laut.de-Kritik
Im Gleitflug über den Gedankennebel eines cleveren Stoners.
Review von Yannik GölzEs ist nicht wahnsinnig schwer, auch in sehr übersättigten Zeiten zumindest kurz Interesse an einem neuen Trap-Rapper zu wecken. Er oder sie könnte eine ungewöhnliche Art zu Flowen mitbringen, vielleicht sogar eine eigenwillige Stimme. Oder zu einer interessanten Rapstadt mit einem gesonderten Sound gehören. Vielleicht aber auch einfach nur eine originelle Type sein. All das hat Detroits Veeze: Der Mann hat diesen legeren, verstrahlten Too-Cool-for-School-Flow, gehört zur aktuellen Welle Detroit-Rap und ist ein sonderbarer, verschrobener Kerl mit einer unterhaltsam universellen Antihaltung. Wer frühe Songs wie "Law & Order" von ihm kennt, hat das mitbekommen. Viel schwerer als das ist, ein gelungenes Album aus diesem Material zu machen. Und jetzt, wo "Ganger" da ist, haben wir quasi einen Gold-Standard.
Grundsätzlich scheint man in der Hip Hop-Gegenwart ja zwei Arten von Artists differenzieren zu müssen. Die Kuratoren und die Sound-Experimentierer. Erstere sind die Kanyes und die Travis Scotts, die musikalisch flexibel sind und auf ihren Alben allen möglichen Artists einsetzen, die ihr Ding machen. Dagegen stehen dann oft die lokalen Rapper mit vielen Mixtapes, die die eingangs beschriebenen Merkmale mitbringen und Track für Track mit der selben Formel die beste Performance suchen. Man denke an 42 Dugg, Pooh Shiesty oder GloRilla.
Grundsätzlich traut man letzterer Gruppe weniger die Fähigkeit zum gelungenen Album zu. Veeze gehört zu dieser Kategorie Rapper, seine Songs sind im Laufe von "Ganger" nicht besonders innovativ oder feinsinnig geschliffen. Meistens macht jemand einen Beat an, und dann wird darauf gefreestylet, bis mal ein Part sitzt. Dass trotzdem ohne diese übergeordnete Kuration ein großartiges Tape entsteht, liegt an zwei Faktoren. Erstens: Veeze weiß ganz genau, wie er als MC rüberkommen will. Und zweitens: Er pickt durch die Bank großartige Beats.
Letzteres ist vielleicht der Punkt, der auch weniger Detroit-Interessierten Hörerinnen und Hörern den Weg in diese Platte eröffnen könnte. Die Produktion hier bringt ein paar unerschütterliche Grooves an den Start. Wie oft bei Detroit-Rap gehen viele der eruptiven 808-Knocks auf Kernproduzent Helluva zurück, dessen Einfluss hier spürbar ist. Es hat nicht die Glätte oder den Schimmer von Atlanta, Memphis oder Houston, sondern spielt zumeist mit diesem ruppigen, fast ein bisschen rustikalen Schaukler; die Bässe sind perkussiv eingesetzt, nicht melodisch, flechten sich auf Songs wie "No Sir Ski" zu magnetischen, tanzbaren Spuren zusammen.
Auf genau dem selben Song machen die Drums dann unregelmäßig auch diese kleinen Slides in unorthodoxe Rhythmen, die die Basis für Detroits-Flow legt, der oftmals als Offbeat-Rap gekennzeichnet wird; tatsächlich slidet auch Veeze hier und da aus den Pockets und wieder in sie hinein. Was sich ergibt, ist ein chaotischer Flow, der sich erst beim häufigeren Hören als unerwartet souverän und geplant zu erkennen gibt. Veeze nutzt diese chaotische Stimmung, um wie viele gute Trap-Punchlines aus dem Drogennebel-Dämmerlicht absurde Dinge zu sagen.
