laut.de-Kritik
Richtungswechsel oder Pop-Exkurs?
Review von Josephine Maria BayerWer auf Grunge steht, dürfte von der neuen Wolf Alice-Platte etwas enttäuscht sein. Denn mit "The Clearing", ihrem vierten Studioalbum, stimmt das britische Quartett deutlich mildere Töne an. Wolf Alice schäkern mit Retro-Vibes und setzen dank Produzenten Greg Kurstin (Adele, Charli XCX, Carly Rae Jepsen) gleichzeitig auf einen glatteren, poppigeren Sound.
Schon im Opener "Thorns" läuten orchestrale Begleitung und Gospel-Einflüsse einen Kontrast zu den Vorgängeralben ein. Die Streicher tauchen an verschiedenen Stellen wieder auf, ohne schmalzig zu wirken. Die Klavier- und Bassbegleitung in "Bread Butter Tea Sugar" erinnert an McCartney. Das Piano-Intro von "Bloom Baby Bloom" weckt Jazz-Assoziationen.
Ihrem scharfsinnigen Songwriting sind Wolf Alice treu geblieben. Plumpe "Girl-meets-Boy"-Texte sucht man hier vergebens. Stattdessen gehen Wolf Alice an die Substanz und formulieren tiefsinnige, komplizierte Gedanken. Dabei zelebrieren sie intime Frauenfreundschaften ("Just Two Girls"), reflektieren familiäre Herkunft und Identität ("White Horses") sowie emotionale Abhängigkeit in romantischen Beziehungen ("Bread Butter Tea Sugar") und beschreiben psychische Verletzlichkeit ("Thorns"): Alles Themen, die in unserer Gesellschaft oft viel zu kurz kommen. Bei all der durchaus faszinierenden Komplexität der Songtexte droht die Gefahr, die einfachen Freuden im Leben aus den Augen zu verlieren. Die Songs folgen eher dem Motto "Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?". Die poppige Leichtigkeit von "Passenger Seat" gleicht diese Anspannung mit seinem Roadtrip-Gefühl aus: "I wanna feel the wind in my hair, can you roll down the roof?" Aber auch hier schwingt eine Prise Drama mit: "It's a power play, you take the wheel and I'll stay"
Einen Ausverkauf an den 0815-Pop-Mainstream kann man ihnen jedenfalls nur schwer vorwerfen, wenngleich die doch etwas brave Produktion auf mehr Massentauglichkeit ausgelegt ist. "Bloom Baby Bloom" bildet die rockig-verrückte Ausnahme, in der Ellie Rowsells ausdrucksstarke Stimme besonders selbstbewusst strahlt. In den Strophen von "White Horses" steuert Schlagzeuger Joel Amey die Vocals bei: "It's my choice to choose who I embrace as family." Ellie antwortet mit einem Nordic Folk-artigen Refrain: "Know who I am, that's important to me." Elfenhaft folkig klingt auch der sanfte "Midnight Song".
Statt auf die gewohnten rockigen Töne setzt "The Clearing" auf experimentellen Pop und ausdrucksreiches, vielschichtiges Songwriting, das die emotionale Tiefe und den inneren Reifeprozess der Band widerspiegelt. Auf ein bestimmtes Genre wollten sie sich dieses Mal offensichtlich nicht festlegen. Es bleibt abzuwarten, ob "The Clearing" sich als Exkurs oder Richtungswechsel entpuppt.
3 Kommentare
4 Sterne? Seid ihr alle besoffen. Ich habe mich auf das Album gefreut und dann liefern die so eine so seichte Frechheit ab.
Ich kann damit auch nichts anfangen. Schade, denn „Blue Weekend“ war richtig toll.
Ich habs ein paar Mal gehört und es ist schon ein geiler Pastiche und läuft beim Frühstücken gut durch, aber mir fehlt dann doch auch das Eigene, das Blue Weekend und My Love is cool hatten.