laut.de-Kritik
Barbusiger Jazz und deepe Funk-Orgasmen.
Review von Kai KoppSex sells! Unverblümt hascht das Cover nach (männlicher) Aufmerksamkeit. Nicht einfach nur eine laszive Pose in spärlichem Gewande ziert "The Cover Art Of Blue Note". Nein, eine dunkelhäutige Muse träumt geheimnisvoll, barbusig und bis auf die High Heels auch sonst vollkommen nackt von den angenehmen Dingen des Lebens. Diese offensive Freizügigkeit muss doch einen Grund haben! Das Häschenlogo führt auf die richtige Fährte, die Liner Notes geben bereitwillig Auskunft. "Mit dieser CD wächst zusammen, was zusammen gehört: Body & Soul, Playboy & Jazz".
In Kooperation mit dem Playboy-Magazin präsentiert Blue Note - DAS Jazzlabel schlechthin - 15 der schönsten Popsongs, interpretiert von den intimsten Stimmen, die der Jazz derzeit zu goutieren vermag. Norah Jones, über deren acht Grammys schon zur Genüge berichtet wurde, eröffnet den Playboy & Jazz-Reigen mit Roxy Musics "More Than This". Im Dialog mit Charlie Hunters Gitarre gedeiht aus der Bryan Ferry-Popperle eine schwül-bluesige Bossa-Blüte, die in lässig-entspannten Farben schillert.
Holly Cole, deren neues Album "Shade" ab 1.9.03 auf laut.de und in den Läden steht, traut sich gar an "Purple Rain". Richtig gehört! Die schlüpfrige Prince-Hammerballade, die 1984 die Betten der Nation erzittern ließ. Was die kanadische Jazzeuse aus der einstigen Kopulationsnummer herausholt, ist Liebe auf den zweiten Blick, denn die enorme emotionale Energie des Originals treibt sie in ein streichergetränktes Mainstream-Laken, an den entscheidenden Stellen mit Country getränkt. Cassandra Wilson setzt mit dem zweiten Prince-Cover noch eins drauf. "When Doves Cry" erscheint als deeper Funk-Orgasmus, den folgerichtigen ersten Höhepunkt liefert aber erst Dianne Reeves schweißtreibend arrangierte Version von "In Your Eyes" (Peter Gabriel).
Zeit, um mit Caecilie Norby ("Set Them Free" - Sting) die Swing-Zigarette danach zu rauchen. Als Country'n'Blues-Gespielin erweist sich Lou Rawls' und Ray Charles' "That's Where It's At". Das Feuer des Verlangens entzündet sich bei Patricia Barbers "Light My Fire" erneut. Umwogen von hawaiianischen Cool Jazz-Wellen nehme ich gerne ein Bad in der Interpretation der Doors-Hymne. Der folkige Mississippi-Blues, den Cassandra Wilson Bob Dylans "Shelter From The Storm" einhaucht, benebelt meine Sinne, die mit Holly Coles traurig-schöner Version von Tom Waits "I Want You" außer Gefecht gesetzt werden.
Als weitere Dienerinnen, die mich zur nahenden finalen Ekstase begleiten, fungieren Caecilie Norby ("Life On Mars" - David Bowie), Molly Johnson ("Ooh Child/Redemption Song" - Bob Marley) und Viktoria Tolstoy ("Baby Plays Around" - Elvis Costello). Letztere swingt übrigens als Ur-Ur-Enkelin des berühmten russischen Schriftstellers. Dann ist es soweit: Patricia Barbers "Black Magic Woman" schleudert mir mit genialem Orgelsound, rockigem Gitarrensolo und ausgedünntem Latin-Groove den Verstand aus dem Schädel. Meine feuchten Augen erhaschen einen letzten Blick auf die Cover-Elfe, bevor ich im nahenden Erschöpfungsschlaf Abschied von Santanas Fassung nehme.
Während ich mich in der rauen Wirklichkeit sabbernd und vor dem Schreibtisch kniend wiederfinde, kann und will ich die verführerischen Visionen, die "The Cover Art Of Blue Note" in mir weckt, nicht leugnen. Auf der Handlungsebene lässt sich daraus für Liebhaber stilvoller Nummern ein zwingender Erwerb des Häschensamplers ableiten. Denn wie sagte schon ein unbekannter Weiser: Das Leben ist voller Versuchungen. Es erfordert Mut und Kraft, ihnen nachzugeben.
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