laut.de-Kritik
Nie zuvor klang eine Punk-Band so romantisch.
Review von Jasmin Lütz"Was war deine erste Liebe?" werden Künstler oft in Interviews gefragt. Die Antwort sollte immer heißen: "Das Debüt von Violent Femmes", zumindest wenn man in den 80ern Teenager war. Zu der Zeit sind diese wuchtigen Songs eine kleine Punkrock-Revolution. Während die einen "No Future" grölen, singen die amerikanischen Folk-Punker mit einfühlsamen, prägenden Worten und hymnengleichen Melodien über Bedürfnisse, Vertrauen, Herzschmerz und andere Katastrophen der Liebe.
Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab. Nicht nur bei Teenagern, das werden die Herren Femmes auch selber noch später in ihrem Bandgefüge zu spüren bekommen. Das selbstbetitelte Album ist für viele Violent Femmes-Anhänger eine Offenbarung, Kultstatus hat es sowieso. Und man musste noch nicht mal Punk sein, um auf die Band aus Milwaukee aufmerksam zu werden. Die meisten Songs liefen auf diversen Partys und prägten sich sofort ins Gedächtnis ein oder sie landeten auf einem Mix-Tape und machten somit die lokale Runde.
"Blister In The Sun" gehörte auf jeden Fall auf die Lieblings-Kassette. Man munkelt, der damals 18-jährige Songschreiber Gordon Gano besinge hier die Masturbation. Es rumpelt, scheppert und jault im Proberaum - authentisch und irgendwie befreiend klingen Violent Femmes. Ganos mauliger Gesang, klingt wie "eine Biene in einem Plastikbecher" (so beschrieb Schriftstellerin J.K. Rowling seine Stimme). Brian Ritchies Bassgitarren-Vibration, gerne auch mal akustisch, garantiert die perfekte Harmonie im Rock'n'Roll-Rotz-Debüt. Folk- und Country-Melodien vertragen sich mit schnoddriger Punkrock-Attitüde und verschmelzen zu mitgrölbaren Kult-Hits.
"Violent Femmes" ist ein herrlich motziges Highschool-Album und enthält simple Worte mit tiefer Bedeutung. Dynamische Emotionen, oft verzweifelt und immer wieder gespickt mit der feinen Ironie eines Gordon Ganos. Ein ähnlicher Humor ist auch bei Jonathan Richman zu hören, aber das hört der Violent Femmes-Sänger nicht so gerne. Er möchte lieber mit Steve Wynn von The Dream Syndicate in Verbindung gebracht werden. Während die einen über "Teenage Kicks" sangen, schwadroniert Gano über die "Teenage Angst" ("Kiss Off"). Auch viele Jahre später wird der Mann einem aus der Seele sprechen, und man fragt sich immer noch: "Was zum Teufel verbirgt sich hinter Nummer 8? Hat sich Gano jemals daran erinnert?": "I take one, one, one 'cause you left me, and two, two, two for my family, and three, three, three for my heartache, and four, four, four for my headaches, and five, five, five for my lonelyness, and six, six, six for my sorrow, and seven, seven for no tomorrow, and eight eight I forget what eight was for and nine nine nine for a lost God, ten, ten, ten, ten for everything, everything, everything, everything. ".
Das Schlagzeug rumpelt und besteht eigentlich nur aus einer Snare, Stand Tom und Crash-Becken. Es wird bevorzugt im Stehen getrommelt. Gründungsmitglied Victor DeLorenzo bearbeitet zu der Zeit noch die Felle (1993 übergibt er an Guy Hoffman (1994-2002), ehe er 2005 wieder übernimmt. Ab 2013 scheppert es dann mit Brian Viglione (The Dresden Dolls) weiter bei den Violent Femmes).
Die Liebe ist oft ein Arschloch und das weiß auch ein Heranwachsender, der über seine Gefühle und Liebeskummer schreibt ("Please Do Not Go"). Die bittersüßen Texte sind leicht zu merken, auch ohne größeren englischen Wortschatz hängt man dem Sänger bei jeder Zeile grölend an den Lippen. Der Bass spielt und schmiegt sich dabei förmlich in die Seele des Sängers ein und begleitet die quirligen Melodien.
