laut.de-Kritik

Funktioniert auch in außerkoitalen Situationen.

Review von

Besondere Rotationsbeliebtheit besitzt "Oceana" in den Momenten, in denen sich die knapp 22-Jährige, die die Wohnung unter mir bewohnt, über die akustischen Begleiterscheinungen menschlichen Sexualverhaltens zu beschweren pflegt (zu meiner Zeit saßen wir in solchen Momenten noch versammelt um den WG-Küchentisch und schlossen Wetten ab. Aber die Zeiten scheinen sich diesbezüglich geändert zu haben)! In diesen Momenten entpuppt sich "Oceana" als wahrhaftes Meisterwerk, in das ich mich von Mal zu Mal mehr verliebe.

Und ja, "Oceana" funktioniert auch in außerkoitalen Situationen. Beim Cruisen mit dem offenen Cabrio zum Beispiel, denn Till Brönner jazzt und groovt so unglaublich relaxed vor sich hin, dass jeglicher Trubel strengstens verboten ist. Für die entspannten Momente des Lebens liefert er also den perfekten Soundtrack. Für die aufwühlenden, temperamentgeladenen Augenblicke gibt es zugegebenermaßen offensivere Akustik-Kost.

Zum ersten Mal gibt Brönner auf seinem zehnten Studioalbum die Produzententätigkeit komplett aus der Hand. "Wenn man jung ist, will man an seine Musik halt niemanden ranlassen, da das Ergebnis zwingend den eigenen Vorstellungen entsprechen muss. Jetzt konnte ich mich aufs Spielen konzentrieren", gibt der in allen Belangen gereifte Trompeter gerne zu.

Als Gefährte an den Studioknöpfen angelt er sich Larry Klein, unter dessen Fittichen u.a. Alben von Joni Mitchell und Leonard Cohen reiften. Aufgrund seines musikalischen Verständnisses (er zupfte bei Bob Dylan, Peter Gabriel und Wayne Shorter den Bass), hat er auch kompositorisch seine Finger im Spiel. Brönner und er steuern die Eigenkompositionen "A Distant Episode" und "Tarde" bei. Die weiteren Titel des Albums rekrutieren sich aus dem Repertoire fremder Federn.

Hervorzuheben sind der Opener "Bumpin'" (Wes Montgomery), der mit einem hammergeilen Hammond-Sound lockt. In "My Secret Live" (Leonard Cohen) gibt Topmodel Carla Bruni ihr Bestes. An "Par Dizer Adeus" versucht sich die brasilianische Sängerin Luciana Souza, die im Rennen um den Grammy für das beste Jazzvokalalbum gerade knapp Dianne Reeves unterlag. "Subrosa" (Larry Golding) entpuppt sich als meisterhaftes Saxophon-Trompeten-Duell, das sich Till Brönner mit Sax-Legende Gary Foster liefert, und Madeleine Peyroux veredelt Hank Williams "I'm So Lonesome I Could Cry".

Allen Jazz-Weisen, die Brönners musikalischen Output auf "Oceana" mit eher verhaltenen Stimmen goutieren, begegnet er mit Schillers Zitat "Einfachheit ist ein Resultat der Reife". In den schönen Momenten meines gereiften Lebens, sehe ich das ähnlich und kann der Musikexpress-Aussage, "der international konkurrenzfähigste unter den deutschen Popstars ist ein Jazzmusiker", vorbehaltlos zustimmen.

Trackliste

  1. 1. Bumpin'
  2. 2. Love Theme From Chinatown
  3. 3. In My Secret Life (Vocal: Carla Bruni)
  4. 4. The Peacocks
  5. 5. I'm So Lonesome I Could Cry (Vocal: Madeleine Peyroux)
  6. 6. Subrosa
  7. 7. Pra Dizer Adeus (Vocal: Luciana Souza)
  8. 8. It Never Entered My Mind
  9. 9. River Man (Vocal: Till Bönner)
  10. 10. Danny Boy
  11. 11. A Distant Episode
  12. 12. Tarde

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