laut.de-Kritik

Rude Boys outta Ruhestand: Gegen Misogynie und Rassismus.

Review von

Auf ein neues Specials-Album hat nun wirklich niemand gewartet. Eine Ausgangslage, die Chance und Risiko zugleich birgt, allerdings auch nur auf dem Papier. Für die verbliebenen Originalmitglieder Terry Hall, Horace Panter und Lynval Golding steht tatsächlich enorm viel auf dem Spiel: "Encore" muss sich mit der legendären Vergangenheit der ursprünglich sieben Musiker umfassenden Gruppe messen.

Gemeinsam mit Madness, The Selecter und The Beat definierten die Specials 1979/80 eine musikalische Ära, traten mit ihrem Debütalbum "Specials" auf dem selbst gegründeten Label 2-Tone eine Ska-Revolution los, beeinflussten Bands wie Rancid und Sublime und stehen wie keine zweite Band der Postpunk-Bewegung für den Kampf gegen Rassismus.

40 Jahre später ist Drummer John Bradbury tot, Songwriter Jerry Dammers abgetaucht, Gitarrist Roddy Radiation in einer anderen Band und Neville Staple krank. Doch nicht alles ist anders: Phänomene wie Rassenunruhen, Polizeigewalt und Machtmissbrauch sind leider nicht zusammen mit den Specials 1981 zu Grabe getragen worden. Maggie Thatcher ist zwar tot, Theresa May und Donald Trump dafür quicklebendig. Plötzlich ahnt man, warum die Idee eines neuen Studioalbums 2019 vielleicht doch eine gute ist.

Der wichtigen Sache zweifellos wenig dienlich ist neben dem einfallslosen Albumcover leider auch der Opener. "Black Skin Blue Eyed Boys" bestätigt jegliche in der Luft schwirrenden Alte-Herren-Vorurteile, die alte Equals-Nummer morpht in einen anämischen Kool & The Gang-Funk mit Disco-Streichern. Doch die Specials reißen das Ruder glücklicherweise herum.

Auch 2019 verfolgt die Band "die vielleicht idealistische und naive Hoffnung, dass die Menschheit irgendwann einmal über Hautfarben hinwegsehen wird" (Terry Hall im Interview). Auf "B.L.M." erzählt der jamaikanische Gitarrist Golding von 67 Jahren Rassismus, Gitarrist Steve Cradock (früher Ocean Colour Scene) lässt zu der Spoken-Word-Anklage sein Wah-Wah dampfen, und auch der von Drummer Kenrick Rowe akzentuierte Funk-Pop fließt hier angenehm zusammen und konterkariert die harten Lyrics: "In England they call me a black bastard / In America they call me a goddam nigger / Boy, welcome to my world." Black Lives Matter, wer hats erfunden? Die beiden Songs springen der hartgesottenen Ska-Gefolgschaft der Band so rücksichtlos mit dem Hintern ins Gesicht, dass man die Sixtysomethings sofort ins Herz schließt.

Natürlich liegen zwischen "More Specials" und "Encore" 39 Jahre, doch diese zeitliche Distanz überbrückt "Vote For Me" mit ein paar wenigen, aufsteigenden Akkordfolgen, die die goldene Aura des legendären Tracks "Ghost Town" ins Jetzt zurück holen. Auch Terry Halls Stimme klingt plötzlich wieder warm und gleitet auf dem klassischen Specials-Reggae sanft dahin, während die Lyrics den Wendehälsen in der Politik den Kragen umdrehen. "The Lunatics Have Taken Over The Asylum", 1982 von Halls neuer Band Fun Boy Three veröffentlicht, behält den relaxten Vibe bei und erinnert beim Posaunensolo an den verstorbenen Rico Rodriguez, der sich 1979 auf "A Message To You, Rudy" verewigte.

"Breaking Point" pendelt sich lässig zwischen Tom Waits-Freakyness, Balkan-Brass und solidem The Good, The Bad And The Queen-Swagger ein, bevor "Blam Blam Fever" dem sehnlichen Wunsch der 2-Tone-Fan-Armada wohl am nächsten kommt. "Big 6" von Judge Dread is just around the corner.

Den Vogel schießen Hall und Co. jedoch mit der Idee ab, dem erklärten Idol Prince Buster auf eine Weise Tribut zu zollen, die dem Jahr 2019 mehr als gerecht wird. So herrlich das Original von 1967 auch ist, Busters misogyner Text ist maximal noch unter satirischen Gesichtspunkten tragbar ("Thou shall not shout my name in the streets if I'm walking with another woman / but wait intelligently until I come home").

Die Specials akquirierten die Aktivistin Saffiyah Khan, die 2017 rechten Hooligans der English Defense League in Birmingham einfach nur ins Gesicht lächelte. "The Ten Commandments" verwandelt Khan in einen beißenden Agit-Dub aus Frauenperspektive: "Thou shalt not listen to Prince Buster or any other man offering kindly advice in matters of my own conduct." Die Watsche für tumbe Kommentarspaltenhasser passt da natürlich ebenso gut ins Bild: "Pseudo intellectuals on the Internet / they tell me I'm unhappy because I'm not feminine / failing to consider that I may be unhappy / because it's 3AM & I'm in the depths of YouTube watching them whining."

Danach ist so ziemlich alles gesagt. Mit Halls und Goldings lässigem Reggae-Pop-Duett "Embarrassed By You", dem düsteren, beinahe hippiesk-flirrenden Spoken-Word "The Life And Times Of A Man Called Depression" und dem mit Portishead-Kühle überzogenen Closer "We Sell Hope" folgen aber weitere Highlights, die sich erst nach mehrmaligem Hören erschließen. "Encore" ist ein facettenreiches Album geworden, das keinerlei Erwartungen erfüllt und genau daraus seine Relevanz bezieht.

Trackliste

  1. 1. Black Skin Blue Eyed Boys
  2. 2. B.L.M.
  3. 3. Vote For Me
  4. 4. The Lunatics Have Taken Over The Asylum
  5. 5. Breaking Point
  6. 6. Blam Blam Fever
  7. 7. The Ten Commandments
  8. 8. Embarrassed By You
  9. 9. The Life And Times Of A Man Called Depression
  10. 10. We Sell Hope

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