laut.de-Kritik
Von verwunschenen Rosenblüten und Flirt-Nächten mit James Last.
Review von Artur SchulzNever change a winning Team: Auch fürs dritte Album vertraut Annett Louisan auf ihre seit Anfangstagen bewährten Mitstreiter, die bereits die Vorgänger "Bohème" und "Unausgesprochen" zu Riesen-Erfolgen führten. Von Routine-Leerlauf und lieblosem Erfolgs-Abklatsch ist aber so gut wie nichts auffindbar auf "Das Optimale Leben": Dazu sind Songs und Ausführung einfach zu originell, spannend und beseelt.
Dem aufmerksamen Hörer entgeht nicht die stetige, nach vorn stürmende, persönliche Weiterentwicklung der Künstlerin. Ähnlich wie auf "Unausgesprochen" geht rund die Hälfte der 15 brandneuen Lieder auf Annetts Co-Autorin-Textkonto. Für jeweils einen Titel tauchen zusätzlich die Kompositionsnamen Maren Stiebert sowie Altmeister James Last auf. Das Team Kayser/Haß und Ramond/Louisan hat erneut ganze Arbeit geleistet.
Doch zunächst übe ich mich im fröhlichen Erbsenzählen, denn etwas zu meckern gibt es immer, wenn man danach sucht. Als erstes wäre da die nicht sonderlich originelle Single-Auskopplung "Das Alles Wär Nie Passiert", die zwar temporeich, doch allzu angestrengt fröhlich auf Nummer Sicher daherkommt. Die Zeile "Drei Mädels im Bayern-Trikot/In der Südkurve vom HSV" hingegen erfreut mich als Uli-Hoeneß-Verehrer natürlich zutiefst. Aber dass Annett - ähnlich wie Halbdunkel-Sirenchen LaFee - rebellische "Nachts in die Badeanstalt"-Einbruch-Träume hegt, macht nachdenklich. Gibt's derzeit womöglich einen Badeanstalt-Trend bei aparten Damen, von dem ich noch nichts wusste?
Ein nicht mehr als durchschnittlicher Titel ist die 'Kindliche Unschuld ist ja so wunderbar'-Nummer "Unbekümmert". Das mag allerdings daran liegen, dass ich den überwiegenden Teil der nervigen Jetztzeit-Blagen eher als abgefeimte Satansbraten empfinde. Man denke allein an die furchteinflößenden "Omen"-Filme! Und dann der plakative "Lull und lall"-Moment des Songs: Gab's es doch schon einmal? Richtig, als "Lall und lull" im amaretto-getränkten "Carbonara" der Spliffs aus dem Jahr 1982.
Schluss mit hartherziger Herumnörgelei, denn der absolut weit überwiegende Teil des neuen Louisan-Outputs präsentiert die Künstlerin schließlich in glänzend ausgestatteten Song-Kulissen. So überzeugt der originelle Blick-Ansatz zur ewigen Frage nach dem Warum des eigenen Lebens im fragil-zurückgenommen instrumentierten "Zwischenfälle": "Denker und Genies/Intellektuelle/Sport und Politik/Ganze Pressebälle/Rom, Berlin, Paris/Wir sind ursprünglich nur/Kleine Zwischenfälle". In "Was Haben Wir gesucht" beleuchtet Annett zerbrechlich und tief getroffen Aspekte eines Seitensprungs: "Was haben wir gesucht/Als wir uns heimlich trafen/Wollten das Schicksal überführen/Um es dann Lügen zu strafen".
Es ist meist die Geliebte, die mehr Gefühl einbringt als ihr jeweiliger Kurzzeit-Partner: "Ich weiß, du denkst, ich bin verrückt/Ich übertreibe/Doch ich spüre, wie mein Lebensglück verrinnt/Hab' dir mein Herz auf den Tisch geknallt/In dieser Kneipe/Und du gingst kreidebleich zurück zu Frau und Kind". Musikalisch bietet La Louisan hier ganz großes Kino, angefangen mit diesen Titel wunderbar einrahmenden, melancholischen Streicher-Collagen, bis hin zum sich stetig entwickelnden Kompositions-Aufbau inclusive fein nuanciertem Flamenco-Gitarrenpart.
Musikalische Abwechslungs-Schmankerl bleiben weiter im Angebot, so in "Die Wahrheit": Da groovt es zu Beginn Seventies-mäßig und mündet in einen elegant geführten Refrain. Nicht unbekannte, gern benutzte Frauensprüche gegenüber uns Herren der Schöpfung sind hier zentrales Thema, doch entscheidender bleibt deren Wahrheitsgehalt: "Es ist nicht wichtig , ob du Geld hast oder nicht/Es kommt auch nicht auf die Figur an/Aufs Gewicht/Und ob du Haare hast, ganz dünne oder volle/Die Größe spielt gar keine Rolle/Frauen lügen nie!" Den plötzlichen, nie recht greifbaren Verlust des Liebes-Gefühls kleidet und intoniert Annett in glaubwürdige Befindlichkeiten in der Ballade "Wenn Man Sich Nicht Mehr Liebt": "Du fasst mich an/Und dieser Schmerz klopft wieder bei mir an/Weil ich mir selber nicht erklären kann/Warum ich das jetzt nicht mehr will".
