laut.de-Kritik
Bibel, Boom Bap, Feminismus, Flow, Trompete und viel Text.
Review von Philipp KauseAkua Naru sagte mir mal bei einem Fototermin, die Welt sei zu ernst, um vor der Kamera zu lächeln. Die strenge Literaturwissenschaftlerin verabscheut Trump, nicht nur für seine Abschottung, sondern auch für sein altbacken maskulin-chauvinistisches Auftreten. Hätte sie gewusst, dass er ein weiteres Mal fürs Präsidentenamt ins Rennen zieht, wäre ihre neue Platte wohl um einiges düsterer, bissiger geworden. Ihre lakonische Art bewahrt sich die aus der Babypause grüßende Künstlerin trotzdem, dieses Mal kleidet sie ihre lyrisch opulenten Werke mit dem perfekten Word Flow in Orchester-Hüllen.
"All About Love: New Visions" ist eine Zusammenarbeit mit dem Ensemble Resonanz. Zwischen Kammermusik- und zartem Jazz-Touch in "Falling" lassen sich die Texte gut heraus hören. In manchen Tracks, z.B. "Seraphim" begraben die dichten Arrangements die Vocal-Performance aus Akuas trockenen Hardcore-Raps und seligen Soul-Background-Gesängen - weiblich und männlich -, die teils den Charakter von Duett-Beiträgen haben, aber namenlos bleiben.
In Summe wirkt die Anordnung aus Instrumente-Wohlklang und Message-Flut wie der Versuch zu beweisen, dass Hip Hop mit bluesigem E-Guitar-Intro ("Mr. Brownskin"), cheesy Trompeten-Leitmotiv (Takuya Kuroda in "Sugar (Honeyicetea)") und Streicher-Piano-Brass-Gewusel ("Urgency") toll funktioniert, selbst dann, wenn verträumte Phasen in weicher Bläser-Impro bei knallhartem Kontrast mit Maschinengewehr-Percussion wechseln ("Run Away"). Über diese Beweisführung hinaus fehlt jedoch weitgehend die Chance, der Künstlerin, ihren verschachtelten Gedankengängen und ihrer dunklen Stimme irgendwann mal richtig nah zu kommen. Dafür verbleiben nur sehr kurze pompfreie Passagen.
Schon früher war es ein Markenzeichen der Wortgewaltigen, ihre Kompositionen in aufwändiger Jazzrap-Architektur zu denken, als sie etwa mit Christian Scott kooperierte, ihre "Live & Aflame Sessions" hin legte oder auf Tour ihre dick auftragende Digflo Band aufspielen ließ.
Grundsätzlich bringt Akua in ihren rauschenden Silben-Kaskaden ausgesprochen viel Lyrik auf engem Raum und komplexe, nahezu geniale Bilder unter (zum Beispiel "nostalgic flashback to third grade", "I wanna drink the sweat of your intellect / Reflect, and watch your light passion mark my neck"). Sie lässt oft wenig Zeit, diese Inhalte wirken zu lassen. Dabei moduliert sie ihre Stimme in smarter Golden Era-Boom Bap-Haltung kaum, sondern geht davon aus, dass die Message schon irgendwie durchdringt: Bitte mehr Liebe zwischen den Menschen, zum Beispiel in "Joy", bitte mehr (Selbst-)Respekt für Frauen, etwa als alleinerziehende Mamas in "Run Away" voller "feminine strength", bitte mehr Anerkennung für die Hip Hop-Elders und wie sie im Jazz und 70ies-Soul ihre Samples suchten und fanden. "You add rhythm to the blues of my neoclassic soul", formuliert sie diese Auseinandersetzung mit der Musikhistorie.
Gleichwohl die Wahl-Kölnerin ihre familiären Wurzeln zwischen Ghana und Connecticut/US-Eastcoast gerne im Nebulösen lässt ("I live all around the planet", sagte sie uns), hält sie mit einer Sache niemals hinterm Berg: mit ihrem Engagement für intersektionalen Feminismus und Afro-American Power in Kunst und Literatur. Ihre Ikone heißt Toni Morrison. Die Kinderbuchautorin und Roman-Schriftstellerin starb 2019, Nobelpreisträgerin, mit Familiendramen, psychologischen Analysen, Sozialstudien und Sklavereigeschichte in ihren Werken, "Stop Making Sense"-Regisseur Jonathan Demme verfilmte das Buch "Beloved" mit Oprah Winfrey in der Hauptrolle, und Tonis spannender Milieu-Roman "Jazz" gräbt in den Wurzeln des Black Music Heritage. Hier fühlt sich Akua Naru zuhause.
