laut.de-Kritik
Die Geschichte wird nicht neu geschrieben, nur ausgeleuchtet.
Review von Emil DröllAm 7. September 1978 starb einer der größten Schlagzeuger aller Zeiten, Keith Moon. Er besiegelte damit das Schicksal einer Band, die seither mit ihren Geschichten um Drummer-Rausschmisse und nostalgische Auftritte nur noch den Kopf schütteln lässt. "Who Are You" war das letzte Studioalbum von The Who mit Moon am Schlagzeug und zugleich ein Stück, das wagemutig nach vorne blickte. Schon im Original waren Synthesizer, String-Layer und ein ungewohnt Beatles-esker Flow Teil des Arrangements.
Auf "New Song" etwa spürt man sofort diese Magie, dieses Gefühl, etwas ewig Bekanntes in sich auszulösen. Ein Arrangement, das klar macht: Mit diesem Album will etwas Großes entstehen. Doch die Rechnung ging nicht voll auf: Keine Sound-Revolution mehr, kein wilder Punk-Aufstand, kein radikaler Ausbruch. Stattdessen stehen diese Songs wie eine Eins, und knapp 50 Jahre später ist das kein Fehltritt, sondern ein Genuss im New Wave-Gewand.
In "905" kommen die Gitarren erstmals richtig zur Geltung, dazu eine unvergessliche Hook. "Sister Disco" fegt durch das Set, "Music Must Change" steuert ins Musicalhafte – mit jazziger Gitarre. "Trick Of The Light" rockt progressiv, "Guitar And Pen" sprintet über sechs Minuten, "Love Is Coming Down" wird wieder episch. Und dann kommt da der Titeltrack: einer der stärksten Songs der Bandgeschichte.
Die Super Deluxe Box enthält auch die bislang unveröffentlichten Glyn Johns Mixes – hier klingen die Vocals etwas anders, die Lautstärkebalance ist verändert, und das macht tatsächlich neugierig. Aber vieles ist Sammlerfutter: Vocal-Versions, No-Orchestra-Mixes, Lost Mixes, Non-Album‐Tracks wie "No Road Romance", John Entwistle-Demos, Rehearsals. Live-Mitschnitte gibt's auch satt, unter anderem die Tour 1979 mit Kenney Jones am Schlagzeug.
Doch so viel Material heißt nicht automatisch so viel Substanz. Ja, die Box öffnet Türen in vergangene Sessions, ja, Fans bekommen fast Überfluss. Aber: Für die casual Hörer bleibt dasselbe Album mit seinen Stärken und Schwächen das Fundament. Der scharfe Wandel, die Revolution – sie bleibt aus. Und genau das spürt man beim Wühlen durch die Bonus-CDs: Es gibt Höhepunkte, klar – doch vieles wirkt wie eine Reminiszenz für bereits Archivverwöhnte.
Wer Sammler ist, wer tief eintauchen will in das letzte große Statement der Who mit Keith Moon, wer Bonusmaterial lieben kann, für den ist diese Edition eine Offenbarung. Wer einfach nur das Album hören will, der kann (Und wird) auch mit der regulären Version glücklich werden. Große Ambition, großer Umfang, aber auch klare Limitation: Das Fundament wird nicht neu geschrieben, nur ausgeleuchtet.


				
		
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