laut.de-Kritik
Perfekte Balance zwischen sperrig und gefällig.
Review von Philipp KauseDie Rock-Geschichte dreht sich im Titelsong "Where The Action Is" wie ein Riesenrad, bis Schwindel einsetzt. Gibt es da nicht doch das eine oder andere bekannte Sample? Nein? Bis der Hörer sich überlegt hat, woher ihm die Musik vertraut vorkommt, haben ihn The Waterboys längst mit dem nächsten Baustein aus ihrer Wohlklang-Pyramide abgelenkt. Sinnlich tönen die Background-Sängerinnen Jess Kavanagh und Zeenie Summers an der Spitze der Tonhöhen. Glänzende Hammond-Orgeltöne setzen laufend neue Reize. Langeweile kommt keinen Takt lang auf. Auch den ruhigeren Songs wohnt ein zügig treibender Beat inne. In diesem Sinne löst "Where The Action Is" die im CD-Titel gesetzte Erwartung ein.
The Waterboys spielen stringent auf. Im 38. Jahr des Bestehens reißen Mike Scott und seine Kollegen auf sympathisch lockere, entschlackte, ungewöhnliche wie fokussierte Art einen Volltreffer-Songkatalog herunter. Dabei bedienen sie sich einer klaren Struktur: Sie starten schnell und werden schrittweise balladesker. Genau so ergibt es Sinn.
Sie setzen Mick Jones und seinen The Clash im "London Mick" ein Denkmal und verweisen im Text auf Punk. Obwohl The Waterboys wohl nichts ferner liegt als Punk. Wobei, stopp: Natürlich stellt diese Band völlig infrage, wie Plattenläden aufgebaut sind, nach bestimmten Genre-Grenzen, zwischen denen die Wasserjungs munter switchen.
Auch früher wirkten sie nie systemkonform. Es gab schon avantgardistischere, jazzigere Platten dieser Gruppe, etwa das 'unechte' Album "Too Close To Heaven" mit Lost Tapes von einst. Seit jeher profilieren sie sich als wandelndes Oxymoron. Sie bestätigen sich als eine Band der Achtziger, die sich den nostalgischen Achtziger-Trends verweigert. Sie verbinden angedeutete Gefälligkeit mit sperriger Eleganz, hier nun ganz besonders. Die Musik geht leicht ins Ohr, besitzt aber doch auch Anspruch und tänzelt zugleich leichtfüßig, mit widerhakenden Momenten. Mike Scott richtet sich an Connoisseure, denen die Jazzpolizei zu elitär ist, aber der Rock'n'Roll zu simpel.
Der Preis: Blättert man durch Fan-Foren, stößt "Where The Action Is" einen Teil der eingefleischten Follower der Band vor den Kopf, treten doch mitunter künstlich wirkende Klänge ("Then She Made The Lasses O") und eine unverhohlene Eingängigkeit ("Right Side Of Heartbreak (Wrong Side Of Love)") auf den Plan. Die Waterboys verschieben ihren Rock auch ein bisschen in die Richtung dessen, was der Producer von The Doors einst als Cocktail-Jazz benannt haben soll. So dürfte "In My Time On Earth" manchem Rock-Puristen als zu opulent aufstoßen. Und bei alldem überzeugt gerade, dass die Gruppe zeigt, was sie alles beherrscht und keine Erwartungen bedient.
Sänger Mike hat nicht nur hörbar Spaß, sondern frönt auch seinem Faible für Theatralik. Wenige legen so gekonnt so viel schauspielerischen Ausdruck in einen Gesangsvortrag. Der Bandleader beherrscht deutlich das Geschehen. Seine Stimmlage verändert er zwischen und innerhalb der Songs ständig und performt sehr lebendig. Seine Vocals vibrieren voll und satt im Vordergrund der Sound-Abmischung. In Sachen Klangqualität bieten uns The Waterboys das erlesenste HiFi-Surround-Feeling, das der Plattenmarkt seit Langem hergibt.
Instrumental flackert hier das ganz große Sound-Kino von links nach rechts. "Ladbroke Grove Symphony" versammelt Wüstenrock-Charme seitens Bass und Schlagzeug, Theatervortrag im Gesang, Folk-Fiddle als Solo-Einlage, treibendes Klavierpedal als Rhythmus-Impuls und ein Hörspiel-Anhängsel voller Geräusche. Nachdenken darf man nicht. Es geht gleich weiter. "Take Me There I Will Follow You" zappelt trashig durch die Gefilde von Hip Hop und Electroclash. Die Melodie lässt sich beim ersten Durchlauf schon mitsingen, die Hookline führt uns "a hundred miles and more", bloß nicht stehenbleiben, klingt catchy und beeindruckt mit Schubkraft. Alle zehn Songs stehen für ein einzigartiges Zusammenspiel in handverlesenen Kombinationen aus dem schier unendlich scheinenden Instrumenten-Arsenal, das heute kein Saxophon mehr beheimatet und sich sogar recht bescheiden bestückt. Aber aus wenig machen Scott & Co. hier jede Menge.
