laut.de-Kritik

Auch mit Stil und Charakter kann man ziemlich dröge Musik machen.

Review von

Hurn war schon zur ersten Stunde der schrägste und eigensinnigste Charakter der deutschsprachigen Trap-Welle. Damals, als die rappenden Internet-Kids in Ermangelung eines wirklichen Verständnisses noch Cloud-Rap genannt wurden, niemand so recht damit umgehen konnte und wusste, was da eigentlich entstanden ist. Inzwischen ist er ein ausgewachsener Posterboy, geadelt vom Feuilleton. Seine Fanbase ist gespalten in Leute, die ihn für ein avantgardistisches Phänomen halten, und solche, die ihn als skurriles Leftover der MoneyBoy-Ära verstehen. Sein Selbstverständnis zielt auf Erstgenanntes.

Deutlich bewegt sich "1220" von der deutschen Sphäre fort. Die Produktion greift nach Synth-Tönen, die man sonst vielleicht bei moderneren 808 Mafia-Projekten hört. Diese setzt öfter auf flackernde, pulsierende Pattern und zurückhaltende, unaufdringliche Knocks. Material, zu dem auch Famous Dex oder Lil Uzi Vert greifen könnten, angereichert mit analogem Achtziger-Kitsch, der gar nicht so schlecht zu Hurns Darstellung von Wien passt.

Das spielt natürlich eine große Rolle. Die Postleitzahl des Bezirks Donaustadt verlieh dem Projekt seinen Titel "1220", und die dort anscheinend sesshaft gewordene Hipster-Schickeria gibt den Puls vor. Was beim "Krocha"-Tape auf Nummern wie "Bi Ba Butzemann Freestyle" noch irgendwie treffend unter Dadaismus lief, scheint sich nun zu einer schrägen Form des postmodernen Spießbürgertums entwickelt zu haben.

Hurn gibt sich so konsequent versnobt, selbstverliebt und dünnhäutig, dass er es dem Hörer schwer macht, Sympathien zu entwickeln. Das fängt mit ziemlich bissigem Konkurrenz-Bashing auf "OK Cool" und "MHM" an, das im Ton zwischen Interview-Rant und Yelp-Review stattfindet, und avanciert später zu abwesenden Schnappschüssen aus einem melodramatischen Liebes- und Drogenleben.

Wieder und wieder fällt es Kristallo Ronaldo leicht, mit eigentümlicher Wortwahl, Slang und immer wieder überraschender Intonation überzeugende Charakterstudien abzuliefern. "Was Sie Will" birgt eine für Rap sehr untypische Art, eine Frau zu beschreiben. Lines wie "Baby will mal heiraten in Vegas / Doch Baby findet nix in ihrer Liga / Baby will sich lieber nicht binden / Denn jeder ist in Baby so verliebt" packen gewöhnliche Beobachtungen in eine seltsame Mixtur aus moderner und aus der Zeit gefallener Sprache.

Doch auch wenn Hurn immer wieder mit Anachronismen flirtet, fehlt "1220" die Konsequenz und die musikalische Vision, um wirklich spannende Musik daraus zu flechten. Was auf "Love Hotel" noch zu Tracks wie "Gefühle Für Dich In Einer Altbauwohnung, Pt. 1" oder "Diamant" geführt hat, klingt inzwischen eher wie Selbstzitat. Das ist schade. Auf "Eisblock" oder "Leg' Dich Hin" fehlt den Formulierungen der Biss, denen typischerweise ein gewisser NDW-Vibe innewohnt. Zu kalkuliert, zu wohlbekannt scheint Hurns Stil inzwischen.

Wenn auf diese Art und Weise schon die Highlights an Reiz einbüßen, fällt erst wirklich auf, wie dröge und uninspiriert große Teile des Projektes ablaufen. Representer wie "GGGut", "Du Lügst" oder "Lachs Anthem" machen musikalisch nichts neu, fühlen sich in Songwriting und Produktion deutlich unterentwickelt an und versuchen dazu ständig, irgendwelche Phrasen und Begriffe zu etablieren. Viel zu vehement will Hurn zum Beispiel den Begriff "Lachs" (für vermutlich dasselbe wie "Hak", "Parra", "Wap") zu einem Ding zu erklären.

Dazu kommt noch dieser unsägliche Jonny5. Der liefert gleich zwei komplett belanglose Gastparts auf "Du Lügst" und "Lachs Anthem" ab, die nicht nur in allen Belangen eine schlechtere Version des Protagonisten bietet. Er scheint sogar um seine eigene Belanglosigkeit zu wissen und rappt für die letzte Chance auf einen Eindruck alle drei Worte seinen Namen mit. Hilft aber nichts, spätestens morgen wird man diese Verses wieder vergessen haben.

Auch sonst heben sich Lovesongs von Battlesongs weder in Tempo, Stimmlage und Songwriting wirklich ab. Auch wenn "1220" mit 14 Nummern relativ kompakt gehalten ist, nutzen sich Sound und Vibe erschreckend schnell ab. Hatte "Krocha" noch die exzentrische Unberechenbarkeit eines Lil B-Tapes und "Love Hotel" ein ausgereiftes, experimentierfreudiges musikalisches Bild, bleiben letztendlich nur noch die Attitüde des Rappers, sein interessanter Umgang mit Begriffen und sein Händchen für Ästhetik. Aber ein Grundrauschen an Persönlichkeit und Stil hilft eben auch nicht, wenn ein Album so mutlos und uninspiriert gespielt wird wie dieses. Auch nach dem Hören bleibt das Gefühl nicht, man habe eine Facette von Hurn gesehen, die man nicht auch davor schon gekannt hat.

