laut.de-Kritik

Der nervt nie.

Review von

"Alles ist nur Übergang", sagt Max Rieger, die leidendste der drei Künstlerseelen von Die Nerven, die selbst nach zwei schwächeren Alben noch zu den interessantesten deutschen Bands zählen. Solo tastet sich Rieger in abstrakte Elektronik vor, wobei das Debüt "Kein Punkt wird mehr fixiert" spannender ausfiel als die Nachfolger "Welt In Klammern" und vor allem das arg unterkühlte "Andere", das nun auch schon drei Jahre auf dem Buckel hat. Live kommt die Gewalt bei All Diese Gewalt ins Spiel, epochal und drückend und großartig interpretiert Rieger da sein Werk.

Die vorliegende Scheibe folgt dem Ansatz der Vorgänger, im Studio eher verzagt aufzutreten, dann auch nur noch stellenweise. Schon auf dem Opener "ICH BIN DAS LICHT" drückt der Nervende zwischendrin eine sonische Wand in Richtung Hörer. Es mag an der zunehmend erfolgreichen Produzentenkarriere des Gewaltburschen liegen, dass nun "Ab AB ab" die brachiale Präsenz aufzeigt, die Rieger live schom immer kunstvoll auffahren und sowohl hochkompetent aufbauen als auch abebben lässt. Er war noch nie jemand, der mit seinen Gefühlen arg hinterm Berg hielt, "Alles Ist Nur Übergang" versammelt aber wirklich außergewöhnlich persönlich wirkende Lyrics. Vielleicht auch, weil man vom Künstler Rieger mehr Spott und Überheblichkeit, nicht zuletzt sich selbst gegenüber, als authentische Ausdrucksweise gewohnt ist. Der Titeltrack beispielsweise ist eine versöhnliche Ode an seine eigenen Bemühungen, echte Verbindung zu anderen zu finden.

Der Kontrast aus nach wie vor angespanntem Vortrag - jeder Song hängt an einem Drone-Sound – den persönlichen Lyrics und der weiblichen Wärme, die der häufige Einsatz sphärischer Samples bringt, trägt einen wesentlichen Teil zur Faszination des Albums bei. Auf dem Titeltrack funktioniert die aufheulende Gitarre blendend als Kontrastmittel. Bei "ihr seid nicht allein" scheint der den Nerven schon lange in Freundschaft verbundene Von Lotzow in seiner Kitschphase arg durch. Hier wirkt Rieger nicht echt und vor allem verloren, als wüsste er auch nicht so recht, wie er einen solchen Erbauungssong – wie auch "etwas fehlt" mit seinem deplatzierten Bläser - würdig gestalten solle. Wie eine ausgesprochen seltsame Wahl erscheint "21 gramm" als Single, die Jamie XX so arrangieren könnte, wenn er einen strikt nicht tanzbaren Burial-Song machen wollte, die im Vergleich zu anderen, viel drückenderen Songs sicherlich weniger kommerzielles Potenzial zeigt. Der Titel verweist übrigens auf ein Experiment, mit dem die Seele gewogen werden sollte.

"zu Staub werden" bildet neben "Ab AB ab" eines der Kernstücke von "Alles Ist Nur Übergang" und zeigt die immer noch vorhandenen Limitierungen des großartigen Musikers Rieger innerhalb des Projekts All Diese Gewalt auf: Im Staub zeichnen sich ungefähr vier hervorragende Songs ab, aber mit einer verkopften Krampfigkeit zusammengeklebt, damit sie edgier wirken, als sie es eigentlich sind. "100.000 TONNEN" ist keinesfalls ein schlechtes Gewitter, sondern ein eindrucksvoller Drone, der den Hörer in die Knie zwingt, aber trotzdem wird man wie bei "so leicht" den Eindruck nicht los, dass Rieger es sich musikalisch etwas – tja, zu leicht macht. In "Alles Ist Übergang" stecken Filetstücke von solcher Köstlichkeit, dass man unbedingt mehr davon möchte, doch das eigentlich kompetente Drumherum aus Soundschichten und Drones lenkt mittlerweile vom Potenzial des Solokünstlers Rieger, etwas zu schaffen, das nicht "nur" artsy und gut, sondern genuin großartig ist, eher ab.

Trackliste

  1. 1. ICH BIN DAS LICHT
  2. 2. 21 gramm
  3. 3. zu Staub werden
  4. 4. Beleuchtete Höhle
  5. 5. etwas fehlt
  6. 6. 100.000 TONNEN
  7. 7. so leicht
  8. 8. Ab AB ab
  9. 9. ihr seid nicht allein
  10. 10. ALLES IST NUR ÜBERGANG

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