laut.de-Kritik
Virtuos fliegen die Finger über die Tastatur.
Review von Giuliano BenassiAuf dem Cover von "An Ancient Observer" (2017) blickte der armenische Jazz-Pianist ungewohnt ernst in die Kamera. Der dandyhafte Lockenschopf war weggeschoren, und das weiße Hemd wirkte zu groß auf dem hageren Körper.
Nachdem er in Los Angeles und New York gelebt hatte, war Tigran Hamasyan wieder zurück nach Armenien gezogen und hatte sich mit der Musik seiner Heimat auseinander gesetzt. 2015 spielte er auf "Luys I Luso" armenische Werke des 5. bis 20. Jahrhunderts mit dem Yerevan State Chamber Choir ein. Zwei Jahre später verzichtete er dagegen auf Begleitung. Auch wenn er wie gewohnt Keyboards und seine eigene Stimme als Instrument einsetzte, um sein Klavier zu untermalen. Im mit 11 Minuten längsten Stück, "Nairian Odysey", legte er auch eine Beatbox-Einlage hin.
"Ich schaue aus dem Fenster und sehe den biblischen Berg Ararat mit ewigem Schnee auf dem Gipfel, Strommasten und Leitungsdrähte im Vordergrund zerschneiden das Bild, Satellitenschüsseln verschmelzen mit alten und modernen Häusern, aus deren Kaminen wie zur Zeit der Vorfahren Rauch aufsteigt, Vögel schweben über den Bäumen, gelegentlich sind Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel. Die altertümliche, gottgegebene Natur und unsere modernen menschlichen Errungenschaften treten in einen Dialog", beschrieb er seine Inspirationsquellen.
Die nun vorliegende CD stellt so etwas wie eine Ergänzung dar, denn die fünf Stücke hatte Hamasyan schon geschrieben, aber nicht für das Album aufgenommen. Der persönliche Bezug zeigt sich am Titel, denn "Gyumri" (auf Deutsch Gjumri) ist die Stadt, in der er auf die Welt kam und und seine ersten Lebensjahre verbrachte.
Auch hier lässt Hamasyan seine Finger virtuos über die Tastatur fliegen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, unnötig viele Noten zu spielen. Zu seinen Bewunderern (und zeitweise Förderern) gehören nicht von ungefähr Herbie Hancock, Chick Corea oder Brad Mehldau. Jazz-Größen, die Hamasyan wiederum in seine Musik einfließen lässt.
"Ein phänomenaler Pianist, ein unbändiger Entertainer, ein vielversprechender Experimentator mit Hitech-Tricks und ein kreativer Weltmusikkomponist", charakterisierte ihn die britische Zeitung The Guardian, als er 2015 "Mockroot" veröffentlichte. Es war sein erstes Album für das New Yorker Label Nonesuch.
"For Gyumri" ist nun bereits sein drittes. Wie stark sich seine Karriere weiter entwickelt hat, zeigt sich auch daran, dass er 2017 in Hamburg in der Laeiszhalle auftrat. Sicherlich nicht die schlechteste Adresse. Ein Jahr später ist es jedoch die Große Halle der Elbphilharmonie -
natürlich ausverkauft.
1 Kommentar
Nicht nur virtuos, sondern auch unheimlich lyrisch klingt er vor allem in den folkigen Momenten. Man braucht vielleicht ein wenig Eingewöhnungszeit für sein Spiel, aber danach geht seine Musik wunderbar rein. Kann man einerseits konzentriert, andererseits aber auch sehr gut im Hintergrund hören. Der Vorgänger "An Ancient Observer", der seine folkigen Wurzeln in einigen Momenten betont, ist ebenso auf gleicher Augenhöhe.