laut.de-Kritik

Rückkehr der Industrial-Legende.

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Mit lebenden Legenden ist das so eine Sache. Nur die wenigsten können sich einfach nur an dem erfreuen, was sie erreicht haben. Die allermeisten treibt es früher oder später wieder auf die Bühne und/oder ins Studio. Das war bei Velvet Underground so, das ist bei Throbbing Gristle nicht anders. "Part Two The Endless Not" ist das erste Studioalbum der Industrial-Erfinder, seit ihrer Auflösung 1981.

Verfechter der reinen Lehre werden nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wie kann ausgerechnet eine Band, die sich während ihrer ersten Inkarnation als Gegenpol zu den Marktmechanismen der Musikindustrie verstanden hat, eine Reunion anzetteln. Pragmatischere Geister indes werden den damals angehäuften ideologischen Überbau nicht ganz so ernst nehmen und auch einer Band wie Throbbing Gristle zugestehen, dass sie nach 25 Jahren noch einmal einen neuen Anlauf nimmt.

Hier den großen Ausverkauf zu wittern, geht an der Sache vollkommen vorbei. Mögen sie von "Part Two The Endless Not" auch ein paar Tausend Exemplare verkaufen, für den unbeschwerten Lebensabend am Palmenstrand reicht das noch lange nicht. Und eine breitere Käuferschicht werden Throbbing Gristle mit ihrer neuen Platte kaum ansprechen. Dafür sind sie auch heute noch viel zu weit vom musikalischen Mainstream entfernt.

Dennoch ist eine gewisse Altersmilde auf "Part Two The Endless Not" nicht zu überhören. Entspannt ist die Atmosphäre des Longplayers. Das ist eine Überraschung. Schließlich waren die alten TG-Releases oftmals tatsächlich "Entertainment Through Pain". Die schwerverdauliche Kost aus pfeifenden Feedbacks, rumorenden Lärmschleifen und improvisierten Geräuschmanipulationen führte manchem Zuhörer Ende der 70er Jahre den drohenden Untergang der Menschheit drastisch vor Augen.

2007 sind die Noise-Elemente zurückgenommen. Tracks wie "Rabbit Snare" oder "Greasy Spoon" setzen zwar auf Krach. Dieser kommt jedoch durchweg digital bereinigt aus dem Lautsprecher. Das klingt kalkuliert und, für TG-Verhältnisse, angenehm. Die fehlende Unmittelbarkeit ist der größte Unterschied von "Part Two The Endless Not" zu den alten Aufnahmen, bei den das Equipment oftmals ein bizarres Eigenleben entwickelt hat und damit entscheidend zur Dynamik von TG beigetragen hat.

Hier zeigt sich auch, dass alle Mitglieder von Throbbing Gristle die vergangenen 25 Jahre genutzt haben, sich musikalisches Wissen und Können anzueignen. Kalkulation statt Improvisation. "Almost A Kiss" schlägt sogar balladeske Töne an und zeigt wie "Endless Not", "Vow Of Silence" und "The Worm Waits It's Turn" eindrücklich, dass Herr/Frau P-Orridge am Mikrofon noch immer in einer ganz eigenen Liga spielt.

"Part Two The Endless Not" ist eine Weiterentwicklung des Throbbing Gristle-Sound, die weder peinlich noch belanglos ist. Nur hat das Album ganz andere Qualitäten als die früheren Veröffentlichungen. Das ist ein großer Pluspunkt. Es wäre bedenklich, wenn Throbbing Gristle nach Jahren wieder ins Studio gehen und keinen anderen Anspruch haben, als sich selbst zu reproduzieren. "Part Two The Endless Not" - ein souveräner Neuanfang.

Trackliste

  1. 1. Vow Of Silence
  2. 2. Rabbit Snare
  3. 3. Separated
  4. 4. Almost A Kiss
  5. 5. Greasy Spoon
  6. 6. Lyre Liar
  7. 7. Above The Below
  8. 8. Endless Not
  9. 9. The Worm Waits Its Turn
  10. 10. After The Fall

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