Die älteren Herrschaften aus Schottland und Irland besetzen hier folgende Marktlücke: Sie fabrizieren Folk, ohne schrammelig, folkloristisch und trist zu klingen. Sie bauen blues-, jazz- und soul-inspirierten Rock für Menschen zusammen, die es nicht mehr lesen wollen, dass alle Musik ursprünglich aus Memphis komme. Für Hörer, die gerne ein paar Schritte weiter ziehen wollen, denen E-Gitarren-Klischees ein Graus sind, aber Rockmusik viel bedeutet. Der Rocksound wendet sich an offene Ohren, denen die Komplexität des Jazz in Form von gesungenen Liedern Spaß macht. Hier offenbart sich Musik für Perlentaucher, die mit Indie-Rock sympathisieren, aber vor dem Twentysomething-Selbstfindungs-Anspruch vieler Indie-Bands Reißaus nehmen.
Darüber hinaus sammelt "Where The Action Is" die Splitter abgebrochener Band-Karrieren sorgsam auf und vollendet, was andere offen ließen. Wo Bob Geldof den Faden verlor und ihm die Melodien ausgingen, führen The Waterboys seinen Gestus weiter. Wo die kanadischen Crash Test Dummies sich mit experimentellen Platten zum One Hit Wonder degradierten, traut es sich Mike Scott fast so tief und sonor zu tönen wie Brad Roberts von den Dummies. Wo Chumbawamba sich 2012 auflösten, klafft eine Lücke, in die The Waterboys ihren risikofreudigen Stilmix einbringen, Hauptsache stürmisch und doch zum aktiven Hinhören animierend. Wem Ocean Colour Scenes "Riverboat Song" als Inbegriff perfekter Gitarrenmusik unerreicht bleibt, dem liefern The Waterboys wenigstens hier und da ebenbürtigen Nachschub. Wer The Moody Blues bis heute für die erfinderischste Band aller Zeiten hält, bekommt hier ein paar Beispiele, wie deren Storytelling heute klingen könnte. So zieht diese Platte viele Register.
Zu den eindeutigen Stärken des Albums zählen etliche Basics wie Taktgefühl, eingängige Melodien, Abwechslung im Tempo, ungestümer Spieltrieb, Credibility, gelungenes Erzählen von Geschichten, Klarheit im Klang, Vielfalt und Zeitlosigkeit. Besonderheiten treten hinzu: Die Platte platzt vor Inhalt. "Piper At The Gates Of Dawn" erzählt etwa neun Minuten lang inbrünstig die Geschichte von einer zitternden Ratte, einem Maulwurf und deren Abenteuern. The Waterboys frappieren mit Flow und Selbstverständlichkeit, Crazyness statt Selbstzweifeln. Dieses Album versprüht außerdem eine ungemein vereinnahmende Atmosphäre. Sie passt zu verschiedenen Stimmungen, ob 'happy' or 'sad'.
Diese Platte ist die pure Provokation für alle, die sich beim Musikhören einer Szene zugehörig fühlen wollen oder etwas einsortieren wollen. Vergesst es hier. 'Unverschämt gut' trifft auf das Album zu, weil mit seinem schneidigen Gestus und seiner Brillanz wohl weder Fans noch Fachwelt noch irgendwer gerechnet haben. Irgend so eine semi-bekannte Restbestands-Band aus den Achtzigern mit ewiggestrigem Folk Revival-Anstrich, die als One Hit Wonder firmiert, soll 2019 noch eine große Platte rausbringen? Yep! "Where The Action Is" surft souverän und angenehm durch zahlreiche Winkel der Tonerzeugung. Selbst wer dieses Werk nicht mag, wird es mindestens abwechslungsreich, kraftvoll und kreativ finden.
3 Kommentare mit 2 Antworten
Keine Ahnung wo der Reiz dieser Platte liegen soll... klingt für mich nach 0815 Rock a la Bon Jovi.
Also so dolle ist die Platte tatsächlich nicht, aber diesen eckelhaften Vergleich mit Bon Jovi hat wirklich niemand verdient, ausser BJ selbst natürlich.
Bon Jovi lassen sich doch unter 10.000 heraushören, wieso sind die 08/15? Der erste Song mag schon ähnlich zu "It's my life" von B.J. sein (wobei: Mike Scott sich da an 'nen Soul-Klassiker anlehnt....). Tracks 2, 3, 4, 6 und 10 kann ich mir von Bon Jovi überhaupt gar nicht vorstellen. Und No. 10 sollte eigtl auch eine Zappa-Mama erfreuen...
...nö... die Platte kann vielleicht Leute erreichen die Meisterwerke wie "A Pagan Place" oder "Fishermans Blues" nicht kennen... aber wer dem Reiz dieser Werke einmal verfallen ist für den ist das hier Larifari... schade...
Bin etwas mehr als halb zufrieden. Das Album ist sicher besser als der zu lang geratene und hastig hingeworfene Vorgänger und enthält sehr wohl ein paar Perlen. Einige der Tracks sind aber auch deutlich zu lasch geraten. Und wie immer: Mike Scott übertreibts einfach gerne und in alle (musikalischen) Richtungen. Das ist mir grundsympathisch, auch wenn's meinen Ohren nicht immer bekommt.