Der A-Capella-Gesang zu Beginn von "Add It Up" wirkt hypnotisch. Widerstandslos lauscht man Ganos Singstimme, bevor Schlagzeug, Gitarre und Bass energisch loslegen und der Song zur ekstatischen Hymne mutiert. Und hat er wirklich "Fuck" gesungen? Da rasten natürlich alle Jugendlichen total aus, damals zumindest. Volle Dröhnung Punk, aber irgendwie auch nicht, weil sie so gar nicht englisch klingen. Aber die DIY-Attitüde kommt voll rüber, das liegt nicht nur am Schnodder-Gesang, dem knarzenden Bass, dem minimalistischen Schlagwerk, das dir kraftvoll in die Birne hämmert, sondern auch an der dreckig-eingespielten Aufnahme. Beim Schreiben des Songs hängt Gordon frustriert in seinem Zimmer ab. Nichts zu tun und irgendwie auch kein Plan, was er machen soll. "Why can't I get just one fuck? Why can't I get just one fuck? I guess it's got something to do with luck but I waited my whole life for just one ..."
Fast schon versöhnlich klingt dagegen "Promise": "You know that I want your loving, but Mr. Logic tells me that it ain't never gonna happen." Das schmissige "Gonne Daddy Gone" mit Xylophone-Impressionen von Brian Ritchie und einem Songtitel-Zitat von Willie Dixons "I Just Want To Make Love To You". Den Song gibt es auch noch als crazy Coverversion von Gnarls Barkley.
Zehn Songs und keine 40 Minuten später kann man locker noch mal alles wieder von vorne anhören. Man bevorzugt eben das gute Gefühl und will natürlich, dass diese Emotion lange anhält so wie beim finalen "Good Feeling": "Good feeling, won't you stay with me, just a little longer." Selten klang eine Punk-Folkband so romantisch - Gano war gerade mal 15 Jahre, als er diese zärtlichen Zeilen schrieb.
Auf "Violent Femmes", das auf dem LA Label Slash Records (Faith No More, Asian Dub Foundation, L7) erschien, folgten noch weitere Alben. Aber keines konnte der ersten Platte das Wasser reichen. In den 80ern galten Violent Femmes noch als Underground-Tip. Erst in den 90ern erhielten sie das Prädikat wertvoll und kamen mit ihrem selbstbetitelten Erstlingswerk in die Charts. Nicht umsonst reiht es sich auch in diverse Listen der besten Debüt-Alben aller Zeiten.
Einzelne Songs bekamen immer mehr Aufmerksamkeit, so sang zum Beispiel Ethan Hawk "Add It Up" für Winona Ryder im Film "Reality Bites". Die Rebellion von damals berührt immer noch Herz und Seele. Trotz anhaltender Unstimmigkeiten innerhalb der Band sind Violent Femmes auch als Punk-Opis auf Tour. Und natürlich müssen sie alle Hits spielen, und jeder, der die Platte von 1983 kennt, wird enthusiastisch jede Zeile mitgrölen. Hört mehr Violent Femmes und spielt dieses Album euren Kindern und Enkeln vor. "Did I happen to mention that I'm impressed?"
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Die Platte hat damals eingeschlagen wie eine Bombe. Sehr verdienter Meilenstein, wundert mich dass die Scheibe nicht schon seit Gründung von laut.de einer war.
Neuer Sound, sehr starkes Album mit durchgängig guten bis sehr guten Songs. 5/5, klar. Der Nachfolger war düsterer aber auch noch gut. Danach wurde es dünner. Ein Aha Effekt gab es dann nochmal mit Beitrag zum OST The Crow: Color me Once.
Überfällig. Es ist erstaunlich, wie frisch Songs wie "Blister in the Sun" und "Gone Daddy Gone" nach 35 Jahren immer noch klingen.
Der Überschrift muss ich aber widersprechen. The Undertones waren für eine Punk-Band auch eher sensibel unterwegs.
Violent Femmes waren nur nie eine Punk Band, daran ändert auch nichts, dass sie von Euch unter dieses Genre subsumiert werden.
Alternative ja, ein bemerkenswertes Album auf jeden Fall, aber Punk - niemals!
Anfang der 80er war alles "Punk", das irgendwie ungestüm klang.
Wird ja auch nicht nur hier so eingeordnet
Toller und berechtigter Stein, das Beste an den Amis waren immer die Live Shows...das Schlagzeug löste immer leichtes Schmunzeln aus(also ich meine die Optik)...sonnst war das für die Zeit damals einfach erfrischend einfach...und verdammt gut!!!.
P.S. "Blister in the sun" läuft bei mir auch nach 35 Jahren immer noch ca 1 Mal im Monat...geile Nummer!!!