laut.de-Kritik
Disco-Könige, Easy-Listening-Knechte.
Review von Dennis RiegerGitarrist Erik Bandt greift lässig in die Saiten, ehe Drummer Kees Berkers und Remy Scheren (Bass) einsetzen. Robbert Verwijlens Keyboardsounds mit fernöstlicher Klangfärbung veredeln "The Year Of The Rabbit" schließlich und sorgen für eine entspannte Räucherstäbchenatmosphäre. Der Song ist tanzbar, eingängig, dicht instrumentiert, driftet nie in Ethno-Kitsch ab und bereitet große Vorfreude auf den Rest von "Mount Matsu".
Es gibt Bands, die 'Weltmusik'-Elemente in ihre Songs integrieren, es gibt Psychedelic-Rock-Bands, es gibt Retrodisco-Enthusiasten, es gibt Drumsession-Experten, es gibt Musiker, die dem Ambientbereich frönen. Und es gibt YIN YIN. Die Niederländer decken alle genannten musikalischen Bereiche ab und vermischen bekannte Zutaten in einem eigenständigen Gebräu.
Dabei variiert die Gewichtung der Zutaten von LP zu LP. Während das Debüt "The Rabbit That Hunts Tigers" seinen Fokus auf mit südostasiatischen Klängen angereicherten Indierock im Fahrwasser von Khruangbin und den frühen Tame Impala legte, überraschte der Nachfolger "The Age Of Aquarius" mit seiner unüberhörbaren Konzentration auf Italo-Disco-Reminiszenzen.
Und nun? Verweilen YIN YIN noch ein bisschen länger in der Retrodisco, klingen aber weniger nach Moroder-Plastik als auf dem Vorgänger, sondern organischer, weil sie die aufdringlichen Synthies großteils in der Ecke verstauben lassen. Gut so!
Mit "Takahashi Timing" geht es groovy weiter, diesmal flirtet man auch mit dem Funk. Für das bei YIN YIN fast schon obligatorische Asien-Feeling sorgt einmal mehr das gefühlte Lieblingsinstrument der Band, eine Guzheng. Da Robbert Verwijlen außerdem für kurze Zeit den Staub auf seinem Synthesizer entfernt und eine Floskel wie "Never too late!" relativ penetrant wiederholt wird, wie es vor 40 Jahren in den Tanzbuden gang und gäbe war, versprühen die Maastricher Jungs auf dem zweiten Song starke Endsiebziger- und Anfang-80er-Vibes. Wem das Electric Light Orchestra zu "Discovery"-Zeiten zusagt, dürfte auch Gefallen an "Takahashi Timing" finden.
Auch "Pia Dance" führt mit fernöstlich anmutenden Keyboardsounds schnurstracks in die fröhlich-psychedelische Retrodisco. Nicht nur wegen der durch den Vocoder gejagten, den Satz "Pia, you make me wanna dance" wiederholenden Stimme könnten in die YIN-YIN-Kunst bis dato uneingeweihte Indiefreunde glauben, eine bisher unveröffentlichte Single aus besten Caribou-Zeiten zu hören. Die dichte Instrumentierung sorgt einmal mehr dafür, dass die einfach gehaltenen Melodien nicht so schnell langweilig werden. Ein gelungener Ohrwurm – auch, wenn ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen will, dass die einzigen beiden gesungenen Sätze des Songs nach einigen Hördurchgängen nur noch an den Nerven zehren werden.
Und dann? Ist erst mal Schluss mit Disco. Auf "Tam Tam" präsentiert die Band entspannten Indierock mit leicht psychedelischem Einschlag, auf "The Perseverance Of Sano" jammen die Jungs mit Westerngitarre und spooky Keyboardsound drauflos. Einerseits erweisen sich die beiden Songs als recht gelungen, andererseits bremsen sie den Albumfluss aus.
Nach der Disco und der Jamsession geht es ins Bett: Eine Spieluhrmelodie läutet "Komori Uta" ein. Ob ans Schlafen zu denken ist, bleibt für alle Hörerinnen und Hörer ohne Japanisch-Kenntnisse unklar. Jedenfalls lässt die Band eine Frauenstimme etwas hauchen, das recht lasziv klingt. Die Fraktion, die der Band wegen ihrer überdeutlich hörbaren fernöstlichen musikalischen Beeinflussung von Beginn an "CULTURAL APPROPRIATION!" entgegenschrie, wird durch die Auswahl eines sämtliche Asia-Erotik-Klischees erfüllenden Samples sicher nicht leiser. Man muss nicht in den hysterischen Chor der sogenannten Identitätslinken einstimmen, um die Meinung zu vertreten, dass das Sample tatsächlich fehl am Platz ist.
Nach dem nicht auskomponiert wirkenden "The Year Of The Tiger", einem Ambient-Midtempopop-Hybrid mit recht penetrantem Männerchor der Marke 'möglichst klischeehafte tibetische Mönche', geht es zum Glück wieder in den Club, genauer gesagt in die "Tokyo Disko". Insbesondere Kees Berkers an der Percussion sorgt abermals für vibrierende Beine.
Leider statten YIN YIN der Disco in der japanischen Hauptstadt lediglich einen kurzen Besuch ab. "Shiatsu For Dinner" schmalzt mit Soft-Rock-Gitarre und gewispertem Songtitel haarscharf an der Grenze zum unerträglichen Kitsch vorbei. Der Song geht nahtlos in "White Storm" über, einen jamsessionartigen Track, der sich nicht wirklich in den Albumfluss einfügt. Beide Felder beackern die US-Kollegen von Khruangbin in ähnlichem Soundgewand wesentlich eleganter.
Zum Abschluss beweisen YIN YIN mit "Ascending To Matsu's Height" noch, dass sie durchaus gelungene Ambienttracks aufnehmen können. Einmal mehr hilft eine Guzheng, dem Song einen eigenen Stempel aufzudrücken.
Aufgrund der hervorragenden Discosongs auf ihrer dritten LP hege ich die Hoffnung, dass die Band sich auf einem etwaigen Album Nummer vier stilistisch einheitlicher zeigen und sich auf ihre größte Stärke besinnen wird: tanzbare Uptemposongs. Balladen und Rocksongs mit Jamcharakter fallen den Maastrichter Jungs mit Fernostweh hörbar schwerer, erst in der Disco blühen sie auf. Meine Herren, ihr könntet in Vollzeit (Retro)Disco-Könige sein! Seid in Zukunft also bitte keine Teilzeit-Easy-Listening-Knechte mehr!
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