laut.de-Kritik
Atmosphärisches Album mit originellen 80er-Verweisen.
Review von Toni HennigAnders Trentemøller verweigert sich seit seinem beachtlichen Start in der Electronicaszene mit "The Last Resort" vor zehn Jahren dem musikalischen Stillstand. An Stelle intelligenter Bassklänge treten vor allem bei seinen Liveshows organische Bandsounds in den Vordergrund. Auf "Fixion" lebt er vordergründig seine Leidenschaft für wavige und postpunkige 80er-Klänge aus und klingt dadurch noch minimalistischer als auf "Lost" (2013).
"One Eye Open" mit einem Joy-Division-Keyboardteppich und dem verträumten Gesang von Marie Fisker führt mit seiner eingängigen Hook und dem tiefen Bassspiel von Lisbeth Fritze auf die falsche Fährte. Die Nummer bildet mit eher leichtfüßigen Wavesounds und dezenter Laszivität einen netten Einstieg, ist aber kaum charakteristisch für das Album.
Der Linie bleibt Trentemøller auf "Never Fade" treu. Der Song gestaltet sich mit dem flächigen Gitarrenspiel von Jeppe Brix und seinem monotonen Gesangssample eine Spur kühler. Man fühlt sich an frühe The-Cure-Platten wie "Seventeen Seconds" erinnert.
Den Cut vollzieht "Sinus" als repetitives Bassmonster beginnend. Dystopische Sounds im Stile von Vangelis "Blade Runner" erzeugen die nächsten Minuten eine düstere und retrofuturistische Großstadtatmosphäre. Synthetische Elektroklänge schließen den Track überzeugend ab. Die Synthwavesounds von Perturbator, GoST und Waveshaper hinterlassen hier ihre Spuren.
Für die Single "River In Me" holt Trentemøller sich Jenny Beth ins Boot, die mit ihrer Band Savages gerade viel Aufmerksamkeit genießt. Vor kurzem produzierte er ihr aktuelles Album "Adore Life". Zur drivigen Nummer mit The-Cure-Feeling am Bass und industriellen Depeche-Mode-Sounds zu Zeiten von "Construction Time Again" passt ihr cooler gesanglicher Vortrag hervorragend. Als erste Sängerin überhaupt im Trentemøller-Kosmos war sie im Studio anwesend, was dem Song noch zusätzlichen energetischen Schub verleiht.
In "Phoenicia" erzeugen psychedelische Orgelschleifen konstante Spannung. Der Track nimmt weiter Fahrt auf und zieht den Hörer in einem repetitiven Sog, der sich zum Schluss kraftvoll entlädt. "Suicide" von Spaceman 3 stand offensichtlich Pate für diese Nummer. Ein bewusstseinserweiternder, herrlicher Trip.
Das Zusammenspiel zwischen den akustischen Klängen der Band und Trentemøllers unterkühlten Klangkonstruktionen findet hier eine wunderbare Balance. Auf dem Album singen dagegen nur noch drei Vokalistinnen. Dadurch klingt "Fixion" wie aus einem Guss. Von der Livebesetzung profitiert der Longplayer dennoch. Die Tracks weisen trotz ihrer düsteren Grundierung eine lebhafte Dynamik auf.
Man räumt den produktionstechnischen Fähigkeiten des Dänen aber immer noch die volle Kontrolle ein. Im Studio produziert er die meisten seiner Songs im Alleingang und ergänzt sie um instrumentale und gesangliche Spuren. "Fixion" besitzt somit genug experimentelle Momente und ungewöhnliche Sounds.
Zwischen dreampoppig im 4-AD-Kosmos befindlichen Songs ("Redefine", "November"), wabernden, verdrogten Exkursen ("My Conviction") und stockdüsteren Zukunftsvisionen ("Spinning") mangelt es der Platte im weiteren Verlauf kaum an Abwechslung. Jenny Beth haucht auch "Complicated" noch einen guten Schuss Dramatik ein. Die Nummer steht Siouxsie & The Banshees ab der "Kaleidoscope"-Phase deutlich näher als The Cure. Beths Stimme kann man als genialen Glücksgriff bezeichnen. Eine Zusammenarbeit mit Potenzial für die Zukunft.
Trentemøller geht durch die reduziertere Herangehensweise und dem Verzicht von zu viel Beiwerk wieder einen Schritt in die richtige Richtung. Als schwermütiges, atmosphärisch dichtes Album mit vielen originellen 80er-Querverweisen erweitert "Fixion" seinem qualitativ hochwertigen Katalog um neue, interessante Facetten und unterstreicht die künstlerische Wandlungsfähigkeit des Skandinaviers eindrucksvoll.
6 Kommentare mit 7 Antworten
Jenny Beth ist nur einer der vielen erstaunlich günstigen Kunstgriffe, die dieser Elektromucker in den letzten Jahren für seine Diskografie gezeigt hat. Für seine erste "Harbour Boat Trips"-Kompi werde ich im wohl ewig dankbar sein, denn nur daher kenne ich die fantastischen "I got you on tape". Außerdem hat die Kompi langfristig verhindert, dass ich die unglaubliche Emiliana Torrini auf ihr zu der Zeit überpräsentes und nerviges "Jungle Drum" reduziere.
Danke für die Rezi, werde mit großem Interesse reinhören.
Du sagst, Emiliana Torrini ist nicht auf "Jungle Drum" zu reduzieren? Anspieltipps?
Smiley-Fail. Wollte so geschockt mit offenem Mund
: eek :
Persönlicher Goosebump-Track:
Lifesaver
https://www.youtube.com/watch?v=KVJQryTRtQE
(auch auf der Harbour Boat Trips-Kompi, sehr empfehlenswert.
Gelungen: Jefferson Airplane Cover
https://www.youtube.com/watch?v=ZWNQYNUo1LQ
Favorit auf Albenlänge: Fisherman's Woman von 2005
Zu gut, um hier ohne Link erwähnt zu bleiben:
I got you on tape
https://www.youtube.com/watch?v=RwqB-VlveBY
2005 (thx para) So lang ist die also schon around... danke erstmal!
Nach erstem Durchlauf: vollste Zustimmung zur Rezi!
"Lost" fand ich nach dem grandiosen "Itgwy" eher belanglos. Aber das hier bekommt ne Chance
"Lost" empfand ich bis auf ein paar Songs als einschläfernd. "Fixion" schafft eine fesselnde Atmosphäre.
Anwärter zum Albung des Jahres!
Anders als die vorherigen Produktionen von Trentemoeller, aber brilliant!
Ja, düster, spärisch und fett, nette Ideen, aber vielleicht etwas zu dick aufgetragen? Gibt es bei Amazon Prime. Einmal durchhören hat mir genügt. "The Last Resort" unreachable forever! Gut so.