laut.de-Kritik

Eine musikalische Menschenrechtsverletzung.

Review von

Manchmal frage ich mich, warum ich das hier eigentlich mache. Und ob ich der Richtige für das neue Vincent Gross-Album bin oder ob sich damit nicht lieber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befassen sollte. Schließlich verbietet die Menschenrechtskonvention Folter – und "Prost!" folterte meine Psyche ganz gehörig, während mich Gross mit immergleichem Hollywood-Grinsen aus leblosen Augen anstarrt. Eine Schande, dass mich das laut.de-Wertungssystem dazu zwingt, diesem musikalischen Delikt mindestens einen Stern zu geben.

"Prost!" erschien auch als Getränkekarten-Edition, also die CD außen an einem billigen Büchlein befestigt. Drin gibt’s dann je Song ein überhaupt nicht KI-generiert klingendes Getränkerezept, beispielsweise "Poseidons Ouzo-Peitsche" oder den "Holunder-Schlürfi deluxe". Trotzdem könnte in diese Rezepte mehr Kreativität als in die Album-Songs geflossen sein. Fürs "Songwriting" schnappte sich Gross wahrscheinlich eine Ballermann-Getränkekarte und verwandelte sie mit billigsten Reimen in deutsche Schunkelschlager (und noch Grässlicheres).

Obwohl die Single "Ouzo" bereits vor über zwei Jahren erschien, darf sie als billig produzierter Opener die Messlatte fürs Album direkt auf den Boden legen. "Ich trink Ouzo, was trinkst denn du so?" – zwischen Griechenlandklischee und Schlagernonsens. "Aperol Spritz" ist minimal schneller, aber genauso belanglos: "Ich trink heut', das ist kein Witz: Aperol, Aperol, Aperol Spritz." Dass Gross das aufrichtig durchperformt, lässt tief blicken: Für einen halbwegs ordentlichen Taler würde er vermutlich auch seine Großmutter verkaufen.

"Bier" unterscheidet sich von den ersten beiden Tracks nur anhand des Walzertakts, ansonsten geht's halt um Bier statt Aperol. Auch hier reichen für den halben Refrain zwei billig gereimte Verse, die so simpel gestrickt sind, dass sie jede Schnapsleiche noch mitlallen kann: "Komm trink ein Bier mit mir und ich trink eins mit dir." Kreativität gleich null, Anspruch ebenfalls.

Doch "Prost!" überraschte mich sogar kurz mit "Drinking Wine Feeling Fine (feat. Olaf der Flipper)": Olaf lebt ja noch! Talent bringt er aber auch nicht mit. So bleibt es beim sich wiederholenden Prinzip des billigsten Spirituosen-Reims, der (warum auch immer) nach dem dritten Glas Discounterwein bei halbdementen Ü60-Elfriedes richtig reinzuhauen scheint: "Drinking Wine Feeling Fine. Sommer, Sonne, Sonnenschein." Ich kotze im Strahl.

Doch schlimmer noch: Der Song begeht rücksichtslos rhythmischen Diebstahl – und unterstreicht nicht nur die Kreativlosigkeit des Albums, sondern zeigt auch, wie wenig Arbeitsaufwand reingeflossen sein muss. Nach ein wenig "la-la-la-la" auf Schunkel-Müll bedienen sich die inhaltsleeren Strophen eins zu eins an Reinhard Meys Gesangsduktus aus "Über den Wolken". Letztes Jahr musste Mey noch ein Duett in der Helene Fischer Show über sich ergehen lassen und jetzt das – lasst den armen Mann doch in Ruhe!

Doch Gross legt noch eine Schippe drauf: "Rum" mischt die klassischen zwei Spirituosen-Reime und Seefahrermusik für Dorf-Günthers mit 5 Promille: "Sieben Rum, sieben Rum, hauten sieben Männer um." Mehr Text gibt's kaum, dafür wieder reichlich "la-la-la-la" und rhythmisches Rufen von "vor" und "zurück". Live fordert Gross das Publikum an dieser Stelle auf, sich hinzusetzen und dazu pantomimisch zu rudern. Quasi Hobby Horsing für alle über 35 mit Alkoholproblem. Immerhin, hier schwingt Genugtuung mit: Wer die Musik ernsthaft gut findet, bekommt endlich, was er verdient.