Trackliste

  1. 1. MHM
  2. 2. Ok Cool
  3. 3. Hellwach
  4. 4. Sie Schauen
  5. 5. Was Sie Will
  6. 6. Bist Du Alleine.
  7. 7. GGGut
  8. 8. Du Lügst (feat. Jonny5)
  9. 9. Sie Hassen Mich.
  10. 10. Y. Hurn Wieso?
  11. 11. Lachs Anthem (feat. Jonny5)
  12. 12. Eisblock
  13. 13. Fühlen
  14. 14. Leg Dich Hin

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9 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Hoffe ja immer noch auf ein Kollabo-Projekt mit dem ehemaligem Wahl-Wiener SOHN. Nicht der Musik wegen, versteht sich..

  • Vor 6 Jahren

    Ich muss da mal eine Lanze für den 1220 Boy brechen. Ich habe lange Zeit keinen Deutschrap gehört, eher Ami Zeug usw. nicht einmal unbedingt Trap or Whuteva. Dann kamen 2013-14 die ersten hörbaren 187 Dinger, welche mich von ihrer rohen Machart sehr an den 90er Jahre Amirap erinnert haben, mit dem ich aufgewachsen bin. Die haben mein Gehör quasi zurück nach Good-Old-Germany zurückgeholt. Da mir seit dem Maxwell Album aber bereits irgendwie alles zu einseitig wurde, und das letzte Gzuz Album relativ fade daherkam - bis auf die üblichen paar Gassenhauer z.B. "Warum und Drück, Drück"- war ich auf der Suche nach anderen Impulsen. Ich hatte Leute wie Ignaz (der deutlich zu wenig Anerkennung in Klickzahlen bekommt... trotz Bombentracks auf der "Geld Leben EP" wie James Dean, Moch Cash, Rawness etc. orchestriert vom Austro Produzenten Wandl) und Hurn nicht wirklich ernsthaft auf dem Schirm. Das änderte sich allerdings als ich mir so Mitte Mai, also nach Erscheinen von 1220, auf dem LifeFromEarth Channel seine Tracks gegeben habe, was mich zunächst stark irritiert und vllt auch etwas verstört zurücklies. Im Video zu "Ok Cool", was aus cinematographischer Sicht schon ein kleiner Knaller ist, sieht man erstmal alle Facetten seines Daseins, das er gerne den Leuten entgegenwirft. Man sieht ihn mal in der blauen Einstellung megafertig und abgejunkt aussehen, in der rot untermalten Phase mit Lava wirkte er wieder etwas frischer und flirty, und das gelbe kam schließlich mehr funny rüber. Lange Rede kurzer Sinn. Der Junge ist Künstler, seine klare Sprache, mag flach und wenig tiefsinning rüberkommen, aber was will man von einem Durchschnittshörer in einer oberflächlichen Welt auch erwarten!?!
    Seine ersten professionelleren Schritte auf der "Love Hotel EP" erinnerten beispielsweise zum Teil sehr an Kanye's R&B Versuch "808s & Heartbreak" vermischt mit subtilem druggy Einfluss und etwas The Weeknd Singsang wie auf "Rot", aber
    1220 sollte niemals mit der "Love Hotel EP" verglichen werden, da käme keines der beiden Projekte gut davon.
    1220 lebt und kommt textlich wie beattechnisch rüber wie auf die absolute Essenz runtergekocht und eingedampft in brillianter Klangqualität. Um seinem minimalisten Humor ein Beispiel zu setzen zitiere ich mal eine Phrase aus "Ok Cool": "In der Hand Veltliner, in der Hand n Wein"... Hurn geht von einem so geringen Anforderungsprofil der Durchschnittshörerschaft aus, das er sogar noch in einer Apposition erklärt, dass Veltliner ein Wein ist. Mich haben solche kleinen Lines mit derartig trockenem Spar und Schmalspurhumor schmunzeln lassen. Wo ich leider zustimmen muss, ist, dass mir dieser Ausdruck Lachs auch ziemlich auf die Nüsse geht, und sicher nicht alle Tracks des Albums auf meinem Handy gelandet sind. Aber immerhin haben es 8 von 14 Tracks geschafft sich einen Platz zu sichern. Im Vergleich: von "High und Hungrig 1" habe ich 80% aller Tracks mega abgefeiert, bei ihrem letzten Release "Wolke 7" gerade einmal noch 20%. Ich möchte hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, aber einige Dinge kann man vergleichen, und das sind Innovation, Hörbarkeit, und Wiedererkennungswert. Und ich denke ich bin derzeit auf Hurn kleben geblieben, weil er für mich geschafft hat all das mehr oder minder zu liefern. Innovativer arroganter Minimalismus in Ton und Text, cachy Beats und Hooks und ein nicht zu verachtendes emotionales Spektrum, das für fast jede Mood ein Liedchen parat hält.

    "Oh, du hast Fans, mhm, oh, du hast Geld, mhm, ah
    Oh, du hast Fame, mhm, ah, bitte geh weg, mhm
    Ah, bitte geh weg, mhm, sorry du nervst, mhm
    Du bist ein Opfer, mhm, das ist mein Ernst, mhm"

    Bodenständigste Lines zu Einbildung und Fame der letzten Jahre...(ob ernst oder nicht, entscheidet der Empfänger)

    In dem Sinne... gebt dem Ding noch eine Chance, vor allem in Verbindung zu seinen Videos!!!