laut.de-Kritik
Zwischen Wattenscheid und Mystica.
Review von Philipp Kause"XXX Anniversary Live" von Axel Rudi Pell und seiner Band spült sämtliche Zweifel, ob live ungetrübte Klangqualität zu erhalten sei, mit seinen Schallwellen wuchtvoll zur Seite. Obwohl einzelne Tracks aus Bochum, Leipzig und anderen Städten stammen, also gar nicht auf ein- und derselben deutschen Bühne stattfanden, fügen sich die Performances nahtlos zu einem 'Als ob man live dabei wäre'-Ereignis. Offenbar hatte die Band fast überall das Glück sehr guter Akustik.
Beeindruckend viel Zeit reichert das Quintett mit Soli von Schlagzeug und Keyboards an. Wechselwirkungen, Gemeinschaftsspiel, ein Gruppen-Mehrwert anstelle einer bloßen Backing-Truppe eines Gitarristen - all das vernetzt sich mit der Rolle des Publikums zu einem sozialen Event. Große Anteile übernehmen die Fans, indem sie viel positives Feedback auf die Bühne zurückgeben.
Unfreiwillig landeten auch einzelne Zwischenrufer auf der finalen Fassung. Das Album, das wegen der Titellänge nur auf zwei Scheiben passt und keine überflüssige Sekunde enthält, erscheint zum 30-jährigen Bühnenjubiläum Pells. "XXX" bildet all die Schattierungen dieses Künstlers ab: Mittelalter-Tamtam, Hardrock, Symphonic-Pop, 80er-Rock-Disco und Hairmetal klingen an. Das ProgRockige, Experimentelle kommt etwa in "Game Of Sins / Tower Of Babylon (incl. Keyboard Solo)". Die Keyboards sprechen, erzählen, illustrieren; sie könnten gut die obligatorischen Tiefgaragen- und Hochhausszenen mancher Fernsehkrimis vertonen.
Auch die mystische, mittelalterliche und übersinnliche Seite der Pell'schen Liedkunst überträgt sich in die Konzertdramaturgie und hallt im brillanten Spiel mit Längen und epischen Ausdehnungen sehr schön wider. Zu Beginn von "Mystica (incl. Drum Solo)" stimmt die Bühnenansage darauf ein, dass es jetzt ins Zuhause von Axel Rudi gehe, ins Reich der Mystik. Dieses Versprechen löst die Band mit trancehaften Spannungsbögen perfekt ein. Das Publikum lässt sich nicht nur headbangend berieseln, sondern singt stellenweise wie zur Mitte von "Game Of Sins / Tower If Babylon incl. Keyboard Solo)" gekonnt mit. Die Betonung liegt auf 'gekonnt'. Der Wattenscheider hat seine Fans über die letzten Jahre und Dekaden gut trainiert, für solche Momente. Dass sie singen, könnte stören. Dass sie es gut tun, beeindruckt.
Unablässiges Touren lässt die oft performten Songs nicht zur Routine verkommen, nicht mal im Ansatz. Mal krächzt Sänger Gioeli, mal schweigt er lange, und nichts von seinem Text klingt nach Plattitüden. Der Wahl-Nordrhein-Westfale aus New York zerlegt, während er sich in seine Songs vertieft, englische Wörter in ihre Silben, wiederholt manches und betont es wieder neu und anders. Als souveräner Storyteller und Entertainer glaubt er offenbar zutiefst an jede (fantasievolle) Zeile seiner Vorträge. In "The Line" steigert er sich allmählich ins Setting einer "cold and windy city hinein. Das langsam entstehende Drama erreicht unter Hinzufügung von Instrumenten seine Wendungen, Gioeli versinkt gesanglich im traumvoll gewobenen Arrangement aus Stromgitarre, sanft-sphärischen wabernden Keyboard-Linien und entschlossen knackenden Snare Drums.
Bei solchen Momenten und Anklängen an "The Thieving Magpie (La Gazza Ladra)" von Marillion überwiegt das Theatrale, Fantasievolle. Doch es gibt auch die trockene, erdverhaftet bluesige Seite an "XXX": straighten Classic Blues-Rock, nie frei von Oper, Fantasy Metal und world-jazziger Klangkunst, Consciousness im Einsatz der Tonquellen. Das Einfache, Geradlinige bahnt sich zugleich seinen Weg.
Lieblingssongs aus "XXX" einzeln anzuhören und sich herauszupicken, auf so viel Flexibilität haben sich die Tonmeister dieser Scheibe nicht vorbereitet. Sie setzten Schnittpunkte mitten in ausklingende Akkorde hinein. Besser wäre es dann wohl, untrennbare Einheiten ohne Cue-Punkt zu belassen. Denn dieser Schönheitsfehler der abrupten Übergänge trübt bei mehreren Track-Wechseln, auch im Continue-Modus. Immerhin: Dies ist ein Detail. Van Halen zum Beispiel haben 43 Jahre gebraucht, bis sie auf "Tokyo Dome In Concert" einen ähnlich perfekten Live-Mitschnitt vorlegten.
Axel Rudi Pell reizt auf seiner Jubiläumsplatte in ungekannter Weise aus, wie sich die Vertrautheit zwischen Musikern und Live-Publikum auf ein Album bannen lässt. Pell und seine Crew werfen hier bereits ihren siebten Live-Tonträger auf den Markt und wissen also, wie das funktioniert. An gutem Songmaterial mangelte es nicht, und so taugt "XXX Anniversary Live" auch als Best Of oder Einsteigerwerk für Pell-Entdecker.
2 Kommentare
Also wenn Van Halen's seltsame live Scheibe ein Vergleich hier zu sein soll, kann ich nur sagen: Musikalisch ja, stimmlich
ist David Lee Roth aber so was von hinten dran, was Pell
Sänger Johnny Gioeli betrifft...
P.S. wie kann man bei Axel Rudi Pell eigentlich auf so
eine verschwurbelte Rezi kommen???
Die ziehen seit Jahren ihr Ritchie Blackmore Ding
durch und dann so ne Hobbit Rezi???
Na ja, Hauptsache es kommt was positives dabei raus,
denn Axel Rudi und Co sind wirklich eine geile Live Band.
Immer wieder geil die Jungs live zu erleben. Freue mich auf Bochum morgen, ausverkaufte Zeche.