Ihre Songs sollen das Bewusstsein öffnen für Machtzusammenhänge in unserem Alltag. Und Jazz schwingt gehörig mit, etwa in den Geräusch-Stimm-Echo-Bass-Impros von "Run Away" und den verschwommenen Bläser-Schlingen, Spuren und Loops hier und in fast allen Tracks. "Poetry How Does It Feel???" entfaltet schließlich ein sehr smartes, langes Blechblas-Solo. Neben Feminismus und Musikgeschichte referiert die 45-Jährige auch gerne auf die Bibel, etwa auf die Engelsfiguren "Seraphim" in Stellen des Alten und Neuen Testaments.
Zwei Drittel der Tunes stammen ursprünglich aus früheren Alben von 2011, '12, '15 und '18. Die Rapperin bearbeitet sie neu, verpasst ihnen üppigere Verpackungen, neue Intros und längere Verläufe. Das neue "The Question", das sich als Suche nach ihrem leiblichen Vater und Plädoyer für "Black power politics" lesen lässt, pendelt zwischen R'n'B und Boombap. Der neue Über-Song "Somebody Mama" prescht als sofort eingängige Hymne ins Ohr. Darin feiert die Künstlerin ihre eigene Mutterschaft und die Liebe zu ihren kleinen Kids.
Der Titel der Doppel-LP, "All About Love: New Visions", bezieht sich auf allerlei Gesichtspunkte rund um die Liebe, Nächstenliebe, Mutterliebe, romantische Liebe, Liebe zur Natur, zur Musik und vieles mehr. Damit recycelt die Songwriterin einen Buchtitel einer weiteren Autorin, Bell Hooks. Bell, gestorben 2021, schrieb allerdings keine fiktionalen Werke, sondern forschte auf dem heute super polarisierenden Feld der Gender Studies. Akua entdeckte das Buch "All About Love: New Visions" im Lockdown für sich und zog daraus ihre Inspiration, einen neuen Blick auf alte, eigene Songtexte zu werfen.
Während das Album durchaus viel Tempo und Härte im Sound pflegt, umflort das Ganze auch ein Hauch von Märchenzauber und Weihnachtsmarkt. Alles wirkt schön dekoriert, verspricht eine bessere Welt und lässt der Fantasie Raum. So schön die Scheibe geworden ist, scheint natürlich auch der etwas erzwungene Versuch durch, sich aus dem Rückzug ins Private und den Pandemie-Jahren wieder zurück zu ziehen und zu Wort zu melden, ohne so wirklich neue Ideen an Bord zu haben. Trotzdem lohnt sich die Reise durch Akuas Gedanken- und Gefühlswelt, denn viele Feinheiten auch in den alten Texten erschließen sich mit neuem Kommentar und neuer Track-Anordnung erst jetzt. Der vollere Sound wertet gerade die alten Stücke auf, die nicht ihre aufregendsten waren: Bis auf "Run Away" vom Debüt und "Mr. Brownskin" kann man sagen, dass es sich um kein Best Of handelt, sondern schwächere oder unscheinbare Nummern ihres Repertoires neu und gut aufpoliert oder spröde, verschlossene Stücke wie "Joy" jetzt erst richtig fühlbar macht.
Akua Naru lebt in einem eigenen Kosmos, auf den man sich einlassen muss, dafür bekommt man dann handgemachten Hip Hop weit jenseits von Autotune und Jugendsprache, sondern ernsten Sophisti-Rap, erlebt sattes Schlagzeug statt Plug-In-Tools, Harmonien statt Hyperpop, natürlichen Flow statt K.I., Originalität statt Textbausteine und Dramaturgie statt 2'20"-Fragmente. Akua Naru steht für die felsenfeste Verteidigung von Hip Hop Culture aus einer Ära lange vor Streaming-Diensten, vor Goldkettchen und Gangsta. Ihre ganze Darbietung zeigt, dass sie weder für cis-männliche noch hetero-weibliche noch queer-weibliche Machismen einen Funken Sympathie übrig hat, dass sie gegen den Strom kommerziell verwertbarer Playlist-Mucke schwimmen will, Jazz-Elite ablehnt, trotzdem herumjazzt und sich dem Herdentrieb Richtung Trap-Hi-Hats völlig verwehrt.
1 Kommentar mit einer Antwort
Sind das alles nur neue Versionen? "Poetry" locker mein Lieblings-Nagganagga-Song.
Ah okay, lesen hilft