laut.de-Kritik
Das neue Rap-Talent kämpft mit dem Album-Format.
Review von Yannik Gölz"Corinian" von TiaCorine ist eine wahnsinnig interessante Fallstudie. In einem schwierigen Jahr für Hip Hop-Newcomer folgt sie nach ein paar Jahren im Game mit einem neuen Projekt, das spürbar ein Statement sein will. Tia gehört seit ihren Anfangstagen, in denen sie sich als idiosynkratische Kenny Beats-Kollaborateurin hervorgetan hat, definitiv auf die Watchlist vieler Rapheads. Sie ist ohne Frage ein absolutes Talent. Und obwohl sie auf "Corinian" spürbar ihr Bestes gibt, schafft sie den eindeutigen Sprung zum Albumartist nicht ganz.
Was wir hier zu hören bekommen, das ist die ultimative Konsequenz eines TikTok-Artists. "Corinian" bringt zur Vollendung, was Artists wie XXXTentacion angedeutet haben. Das absolute Gebot der Offenheit, der "Versatility" - ein Begriff, der jenseits jeder Sinnhaftigkeit fetischisiert wird. "Corinian" bietet 45 Minuten lang kurze Vignetten in Soundwelten, die sie auch bedienen könnte. Aber so gut sie jedes Potenzial anreißt und die Songs teilweise wirklich stark werden, so wenig entwickelt sich daraus mehr als die Summe seiner Teile. Es bleibt wie ein endlos scrollbarer Algorithmus, siebzehn zusammenhangslos aneinandergereihte Vibes.
Und man muss wirklich sagen: Hier steckt richtig gutes Material drin. Ein Aufhorcher ist auf jeden Fall "Buttercup", auf dem sie sich ein richtig kredibles Post-Punk-Sample schnappt. Ihre grelle, aufgedrehte Stimmlage stößt sich von den grungy Gitarrentexturen wunderbar ab, das klingt wirklich großartig.
Auf "Lotion" bearbeitet sie in Tandem mit Flo Milli Kenny Beats Interpretation von einem Miami Bass-Track. Das ist tanzbar, das ist groovy, die beiden haben ihre kollaborative Chemie schon zuvor bewiesen. Dass ausgerechnet ein leger aufgelegter Wiz Khalifa auf der Stoner-Jam "Was Hannin" als das beste Feature hervorgehen würde, ist überraschend. Immerhin sind mit Smino, Pouya, Saweetie und J.I.D weitere interessante, starke Feautre-Gäste geladen, statt immer nur die selben drei Atzen aus der Retorte. Der Letztere hat auf "Backyard" trotz bester Bemühung sichtliche Schwierigkeiten, den halsbrecherisch voran preschenden Freak von Tia zu matchen. Aber irgendwie macht gerade das ihre Chemie ganz liebenswürdig.
"Iced Out Kirby" klingt ein bisschen, als hätte man SahBabiis Ansatz, Cloud Rap nach Atlanta zu bringen übernommen. Und auf dem Outro "Impossible Girl" klingt die sehr organische Samplelandschaft mit den schweren, dreamy Percussions fast ein bisschen nach Trip Hop.
Natürlich stehen gegen diese sehr solide Ausbeute an Hits auch ein paar Misses gegen. Gerade der Intro "Pretty" mit Saweetie erinnert eher unangenehm an einen Popstar-Ära-Nicki Minaj-Sellout Track. Ebenso ist "Booty" ein unsubtiler Versuch, ein bisschen Girlboss-Plattitüde für den Algorithmus aufzubauen. Gemischt nimmt man den Dembow von "La La La" auf. Die Energie ist ohne Frage da, trotzdem wirkt der Song in der Konstruktion etwas zu dünn.
Aber das Problem an "Corinian" ist am Ende nicht, dass es nicht genug Hits gäbe. Es ist eher die Frage, wie man aus all diesen Ideen am Ende ein kohärentes Album schraubt. Ihr merkt, dass eine Sache bisher noch wenig Raum eingenommen hat - und das sind die Texte. Nicht einmal, weil Tia eine schlechte Texterin wäre, sie arbeitet eigentlich nie unter zumindest handelsüblichen Standards. Aber was man ihr anmerkt, ist dass sie wenig Ideen findet, diesem Album einen wirklichen Bogen zu verleihen.
Das Hauptwerkzeug, um ein klein bisschen Kohäsion zu schaffen, ist ihr Signatur-Flow. Den kennen die meisten wahrscheinlich von ihrer Durchbruchs-Single "Chaka Khan" - und sie macht ihn auch hier immer wieder. Aber ab und zu auf den selben, sehr markanten Flow zurückzukommen, macht noch kein Album.
Es ist auffällig, dass abseits der Features fast alle Songs gleichlang und gleich strukturiert sind. Obwohl die Sounds der Tracks teils himmelhoch auseinanderklaffen, entsteht Songwriting-mäßig kein wirkliches Gefühl von Wildheit. Der richtig böswillige Verdacht wäre, dass Tia sich Sound-Gimmick nach Sound-Gimmick überstülpt, in der Hoffnung, so vielleicht im schnellebigen Reels-Format mehr Lose in der Viralitäts-Lotterie zu ziehen. Am Ende des Tages stimmt es immerhin, dass sie trotz aller Variabilität der Sounds und Beats immer die gleiche Performance abliefert und eigentlich auch immer die gleichen Dinge redet.
Dahingehend ist "Corinian" diese interessante Fallstudie: Es ist geradezu das Best-Case-Szenario, wie die aktuellen Musikstrukturen neue Rapperinnen und Rapper vom Medium Album wegleiten. TiaCorine ist wahnsinnig talentiert. Aber man merkt diesem Album an, obwohl es so spürbar ein spektakulärer Einstand ins Game wäre, dass ihre bisherige Kunst konstant von den Algorithmen von Playlists und Reels geformt wurde. Dieses Album hat kein Pacing, weil dieses Format des Musikhörens und -Entdeckens keine Rast und keine Langsamkeit kennt. Es erinnert mich in der Hinsicht sehr an das vielversprechende, aber am Ende zu Unrecht auf Kurzformat runtergestanzte BigXThaPlug-Debüt "Take Care".
Wir haben keine Newcomer-Krise im Hip Hop. Die supertalentierten Kids kommen nach. Nur sind sie leider gezwungen, ein musikalisches Spiel zu spielen, das dem Medium Album so feindlich gegenübersteht wie nie zuvor.
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