Sein Punchline-Stil ist also weder Big L noch Kollegah. Veeze spielt mit Erwartungshaltungen und erfreut sich an einem gekonnten Stilbruch. "I light a joint like Obama kid, give home tours like Bronny James" rappt er auf "GAIG", dicht gefolgt von "I'm marryin' a ho, my weddin' day, n*gga, Neveruary 28th". Genau, wie sein Flow vom Beat auf und ab skatet, hüllt er sich in ein paar phrasige Freestyle-Bars, um dann im unerwarteten Moment mit etwas Absurdkomischem ums Eck zu kommen. Es ist vielleicht etwas zu dumm, um es schlau zu nennen, aber dieser Mann ist eine trügerisch unterhaltsame, natürliche Präsenz am Mic, deren Unvorhersehbarkeit und Eingängigkeit sich mit jedem Song weiter entlarvt.
Trotzdem hat "Ganger" eine letzte Qualität, die die beiden Pole zusammenbringt. Das Album ist kein typisches Trap-Tape und Veeze kein typischer Rapper, auch, wenn er sich relativ geschlossen hinter seine Genre-Konventionen stellt. Das wird daran klar, dass die Stimmung dieses Albums weder grimmig noch albern ist. Er ist witzig, ohne dass der Humor übernimmt. Stattdessen bilden manche Songs surreale Pockets, die farbenfroh und fast ein bisschen psychedelisch wirken. Die optimistischen Gitarren auf "Safe 2" gegen den zähnefletschenden Trap-Groove, zum Beispiel. Oder "You Know I" mit seinem himmlischen Vocal-Sample.
Kein Song fängt Veezes Potential für einzigartige Stimmung jedoch mehr ein als das großartige "Weekend", auf dem er ein melancholisches Bossanova-Sample gegen seine übermüdetste Stimmung auffährt. Es ist ein Beat, der einiges auslösen kann. Aber fast kein Beat hier wirkt formelhaft. Jeder Song zeigt, dass die Freestyle-Vorstöße in Veezes Kopf erfreulich viel Unerwartetes und Farbenfrohes hervorbringen können. "Ganger" ist ein Gleitflug über den Gedankennebel eines cleveren Stoners, in dessen Hinterkopf sich komplexere und vielschichtigere Emotionen verbergen, als man erst annehmen würde.
1 Kommentar mit 7 Antworten
4 Punkte von Yanni. Sofort reingehört. Natürlich ein Track, vor dem jeder Künstler, der in seinem Leben schon mal Musik gehört hat, selbst seine Partition mit doofen Skizzen bewahren würde. Yannicks extreeemst mieser Geschmack enttäuscht einfach nie ♥
Jemand isst Bohnensuppe und hält sich ein Mic an die Poperze...5 Sterne. Mutig, frisch und raw shit.
Yannik zu dissen ist überover, Yannik ist nicht mehr relevant. Old Kid.
Ich will ihn nicht dissen. Wir schätzen seine drolligen Rezensionen doch sehr. Nur kann halt niemand hier, und vermutlich kaum jemand sonst wo da draussen, etwas mit seinen Empfehlungen anfangen. Wie konsequent und unbeirrt er trotzdem mit Kopfsprung in die größtmöglichen musikalischen Jauchegruben abtaucht, ist als respektabler Perk zu sehen.
"Yannik zu dissen ist überover, Yannik ist nicht mehr relevant. Old Kid"
Weißte was noch überover ist? User die ihren Namen in Großbuchstaben schreiben und zu allem ihre Meinung sagen. So einen hamwa hier schon, also lösch dich.
Und Ynk wird geknechtet bis in alle Ewigkeit, ma sagen. ♥
Yannik seine Empfehlungen sind Top. Meines Erachtens nach der einzige auf dieser Seite, der sich wirklich mit dem aktuellen Underground trends und der Entwicklung von Trap wirklich auseinander setzt. Und Leute die dieses Tape haten sollten einfach mal ihre musikalische Komfortzone verlassen. 4/5 passt. Detroit ist das Interessanteste was Rap aktuell zu bieten hat.
Die Speerspitze des Drecks bleibt eben immer noch Dreck. Wobei die Rezension ihr mögliches tut, einem diesen Dreck zu verkaufen.
Ist ja nur mir meine Meinung über Yannik seinen Musikgeschmack.