laut.de-Kritik
Die Rehabilitierung der Tagträume.
Review von Yannik GölzNachdem Yeule mit ihren ersten drei Alben quasi den Triumphzug durch die Weirdcore-Community angetreten ist, war es nur eine Frage der Zeit, dass they endlich auch mal so etwas wie ein polarisierendes Album veröffentlichen würde. "Serotonin II", "Glitch Princess" und "Softscares" haben bisher nämlich geradezu eine zu perfekt kohärente Linie dargestellt. Dazu gehören geschmackvolle, aber irgendwie doch abseitige und übersichtliche Genre-Fusionen, ein absolut unantastbarer Geschmack für Mode und Inszenierung und zuletzt immer wieder dazwischen aufflackernde Momente von ergreifender, schonungsloser Songwriting-Fähigkeit, die den alles zerfickenden Aesthetics das Herz und die Seele gegeben haben.
"Evangelic Girl Is A Gun" ist das erste Album von Yeule, das weniger beschäftig mit Confessions scheint. Dieses Tape hat kein "Don't Be So Hard On Your Own Beauty" oder kein "Pocky Boy". Es ist eine dreißigminütige Stilübung, viel mehr in character als ihre bisherige Arbeit und quasi über die komplette Dauer Style over Substance. Es ist klar und absichtlich das am wenigsten substantielle Album ihrer Diskographie.
Aber, die gute Nachricht: Der Stil, den they über den Lauf des Tapes auf sich schneidert, ist einer der coolsten überhaupt. "Evangelic Girl Is A Gun" ist Yeules TripHop-Album. Und nicht nur lädt they sich selbst und ein paar talentierte Freunde wie Mura Masa oder A.G. Cook ein, sich mal am Massive Attack-Genre auszuprobieren, they aktualisiert dadurch den Sound noch um die sowieso schon etablierten ästhetischen Ideen ihrer bisherigen Musik. Wir bekommen also ein Tape voll digitaler Tagträume, das trippigen Neunziger-Sounds mit einer gehörig schönen Portion seltsamen, modernen Glitch-Pops ergänzt.
Das gibt dann Raum, in den Songs wirklich die edgy Noir-Film-Fantasien in Songs zu bannen. Viele Lyrics sind späte Tumblr-Tagträume, ein klein bisschen lyrische Finesse von den Badboy-OCs, die katholisch erzogene Goths damals so geschrieben haben. Diese Passage auf "Dudu" zum Beispiel: "Ripped my painting off the frame / Threw it in the poison rain / I screamed and screamed and screamed your name / All my paint was washed away / I chased the sun, I chased the flames / Through the fire, through the vein / Cut a line, have a cry / Unstable butterfly". Natürlich ist das nur ein recht stumpfes Aneinanderreihen von ästhetischen Signalwörtern mit angsty Unterton. Aber es ist das Gesamtpaket aus Vocal Editing, Mix und Form, die diesen Tagträumereien die Coolness gibt.
Es zieht sich über das ganze Album: "She's dark and divine / Sacrificial lamp of mine", "She is picture perfect porcelain / Gone too fast again", "Melancholically, stuck in a fantasy / Supernatural enemies / Eyes to the sky, getting eaten by / A boy with sharp teeth in a black tie" - es fühlt sich ein bisschen an, als wäre der Auftrag dieses Albums an sich selbst, all die uncoolen Fantasien, die wir mit vierzehn hatten, zu rehabilitieren. Als wolle Yeule den uncoolsten Social Media-Phasen unserer aller Leben die Würde zurückgeben.
Und natürlich geht das nur, wenn they dafür ein so perfekt unantastbares, überkandidelt cooles, sexy Soundbild findet. Und Tatsache, es ist für them bisher das am wenigsten variantenreiche Projekt und es bewegt sich alles in einem nicht gerade halsbrecherischen Tempo. Aber die acidy analogen Basslines, die komplett verstrahlten Synthesizer, das trippy Gefühl, dass alles ein bisschen verglitcht und verspult klingt. Das sind genau die Soundkulissen, die Portishead heute machen würden, wenn sie noch im Game wären. Dieses Album klingt nach David Lynch-Film und nach Film Noir. Und wenn es schon nicht sehr deep ist, macht es allein damit doch schon eine Menge Spaß.
Aber man muss es Yeule auch einfach als Performer lassen: They wirkt allein über die bis zur Unkenntlichkeit gelayerten und editierten Stimme, aber auch mit der völlig ausufernden Fashion oft wie ein sehr irrealer Mensch. Manchmal fühlt es sich deswegen fast strange an, dass they nachlesbare Lyrics zu Papier bringt - und nicht in irgendeiner Aliensprache kommuniziert. Aber irgendwo in dem Overkill der Coolness war they sich nie zu schade, mit Schmackes uncool zu sein. "Evangelic Girl Is A Gun" ist absoluter Camp, nur halt nicht für die Ballrooms, sondern für terminally online, neurodivergente Weirdos. Und was könnte cooler sein, als all das Uncoole der eigenen Gruppe militant für cool zu erklären?
2 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 14 Minuten durch den Autor entfernt.
"Evangelic Girl Is A Gun" ist Yeules TripHop-Album.
"Evangelic Girl Is A Gun" ist absoluter Camp, nur halt nicht für die Ballrooms, sondern für terminally online, neurodivergente Weirdos."
Von der Beschreibung mein Album des Jahres, aber Erika de Casier hat schon stark vorgelegt. Zu stark.