"Ich hab 'ne Oma auf Föhr, die trinkt am Morgen einen Eierlikör" – wie der Song mit diesem Refrain wohl heißt? Danach wird's bei "Glühwein" weihnachtlich und ein Glockenstab ausgepackt, der schief zu einem unpassend treibenden Elektro-Beat übergeht. Bei diesem Track war Gross textlich besonders sparsam, der Reim braucht diesmal nur einen Vers: "Glühwein - schenk ein". Danach folgt sogar ein Song, der sich nicht um Alkohol dreht – das Prinzip bleibt trotzdem gleich: "Heute gehn wir backen, richtig lecker, lecker Sachen."

Mit "Happy Birthday" liefert Gross schließlich den perfekten Soundtrack für eine Geburtstagsfeier in Guantánamo. "Camping" kommt als erstaunlich infantiler Bumms-Song daher: "Dann rappelt's im Karton, digi-dong, digi-dong." Der beste Gag des Albums ist der Tracktitel "MALLEdiven", für den ich mich dennoch fremdschäme. Auch das abschließende Feature mit TikTok-Produzent Pazoo bleibt ein Tiefpunkt, obwohl Gross dafür extra den über 75 Jahre alten Text von Kurt Feltz nochmals ausgrub: "Wer Soll Das Bezahlen".

Ich frage mich stattdessen, wer mir jetzt meine Lebenszeit zurückgibt – und idealerweise auch wieder etwas Lebenswillen schenkt. "Prost!" ist vom ersten Ouzo bis zum letzten Glühwein kreativlose Zumutung und ästhetische Körperverletzung – selten hat mir Musik so weh getan.

Trackliste

  1. 1. Ouzo
  2. 2. Aperol Spritz
  3. 3. Bier
  4. 4. Drinking Wine Feeling Fine (feat. Olaf der Flipper)
  5. 5. Rum
  6. 6. Eierlikör
  7. 7. Glühwein
  8. 8. Heute Gehn Wir Backen
  9. 9. Happy Birthday
  10. 10. Camping
  11. 11. MALLEdiven
  12. 12. Wer Soll Das Bezahlen

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10 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 20 Tagen

    Die Tracklist ist ja auch geil. Die erste Hälfte ist konsequent nach alkoholhaltigen Getränken benannt, aber danach hatte der Dude keine Lust mehr auf ein Konzeptalbum über's Saufen.

    • Vor 19 Tagen

      Ja, und immerhin hat er sich an "Bier auf Wein, das lass sein!" gehalten.
      Ob aber Glühwein auf Eierlikör auf Rum bekömmlicher ist, weiß ich nicht. Genauso wenig, wie ich mir jemals auch nur einen Takt dieser "Musik" geben werde...

  • Vor 19 Tagen

    Einmal ganz abgesehen von der musikalischen "Qualität" dieses Schmutzes finde ich es sehr bedenklich eine Droge so abzufeiern.
    Ja, gibt es auch in ernst zunehmender Musik. Kann dem da aber auch nichts abgewinnen. Und nein, ich bin kein Abstinentler oder trockener.

  • Vor 18 Tagen

    Mir ist nicht ganz klar, warum man so etwas überhaupt „rezensiert“, außer man findet letztendlich Gefallen am Schreiben lustiger Rants, sowie beim lesen eben solcher. Im übrigen wird dieser Kommentar in 2 Tagen durch den Autor entfernt.

    • Vor 17 Tagen

      Man rezensiert so etwas denke ich aus dem einfachen und zwingenden Grund, dass man von seinem Vorgesetzten die Anweisung dazu bekommt.

    • Vor 17 Tagen

      Laut.de macht nicht Geld damit, dass Menschen mit guter neuer Musik konfrontiert werden (das ist nur ein positiver Nebeneffekt des Ganzen), sondern damit, dass Leute ihre Artikel lesen. Und Leute lieben es, über Kackmusik abzulästern und ihre Meinung über Kackmusik bestätigt zu sehen.

    • Vor 17 Tagen

      "Und Leute lieben es, über Kackmusik abzulästern"

      Dafür fallen die Reaktionen hier aber recht milde aus, ma sagen. Was selbstverständlich für die Userschaft spricht! Man hat endlich den Wert von Ungehört 1/5 verinnerlicht und ignoriert beschissene Scheißmusik einfach. Ich nenne es die "glückselige Apathie".