laut.de-Kritik

Der Krautrock-Motor läuft - und zwar auf Hochtouren.

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Um Urlaub In Polen wurde es in der vergangenen Dekade ziemlich still. Die Veröffentlichung ihres letzten Longplayers "Boldstriker" liegt nämlich mehr als neun Jahre zurück. 2016 reaktivierten Drummer Jan Philipp Janzen (Von Spar) und Sänger Georg Brenner, der Gitarre, Bass-Moog und Elektronik gleichzeitig spielt, dann das Projekt für ein Jubiläumskonzert zum 20-jährigen Bestehen der Kölner Konzertlocation Gebäude 9. Anschließend war für Janzen klar, dass es mit Urlaub In Polen weitergehen muss. 2017 folgten noch weitere Liveshows. Danach ließen die zwei wieder einmal jahrelang nichts von sich hören. Nun legen die Kölner mit "All" ihr Comeback vor.

Das entführt schon zu Beginn mit der spacigen Ambient-Einleitung "Void" in die unendlichen Weiten des Weltalls. Danach läuft mit repetitiver Schlagzeug-Motorik und furztrockenem Bass in "Impulse Response" der Krautrock-Motor auf Hochtouren. Dazu gesellen sich noch verträumte Gitarreneinschübe in Anlehnung an Michael Rother und verfremdeter Gesang. Auch im weiteren Verlauf rückt das Duo rhythmisch größtenteils nicht von dieser Marchroute ab. Außerdem finden Elektro- und Chilltronica-Momente nur noch am Rande statt, nämlich in interludeartigen Tracks wie "2 Sec. Delay" oder "LTS", die lose die Brücke zu den längeren Nummern schlagen, sich aber gleichzeitig organisch in den Fluss des Albums einfügen.

Das birgt leider auch die Gefahr, dass die Songs zu sehr ins Monotone abgleiten, wie "T.H.D.T" verdeutlicht, das zwar ab der Mitte mit kraftvollen Drum-Einschüben und kosmischen Synthies aufwartet, aber ansonsten instrumental nur wenig nennenswert Spannendes zu bieten hat. Gut, dass die Kölner ab der zweiten Hälfte zunehmend die Kurve bekommen und sich stilistisch abwechslungsreicher zeigen. Spätestens wenn in "The Witcher" inmitten schwerelos psychedelischer Syd Barrett-Sphären wüste Heavy-Rock-Ausbrüche auftauchen, kann man sich dem mitreißenden Sog dieser Platte nicht mehr entziehen. Am Ende führt gar ein nächtliches Saxofon, gespielt von Axel Müller, in eine heruntergekommene Spelunke.

In "Overall" kreuzen dann auch mal afrikanisch anmutende Trommel- und Percussion-Rhythmen auf. Danach verbinden Urlaub In Polen in "The Hunter" Neu!-Motorik mit sphärischen New Wave-Keyboards, während mit dem schwerelos im Raum stehenden Gesang eine bowieske Poppigkeit hinzukommt. Gefährlich wird es aber auch, wenn man in der Mitte noisigen Saiten-Sounds im Sonic Youth-Stil begegnet. Eine Menge los also auf dieser Scheibe.

Zum Schluss halten die Kölner mit "Proxy Music" noch einen Hybrid aus Donna Summer und Talking Heads bereit, der mit lockeren Drum- und Percussion-Rhythmen, melancholischen Post-Punk-Klängen an den Saiten, pluckernden Sequenzer- und strahlenden Synthie-Tönen sowie ein paar beiläufig eingestreuten Zeilen ebenso eingängig wie entrückt klingt. Dadurch wähnt man sich auf irgendeiner Tanzfläche auf einem fremden Planeten in der fernen Zukunft.

Insgesamt entwickelt das Album eine völlig eigene Dynamik, so dass sich die einzelnen Bestandteile zu einem großen, schwebenden Ganzen verdichten. Die lange Wartezeit auf "All" hat sich somit definitiv gelohnt. Von den treibenden Live-Qualitäten Urlaub In Polens kann man sich ab April nächsten Jahres überzeugen, wenn die Band auf Deutschland-Tournee geht.

Trackliste

  1. 1. Void
  2. 2. Impulse Response
  3. 3. 2 Sec. Delay
  4. 4. T.H.D.T
  5. 5. Rodeo
  6. 6. The Witcher
  7. 7. Overall
  8. 8. The Hunter
  9. 9. LTS
  10. 10. Proxy Music

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