laut.de-Kritik
Im Horizontalflug durch die deutsche Popgeschichte.
Review von Emil DröllNach vier Stunden Testament und Obituary in einer verschwitzten Hall, brauche ich auf der Heimfahrt traditionell das Gegenteil von dem, was mir gerade die Gehörgänge poliert hat. Und das war diesmal wieder: Thomas Anders. Der Mann, der mit "...Sings Modern Talking: Romantic Warriors" erneut seine eigene Vergangenheit einsingt – ohne Dieter Bohlen, dafür mit dreifacher Portion Bonus-Material und Remixen. Und was soll ich sagen: Immer noch furchtbar, trotz mildernder Umstände.
Denn da ist sie wieder, diese weichgewaschene Seifenblasenwelt, in der jedes Instrument klingt, als sei es direkt aus einem Keyboard-Demo-Menü gezogen. Die Beats glitzern, die Vocals sind so glatt, dass man sich fragt, ob hier überhaupt noch jemand gesungen hat oder ob Anders längst komplett aus Silikon besteht. Nostalgie? Vielleicht. Emotion? Fehlanzeige.
So beginnt es – zum fünften Mal: "Jet Airliner" klingt, als hätte Anders Modern Talking mit Bummsbeat gecovert – also genau wie die vier Alben zuvor. Der Song will abheben, doch der Motor stottert. Statt Turbinen hört man Plastik-Synths und Autotune-Turbulenzen.
Alles da, alles klinisch neu aufpoliert, alles irgendwie schlimmer als früher. Dabei war das Original schon nicht gerade die Speerspitze der Avantgarde. Doch wo früher wenigstens Dieter Bohlens schamlose Hook-Maschine für unfreiwillige Ohrwürmer sorgte, kommt hier eine sterile Hommage an sich selbst heraus.
"Like A Hero" überrascht dagegen tatsächlich: kein Dosenbeat, keine Ohrenschmerzen – einfach ein halbwegs erträglicher Moment. Man spürt kurz: Der Mann könnte, wenn er wollte. Leider will er nicht lange. Folgt doch: "Don't Worry". Ich habs versucht. Aber langsam fühlt es sich an, als wäre man in einem immerwährenden Fiebertraum gefangen, in dem einen tausend Thomas Anders verfolgen, Arm in Arm mit ihrem jüngeren Ich, und alle pfeifen im Chor die alten Modern Talking-Hooks.
"Blinded By Your Love" – vielleicht Anders' Hommage an Dieter Bohlen? Jedenfalls schmilzt er hier dahin wie Wachs am offenen Feuer. Hochglanz-Kitsch ohne Zwinkern. "Romantic Warriors" selbst startet mit einem soliden Discogroove – man denkt kurz, da ist Bewegung drin. Doch dann marschiert das altbekannte Anders-Synth-Heer ein: uniformiert, stromlinienförmig, bleiern.
"Arabian Gold"? Hilfe. Ein Keyboard-Preset kämpft verzweifelt gegen den Plastik-Beat, während Anders romantisch haucht. "We Still Have Dreams" – ja, die habe ich tatsächlich. Mein Traum ist, diesen Marathon ohne bleibende Schäden zu überstehen. "Operator Gimme 609", "You And Me", "Charlene" – ehrlich gesagt, spare ich mir die Mühe. Es ist alles ein einziger Loop aus Selbstzitaten, Dosen-Drums und Harmlosigkeit. Man will einfach nur kurz Stille haben, um sicherzugehen, dass das Gehör noch funktioniert.
Doch es warten noch die Bonustracks. "Lost In Your Eyes" – das Gleiche in Grün. "Flying On The Wings Of Loneliness" – ich weiß nicht, ob Anders uns hier sein Innerstes zeigen will, oder ob er schlicht ein Reimlexikon zu Rate gezogen hat. Und wer dachte, das wars, wird von der "In The Mix"-Disc endgültig in den Wahnsinn getrieben. 40 Minuten Fiebertraum: Thomas Anders, multipliziert mit sich selbst, und Musik die klingt, als hätte jemand ein Ibiza-DJ-Set auf einer Sylt-Afterwork-Party ausprobiert. Spätestens nach "Romantic Warriors" im Mix entwickelt man Hassgefühle gegenüber den eigenen Lautsprechern.
Am Ende bleibt nichts als Atemnot und die Erkenntnis: Das Einzige, was dieses Projekt wirklich modernisiert, ist die Spieldauer. Wo das Original wenigstens nach zehn Songs vorbei war, gibts hier das Dreifache – inklusive Instrumentals, die sich anhören, als wolle jemand aus purem Trotz beweisen, dass Pop auch ohne Stimme nerven kann.
Und so endet die Reise: kein Höhenflug, kein Absturz – einfach ein endloser Horizontalflug durch die Luftpolsterfolie der deutschen Popgeschichte. Thomas Anders hat sich selbst gecovert, aber irgendwo auf dem Weg vergessen, warum man das überhaupt tun sollte.
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