laut.de-Kritik
Eine Nahtod-Erfahrung als Lebenselixier.
Review von Henrike MöllerEs gibt in der Regel zwei Sorten von Albumtiteln: Solche, die bewusst schwachsinnig und nichtssagend sind und solche, deren Zweck darin besteht, eine repräsentative Aussage über Stimmung, Inhalt oder Klang der Platte zu geben. Letzteres könnte im Fall des neuen Raveonettes-Longplayers bedeuten, dass wir es mit sonnigen, unbeschwerten Beach-Songs zu tun haben; schließlich ist "Pe'ahi" der Name eines Strands auf der Insel Maui.
Das dänische Duo präsentiert sich auf dem Album zwar tatsächlich poppiger und ausgelassener, "Pe'ahi" ist dennoch kein Easy Listening. Die metaphorische Bedeutung des Titels ist nämlich eine ganz andere, sie verweist auf eine Nahtod-Erfahrung Sune Rose Wagners, der vor ein paar Jahren an eben jenem Strand beinahe ertrunken wäre. "Pe'ahi" steht also für eine immerwährende, omnipräsente Gefahr, für ein Bewusstsein, dass sich von einer Sekunde auf die andere alles ändern kann. Bedrückend findet Wagner diese Tatsache aber ganz und gar nicht, er hält sie viel mehr für etwas Überlebenswichtiges: "It's about taking risks in order to exist".
Risikobereitschaft in experimenteller Hinsicht beweisen The Raveonettes 2014 auf jeden Fall nicht zu knapp. Wenn bis zum Bersten verstärkte Distortion-Gitarren auf liebliches Glockenspiel und zarte Harfenklänge losgelassen werden, ist das schon ein krasses Ding. Genau das passiert im Track "Sisters", der mühelos zwischen melodiösen, schwelgerischen Parts und voller Noise-Dröhnung changiert. Dass diese Symbiose funktioniert, ist kaum zu fassen.
Nicht minder Gegensätzliches verschmilzt das Duo im erstklassigen Opener "Endless Sleeper": Der Song beginnt unruhig und dröhnend, als wäre man auf einer Hetzjagd durch ein unterirdisches Labyrinth. Immer wieder erzeugen die übersteuerten Gitarrenwände schreiähnliche Geräusche. Auch der Hall auf Sharin Foos Stimme erweckt den Eindruck, die bedrohlich wirkende "Szene" spiele sich in einer Keller-ähnlichen Kulisse ab. Doch dann wird der Sound immer weicher, bis auf einmal ein traumtänzerisches Klavier den Abspann einleitet.
Sequentielle Abarbeitung ist die eine Variante, direkte Kontrastvermischung die andere. In "A Hell Below" werden von Anfang an sowohl Dream-Pop- als auch Noise-Rock-Tasten bis zum Anschlag durchgedrückt. "Summer Ends" hingegen setzt auf ein Konglomerat aus Garage und Indie. Während der Refrain einen Hauch zu klebrig geraten ist, gewinnt der Song hinten raus dafür ordentlich an Fahrt. Mit aggressiver, herablassender Stimme schmettert Sharin Foo die Zeile "I hate your guts, why don't you just die?". Das sitzt.
Am härtesten gerät der Track "Kill!", der schon fast The Prodigy-Züge annehmen würde, mischten sich unter die klangliche Anarchie nicht immer wieder subtil eingeflochtene, liebliche Momente. Bei näherer Betrachtung überwiegen auf "Pe'ahi" die weniger ekstatischen Nummern. Doch nur weil sich das Flirren von übersteuerten Verstärkern in Grenzen hält, ist der Sound dieser Songs noch längst nicht klar. Das beruhigende "The Rains Of May" oder das in guten Erinnerungen badende "Z-Boys" haben etwas Verschwommenes, Diffuses. Sie sind in eine Art Klangnebel getaucht, der als Gegenpol zu Verzerrung und Übersteuerung dient.
"Pe'ahi": Das Risiko als Überlebensmechanismus, um zu leben und nicht nur zu existieren. Es ist diese Eingebung Wagners vom Strand auf Maui, die sich als leuchtender Impulsgeber durch die neuen Songs zieht. The Raveonettes haben sie verinnerlicht und ihr anschließend eine musikalische Gestalt geben. Selten klangen sie lebendiger als hier.
4 Kommentare mit 7 Antworten
Nach 1-2 Hörsproben schon beste Schuhstarrerplatte des bisherigen Jahres.
Nachdem sowohl "Pains of being pure at Heart" als auch "Tying Tiffany" in diesem Jahr leider die Verstärker runtergesteuert haben wurden meine Erwartungen deutlich übertroffen.
Krass, hier schreibt einer was zu Musik!
Ich hab sie vorgestern bei einem befreundeten DJ durchgehört. Die ersten 3 Stücke fand ich noch sehr fesselnd, danach franste es etwas aus. Der DJ meint: "Definitiv ein Grower!", ich will da nicht so schnell schießen und lieber noch ein paar Durchgänge dran hängen...
Muss man das kennen?^^
Ich kann noch kein finales Urteil abgeben, bin erst gestern überhaupt auf die Platte gestoßen. Da ich das Genre grundsätzlich aber mit rosa Brille auf den Ohren höre wird es wohl recht positiv ausfallen. Heute abend stehen 2-3 Durchgänge an, danach kann ich mehr sagen.
Hmm, das wird sich bei den Raveonettes wohl erst noch zeigen. 2012 konnten sie mit Observator einige Umdrehungen auf meinem Plattenteller verbuchen, und dass obwohl mir zu der Zeit der Sinn häufigerer nach deutlich deftigerer Kost stand.
Apropos deftigere Kost im Genre, "A place to bury Strangers" werden dieses Jahr ein neues Album rausbringen, da liegen meine ganzen Hoffnungen für DIE Soundwand des Jahres.
So, habe jetzt 2-3 ganze Durchläufe hinter mir, erst bei sporteln und danach ganz entspannt auf dem Sofa. Funktioniert einfach immer großartig; wenn ich eine Schwäche benennen müsste ist es "Wake me up" und das generelle Gefühl, dass die Mitte des Albums ein kleines bisschen abfällt gegenüber dem ersten und letzten Drittel. Lieblingstracks bisher: "Sisters" und "Summer Ends".
So richtig habe ich bis jetzt erst "Summer Ends" gehört. Guter Song
Name kam mir bekannt vor, hab die mir aber vorher nie angehört. Aber alter Schwede drönen die ersten drei Tracks schon mal fett, ohne dabei auf geniale Melodien zu verzichten. Das Drumming (drummachine?) ist neben den Gitarrenwänden extrem genial.
Hatte nach dem ersten Durchgang noch nicht so Freude am neuen Album, aber ich gebe der Platte noch Chancen. Vielleicht stimmt das mit dem "Grower" ja
Schade. Gute Songs, interessante und abwechslungsreiche Parts – aber alles verschwimmt, um nicht zu sagen: ertrinkt – im zu gut gemeinten Hall. Die Kombi Fuzz+Reverb jeweils auf mindestens 17 Uhr ist einfach zu viel, um die Songs wirklich genießen zu können.