegt nun beim Hörer selbst, der mal alle Ablenkungen beiseite lässt und somit die Sogwirkung des Songs zu Entfaltung kommen lässt. Nicht wenige Volta-Songs zielten manchmal zu sehr auf den Effekt ab, inzwischen aber wirkt es fast so, als hätten die beiden (Ex-) Exzentriker verstanden, dass sie nicht alles mit voller Kraft ausprobieren müssen, was Omar unter seine Finger gerät.
Der Mann hat auf unzähligen Solo-Alben und Nebenprojekten so ziemlich alles ausprobiert und besitzt jetzt genug Erfahrung, wie er seine komplexen Songs zu einer atmosphärischen Verdichtung führt. Die Seele, die Stimmung steht im Vordergrund, nicht mehr die atemberaubende Technik. Großartige Musiker bleiben The Mars Volta natürlich immer noch, allein wenn man die kompletten Album-Credits sieht, in denen mit Eva Gardner wohl eine der besten Bass-Spielerinnen überhaupt auftaucht und anscheinend war auch Band-Kumpel John Frusciante irgendwie beteiligt. Vielleicht ja im Mittelteil von "Un Diaspora Al Vacio", wo ein Gitarrenriff herein prescht und dem von wahrscheinlich vielen schmerzlich vermissten Instrument mal ein langes Outro als Entschädigung gönnt.
"Lucro Sucio; Los Ojos Del Vacio" ist kein Album für Freunde der Eskalation, wahrscheinlich darf man sogar teilweise von Dad-Prog murmeln, weil gerade zum Ende hin der Autopilot ein wenig behäbig davon schwebt. Alles wirkt schwerelos, obwohl die vielschichtige Storyline, im Refrain von "Lucro Sucio" rückwärts vorgetragen, die nächste Ebene wäre, die man erarbeiten könnte und die das Gesamtkunstwerk endgültig transzendiert.
Am Ende beobachtet man unseren brutalen Planeten schon selbst aus der Sicht eines Astronauten. Weit weg, ohne Sorgen und dem ganzen Menschen-Blödsinn. Der kürzlich verstorbene Max Romeo bekämpfte in dem Reggae-Klassiker "Chase The Devil" noch den Teufel persönlich, wollte ihn in der legendären Zeile "I'm gonna send him to outer space to find another race" gar ins All befördern. Mars Volta, das zeigte auch die Band-Doku "If This Ever Gets Weird", sind lange genug durch die Hölle gegangen, um noch weiter hier auf Erden zu bleiben. Space is the place, das weiß mittlerweile sogar Katy Perry.
2 Kommentare
Einerseits weniger wuchtig und böse als noch ein oder zwei Tracks von Vorgänger. Und andererseits sehr viel weirder. So sehr ich mir eine Rückkehr zu "Frances" oder "Amputechture" wünsche - eigentlicher Markenkern der Band war es immer, mit jeder Platte etwas sehr Anderes zu machen.
Hält jedenfalls - trotz kleinerer Ausfälle - sehr viel mehr die Spannung und Aufmerksamkeit als die Selbstbetitelte. Macht mehr Vorfreude, das noch ein paar mal durchlaufen zu lassen. 4/5 gehen erst mal klar.
Vor Ewigkeiten vorbestellt, wo ist mein Album???
Wirklich ganz schön weird, vor allem die erste Hälfte. Das werden noch interessante Hördurchgänge.