laut.de-Kritik

In den Adern des Texaners fließt das Blut von Scarface und 8Ball.

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Amerikanischer Rap macht sich Sorgen um den Nachwuchs. Nach langer Zeit als dominantes Genre hatten in den vergangenen Jahren immer mehr Neulinge das Problem, sich längerfristig als Artist zu etablieren. Häufig wird hier diagnostiziert, dass es heute an den Album-Artists fehlen würde, also an Kids, die bereits sind, richtig durchdachte Gesamtkunstwerke zu kreieren. Das mag nicht falsch sein, aber man sollte nicht übersehen, wie sehr das Medium Album auch von den jeweiligen Zeiten geformt wird.

Beispiel: In den Neunzigern musste jeder Hansel wirklich mindestens Spielfilmlänge auf Platte bringen. Selbst Artists, die eigentlich in kleinen Dosen besser funktioniert hätten, wollten Tupacs Doppelalbum-Erfolg. Das Gegenteil passiert in der Gegenwart: 30-minütige Alben sind für manche Artists ein Segen. Manches will kurz und sweet sein. Aber in Folge dessen werden auch Aritsts auf dreißig Minuten gestampft, die eigentlich ein monumentales Doppelalbum schaffen könnten.

Point in Case: Ich glaube, dass BigXThaPlug aus dem Material seines neuen Albums einen potentiellen Klassiker hätte machen können. Der Mann aus Texas, der in den letzten Jahren immer wieder durch donnernde Stimme und exzellenten Beatgeschmack auffiel, hätte es doppelt und dreifach in sich. In diesem Kerl fließt offensichtlich das Blut der Scarfaces und 8Balls. Das Storytelling, die Samplebeats, der Soul: Hier ist das Zeug zu einem Southern Rap-"Section.80", zusammengepresst auf eine halbe Stunde TikTok-Format.

Dabei versteht man schon, weshalb die Labelmenschen auf Gimmick-Hype setzen. Seine große Single, ebenfalls auf diesem Album vertreten, heißt "Mmhmm" und samplet "And The Beat Goes On" von den Whispers, als Sample schon mal von Will Smiths "Miami" unsterblich gemacht. Aber hört man den Song und den Orgelfunk gegen die leichtfüßige Trap-Percussion, merkt man, dass der Erfolg des Tracks kein Novelty-Ding ist. BigX ist eine absolut alte Seele und wie selbstverständlich über diese Vintage-Sounds zuhause.

Entsprechend bekommen wir hier ein Album, das so tief in Musikgeschichte diggt, wie es nur wenige seiner Zeitgenossen versuchen. Und die Ergebnisse sind teilweise bestechend schön. Der eröffnende Titeltrack flippt "Tell Me Why Has Your Love" von Willie Hutch, die Vocals im Refrain, die Hornsektion in den Verses. Abgesehen davon, dass Produzent Tony Coles die Trap-Route wählt, könnten dieser Flip und diese Stimmung ohne Probleme auf Kanyes "The College Dropout" gelegt werden.

Und BigX nutzt diese superdicke Vintage-Atmosphäre, um tief in sein Inneres zu blicken. Dafür, dass er sich weitestgehend weigert, über die zwei-Minuten-Marke hinauszugehen, packt er teils beeindruckende Verses in die Tracks. "Therapy Session" spiegelt ein Zwiegespräch mit einem Therapeuten wider, "Leave Me Alone" skizziert, wie einen die Anxiety aufgrund des frischen Ruhms verändert.

"2PM" bringt richtig klassischen Storyteller-Rap über eine sehr dumme Entscheidung, inklusive Plot-Twist-Ende. Dafür knackt BigX dann sogar mal die biblische, fast schon proggige Drei-Minuten-Marke! "Law & Order" nimmt die Idee von Veeze, sich an den berühmten Krimi-Vibes zu bedienen. Das führt dann zu ganz ausgezeichnetem Trashtalk und Representing, ganz genau wie es auch Singles wie "The Biggest" und "Back On My BS" machen.

"Take Care" ist ein wirklich beeindruckendes Tape: Auf der einen Seite, weil es wirklich durch die Bank so wertig, classy, elegant und doch groovend klingt. Songs wie "Lost The Love" nehmen Klassiker wie Rare Groove-Queen Gwen McCraes "It Keeps On Raining" und konserviert sowohl die dichte Stimmung, als auch den wunderschönen Soul-Groove. Und BigX hat die Aura, die Stimme, aber auch die Rapskills, um den beeindruckenden Beats komplett gerecht zu werden.

Dieses Album hätte die Sehnsucht nach einem neuen Album-Artist locker beantworten können, wäre es nicht so krampfig auf kurz und TikTok-fähig getrimmt worden. Hätten der Mann selbst oder das Label ein bisschen mehr daran geglaubt, wäre nicht jeder Song zwei Parts und eine Hook lang. So erkennt man die Qualität, aber es bleibt doch sehr das Gefühl übrig, dass man hier ohne Not aus einem Fine-Dining-Steak einen schnellen, dreckigen Burger hat machen wollen.

Trackliste

  1. 1. Take Care
  2. 2. Lost The Love
  3. 3. Change Me
  4. 4. Leave Me Alone
  5. 5. Therapy Session
  6. 6. Planting Seeds
  7. 7. Words From Wallo267
  8. 8. Law & Order
  9. 9. Back On My BS
  10. 10. 2AM
  11. 11. Story Of X
  12. 12. The Largest
  13. 13. Mmhmm
  14. 14. Rich Off Rap
  15. 15. They Don't Know

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3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor einem Monat

    Sehr schönes Album. Erinnert mich auch stark an Tree in seiner Sunday Church Phase. Und hat nicht den Willie Hutch 2003 nicht auch mal ne deutsche Combo gesampelt? ABC oder so?

  • Vor einem Monat

    Dieses Albung ist ein Trauerspiel. Da kommt seit Jahren endlich mal wieder jemand um die Ecke, der genug Flow, Charisma und Fähigkeit zum Geschichten-Erzählen mitbringt, um so richtig Akzente zu setzen, plus noch eine offensichtlich sehr kohärente Vorstellung von seinem Soundbild UND auch noch ein Top-Händchen beim Beat-Picken hat - und dann bekommt man ein 30 minütiges Snippet um die Ohren gehauen, bei dem man bei jedem verdammten Song denkt: "Toll, ich freu mich, wenn ich den dann ganz hören kann!" WTF??
    Das hätte locker das Rap-Albung des Jahres werden können, aber so?
    2/5
    Wenn das die Zukunft ist, vielen Dank, ich ficke TikTok sein Vater!