laut.de-Kritik
Astreiner Mix aus R'n'B, Hip Hop, Soul und Blues.
Review von Kai KoppEs darf wieder gejazzt werden! Nachdem eine bekennende DJ-Kultur den Jazz als wichtige Inspirationsquelle rehabilitiert hat, darf man sich wieder als Jazz-Hörer outen, ohne in die Ecke des intellektuellen Kopfmenschen gedrängt zu werden. Auch Jazz-Exportschlager Till Brönner weiß davon ein Lied zu spielen. Seine Auffassung von Jazz transportiert er in verschiedenste Genres. Eine Zusammenarbeit mit Hildegard Knef ("Aber Schön War Es Doch") darf ebenso sein wie die Verhiphoppung kölschen Karnevalguts (My Secret Love). Mit "Blue Eyed Soul" betritt er wieder einmal unerwartetes Terrain, oder, "Till Brönner ist immer für eine Überraschung gut", wie halb Petgroove versuchte, mir die Scheibe schmackhaft zu machen. Ich muss gestehen, die letzten Veröffentlichungen des gebürtigen Vierseners überzeugten mich nicht. Weder alte UFA-Schlager (German Songs) noch seichter Smooth-Jazz (Love) lockten mich hinter meiner Zentralheizung hervor. Und jetzt das!
Nach einem kurzen Introschnipsel finde ich mich inmitten eines ultracool groovenden Songs wieder, der durch Tills Trompetenspiel zum Rap wird, ganz ohne Wortschwall. Das mag ich, wenn mich ein Album mit dem ersten Titel schon überzeugt! "Ich würde das Ganze als gute Chill-Out-Musik bezeichnen. Stress muss man sich nicht noch kaufen!" meint Till. Ich teile seine Einstellung uneingeschränkt und füge ein dreifach kräftiges KAUFEN hinzu. Der Mix aus R'n'B, Hip Hop, Soul, Blues und Jazz funktioniert auf Anhieb und gehört definitiv zum Besten, was aus diesem an sich unspektakulären Stilmix in den letzten Jahren meine nimmersatten Ohren erreichte. Nicht nur Till "würde die selber auch auflegen, wenn ich eine Party geben würde", auch alle anderen, die mit Tab Two, Erykah Badu und den Cafe del Mar-Samplern was anfangen können, werden "Blue Eyed Soul" lieben.
"'Blue Eyed Soul' ist ursprünglich der Begriff, den Schwarze in Amerika etwas abschätzig gebrauchen, wenn Weiße Soulmusik machen. George Michael gilt übrigens mittlerweile auch als ein Vertreter von 'Blue Eyed Soul', was meines Erachtens für einen gewissen Respekt spricht", erklärt Till die Titelwahl des neuen Albums. Gleichzeitig muss er sich den bohrenden Fragen der Jazzpolizei stellen, die einst viel Hoffnung in den Abtrünnigen setzten: "Ist das noch Jazz oder nur genehme Stimmungsmusik? Ist das Dienstleistungs-Pop oder eine gewagte kosmetische Operation an der Zauselbart tragenden improvisierten Musik?" fragt im Auftrag von Wynton Marsalis, dem Polizeipräsidenten, ironischerweise das open mind-ige Jazzthing-Magazin.
Worauf Till mindestens so lässige Worte findet, wie er ebensolche Töne aus seiner Trompete zaubert: "Ich stehe eben mittlerweile auf Sachen, die einem puren Jazzer die Zornesröte ins Gesicht treiben würden". Ich auch!
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