laut.de-Kritik

Die Ska-Legenden covern Cohen, Marley und Zappa.

Review von

Den Grund für diese Veröffentlichung fasst das Label Universal Music in der beigefügten Album-Info prägnant zusammen: "The Specials - still pissed off!" Darin liegt ausnahmsweise mehr als nur ein Funken Wahrheit. 42 Jahre nach ihrem wegweisenden Debüt "Specials" und nur zwei Jahre nach dem überraschenden Comeback "Encore" interpretieren die Briten zwölf Protestlieder. Es ist die Essenz ihrer Band: Man verbindet die Specials mit dem Einsatz für eine multikulturelle Gesellschaft und dem Kampf gegen Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung jeder Art, sowie eben auch für Coverversionen.

"Auf gewisse Weise sind alle Songs von uns Protestsongs", findet Bassist Horace Panter, weshalb die Band zuvor wohl nie auf die Idee gekommen ist, aus knapp einem Jahrhundert vertontem Widerstand ein Cover-Album zu destillieren. Das Protestjahr 2020 und allen voran die Black Lives Matter-Bewegung brachte den entscheidenden Impuls. Aktuelle Vorfälle wie die rassistischen Beleidigungen gegen Marcus Rushford bei der Fußball-EM dürften das Trio in der Idee nur bestätigt haben. Grimmig fasst Panter die der Platte zugrundeliegende Sachlage zusammen: "Ungerechtigkeit ist zeitlos".

Statt Resignation sucht "Protest Songs 1924-2012" jedoch eher die Konfrontation und führt mitunter beängstigend deutlich vor Augen, wie sehr mancher Text, geschrieben zu teilweise völlig anderen Zeiten, heute noch seine Berechtigung hat. Musikalisch entfernt man sich noch weiter vom ungeliebten Ska-Etikett als zuletzt auf "Encore". Was zählt, ist die Message. Auch wenn die sich in einem Frank Zappa-Song befindet.

Bei der Suche nach Songs über Polizeigewalt, Rassendiskriminierung und Straßen-Aufstände ist es aber auch schwer, nicht auf "Trouble Every Day" vom "Freak Out!"-Album der Mothers Of Invention zu kommen. Allein die darin enthaltenen Zeilen sprechen für sich: "Hey you know something people / I'm not black / but there's a whole lots a times / I wish I could say I'm not white."

Musikalisch sicherlich der verrückteste Song dieser Platte, versuchen die Specials hier doch einigermaßen Schritt mit dem Original zu halten - psychedelische Gitarrensoli inklusive. Bei Leonard Cohen gehen sie dagegen auf Abstand, was angesichts der typischen 80er-Jahre-Produktion von "Everybody Knows" auch nicht verwundert. Lässig singt Terry Hall hier gefühlt vier Oktaven höher als Cohen zu dubbigen Backbeats, die einen wieder in bekanntes Specials-Terrain zurück holen.

Interessanter sind allerdings die unbekannten Nummern, allen voran "Black, Brown And White" von Big Bill Broonzy aus dem Jahr 1938. Den Song über Stigmatisierung und Alltagsrassismus aus Sicht eines Schwarzen übernimmt Lynval Golding, und jede Silbe transportiert seinen Unmut darüber, wie wenig sich seit damals verändert hat. Der älteste Song geht stramm auf die 100 zu: Die DNA des Gospelsongs "Ain't Gonna Let Nobody Turn Us Around" ist Specials pur, wie folgende Zeilen verdeutlichen: "Ain't gonna let segregation, turn me round (...) ain't gonna let no fascist, turn me round."

Hall glänzt in der Ballade "Fuck All The Perfect People", einem für Gefängnisinsassen komponierten Song, den von ihm ausgewählten Talking Heads-Song "Listening Wind" überlässt er dann aber (wie schon auf "Encore") einer jungen Sängerin, die das Klangbild um eine frische Note bereichert. "I Live In A City" klingt fast wie ein Kinderlied, 1960 von Malvina Reynolds geschrieben, und belegt abermals, dass die Specials auch in Lagerfeuer-Atmosphäre überzeugen.

Über das im Vietnam-Krieg populär gewordene "Soldiers Who Want To Be Heroes" nähern sich die Specials dem Rausschmeißer: Golding wagt sich an Bob Marleys "Get Up, Stand Up". Klingt zwar furchtbar klischeehaft, macht in diesem thematischen Umfeld aber Sinn. Der Jamaikaner ringt dem überhörten Klassiker in seiner reduzierten Version zwar wenig neue Aspekte ab, geht aber immerhin nicht baden. Die ausklingenden Worte stehen sinnbildlich für die gesamte Veröffentlichung: "Don't give up the fight."

Trackliste

  1. 1. Freedom Highway
  2. 2. Everybody Knows
  3. 3. I Don't Mind Failing In This World
  4. 4. Black, Brown And White
  5. 5. Ain't Gonna Let Nobody Turn Us Around
  6. 6. Fuck All The Perfect People
  7. 7. My Next Door Neighbour
  8. 8. Trouble Every Day
  9. 9. Listening Wind
  10. 10. Soldiers Who Want To Be Heroes
  11. 11. I Live In A City
  12. 12. Get Up, Stand Up

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1 Kommentar

  • Vor einem Jahr

    Schön, dass es inmitten des entweder komplett künstlichen und/oder vor dem eigenen Spiegelbild onanierenden Gehoppe noch solche Platten mit ner klaren, humanen Botschaft gibt! Schade, dass es niemanden interessiert... 5/5 für den Inhalt, 3-4/5 für die Mucke, macht 4.