"Gendefekt" markiert einen weiteren, herausragenden Höhepunkt: Annett Louisan goes Disco! Nun ja, dies sicherlich im Rahmen von Louisan-Sound-Maßstäben, doch hier winkt erneut freudige (Hörer)-Überraschung mit so bislang nicht gehörten, geglückten Song-Ideen inclusive Ausführung. Dieser Track schreit geradezu nach einer Single-Veröffentlichung, und ein paar knackige Remixe würden den Genuss am Song nur noch verstärken. Textlich bekommen mutlose Zauder-Männer ihr verdientes Fett weg: "Du hast gedämmert neben mir/Auf deiner Wolke aus Bier/Zwischen den Scherben implodierter Illusionen". Das tut weh - und entspricht nur allzuoft den Realitäten. Der bissige und tango-getränkte "Rosenkrieg" erläutert verwunschene Wahrheiten hinter allzu auffälligen Blumen-Präsenten: "Immer wenn ich Rosen krieg/Rosenkrieg/Rosenkrieg/Dann weiß ich/Du bescheißt mich".
Ein großartiges Meisterstück gelingt der Künstlerin mit ihrer berührenden Balladen-Elegie "Ende Dezember". Das Parkbank-Zusammentreffen mit einem Witwer zeigt sich einfühlsam und ergreifend in Text und Musik umgesetzt: "Für mich ist es Ende Dezember/Unsre Tage warn alle gezählt/Und ich hab' an so vielen von ihnen gefehlt". Der Tod ist und bleibt einer der grausamsten Einschnitte im Leben: "Das Leben geht gnadenlos weiter/Auch wenn deine Freude daran stirbt".
Doch es überlebt trotzdem stets Hoffnung, auch in dunkelsten Stunden: "Nimm dir Zeit/Solang dir welche bleibt/Ganz egal, wozu du dich entschließt/Wer das Leben genießt/Der kann kein Versager sein". Im entspannt-lässigen Nachtclub-Ausklang "Der Kleine Unterschied" erweist kein Geringerer als James Last Annett seine Mitkomponisten-Referenz. Der leicht angeschickerte und jazz-beschwipste Song-Flirt kokettiert mit der Feststellung: "Ich quatsch dich voll/Doch du scheinst niemals zuzuhören/Ein Mann, 'ne Frau/Wie kann das zusammen gehören?" Ich befürchte, so rasch werden wir dieses Problem nicht lösen können. Warten wir lieber in Ruhe weitere Louisan-Alben ab.
"Das Optimale Leben": Bei Annett Louisan kein Ort, an dem stets die Sonne scheint und mit nichtigen Vergnügungen lockt. Ihr hier ausgestellter Lebens-Spiegel weist feine Risse und Sprünge auf, dunkle Schatten lauern geduldig hinter harmlos anmutenden Fassaden. Doch weit entfernt von ausschließlicher Tristesse nuanciert die Sängerin gekonnt und unaufdringlich die von ihr zelebrierte, persönliche Melancholie und Verletzlichkeit. Denn beschwingt-heitere Augenblicke und Lebens-Beobachtungen sind ebenfalls zur Genüge auf dem Album vorhanden, etwa im spielerisch anmutenden "Dings". Annetts Stil bleibt unverwechselbar, einzigartig und nicht kopierbar. In Sachen Stil und Klasse auf einer Augenhöhe stehend, fällt mir da im Moment nur die wunderbare Kitty Hoff ein, die unlängst mit "Blick Ins Tal" ebenfalls ein exzellentes und intelligent unterhaltendes Werk veröffentlichte.
"Meinen Gedanken wachsen Flügel/und ich schaue ihnen staunend hinterher", bekennt die Louisan in "Ich ...be Dich". Da ist was dran, gerade auf die zurückliegenden Erfolgsjahre bezogen. Und somit auch eine Bestätigung für den Wert ihrer bisherigen künstlerischen Arbeit, die mit "Das Optimale Leben" zu neuen Höhenflügen ansetzt.
8 Kommentare
wasn das für ne scheiße?
so, jetzt haste deine diskussion
Danke!
Ein wenig geraffter wäre mehr. Dein permanent blumiges Abschweifen in z.B. Badeanstaltgefilde oder zu nervigen Jetztzeitblagen / Satansbraten ist zwar amüsant, aber auch eine Spur zu viel des Guten.
Aber dennoch: schon auf Grund dieser Rezension kaufe ich das Album natürlich.
Ich schreib mal was, damit der Vollidioten "Rapper" Bushido nicht mehr ganz oben steht ... )
Der sprechende Döner ist lästig ...
Gute Rezension, wenn auch sehr ausführlich.
Bin positiv überrascht vom Album, auch wenn ichs beim erstem Mal Hören nicht mal ansatzweise toll fand und eher dachte "Griff ins Klo", aber je öfter ich's hör, desto besser gefallen mir die Songs. Es ist ein Album das sich nicht wirklich beim ersten Hören erschließt, aber das ist weiß Gott nichts Schlechtes.
Ich finde das Album nicht gut, es bzw. sie wird in ihrer Art total überbewertet. Sie scheint derzeit "allein" zu sein in der Branche, als Solokünstlerin mit ihren halbwegs "intelligenten" Texten und ihrer Kinderstimme. Mir klingt das eher nach "da will mir ein gestern-noch-Teenager erklären, dass er sich nun erwachsen fühlt". Und so schätze ich auch diese Person ein, es ist im Grunde für mich nicht nachzuvollziehen, dass dieses Album fast die ganze Punktzahl bekommt. Gut, Subjektivitäten.