laut.de-Kritik

Miles Davis lächelt.

Review von

Politische Kante zeigen, konzeptuelle Alben schreiben, ein intellektueller Motherfucker sein: Die Ansprüche an Conscious Rap im Jahre 2020 sind hoch. Außerdem ziehen sie vorrangig selbstgerechte, sich arg wichtig nehmende MCs an. Blu nimmt sich selbst auch wichtig, wenn er auf seinem neuen Album nicht zum ersten Mal sein Leben als Frame der gesamten schwarzen Geschichte erzählt. Aber dieses neue Album mit Stamm-Produzent Exile packt große Themen so locker aus dem Handgelenk an, dass sich ein massives Doppelalbum kurzweilig anfühlt. "Miles" zeigt Blu als Hip Hops immens coolen Onkel, der genau die Geschichten erzählt, die man von der alten Garde hören will.

Über einschüchternde 95 Minuten erstrecken sich die Songs, einzelne Nummern recken sich der zehn-Minuten-Marke entgegen. Dabei ziehen sich zwei lose Fäden durch "Miles", die die Platte konzeptuell zusammenhalten: Das Leben von Miles Davis, jener Cool Jazz-Ikone, die über Jahrzehnte maßgebend die schwarze Musikgeschichte prägte, und die Idee des Blues, den Blu nicht nur als Musikstil und Stimmung, sondern ans eine Geschichte transzendierende menschliche Erfahrung versteht. Dass dann vor allem Miles "Kind Of Blue"-Album für den jazzigen Loop-Sound steht, verbindet die beiden Stränge. Klingt abstrakt, klingt, als gäbe es gleichzeitig alles und nichts damit zu erzählen. Aber Blu findet eine Balance.

Als Untergrund-Schlachtross zwingt er sich, seinen Schreibstil auch zwanzig Jahre im Game weiter zu schleifen, sich nicht auf altem Ruhm auszuruhen. Das Resultat ist sein inhaltlich vielleicht stärkstes Album. "Blue As I Can Be" portraitiert seine Heimatstadt Los Angeles; hier zeigt sich seine fließende Zusammenführung von erster und dritter Person, seiner Legierung von großen geschichtlichen Umständen und kleinen, persönlichen Anekdoten. Er spricht von Seeluft, die über Promenaden und Trinkgeld-Saxophonisten zieht, bis sie einen Takt später an den Straßen ankommt, auf denen die LA-Aufstände Geschichte schreiben.

Blu ist ein Rapper der Deterritorialisierungen, er macht schwarze Geschichte lebendig und bindet schwarze Gegenwart an die Geschichte an. Tracks wie "Roots Of Blue" und "To The Fall, Not The Forgotten" tragen den Flair von Rap-Chronistenarbeit, mit Passion und eindrucksvoller Auffassungsgabe kartographiert er die Netze, Linien und Felder schwarzer Kultur in die Musikgeschichte. Charlie Parker, Billie Holiday und die Ohio Players in der selben Reihe wie Phife Dawg, A$AP Yams und Capital Steez.

Sympathisch macht ihn die eherne Anerkennung, die aus all seinen Beobachtungen und Eindrücken quillt. Der erste Verse von "Miles" führt in die 50er-Ära, als Miles Davis mit Gilles Dillespie im Birdland auftrat und erzählt Cool Jazz-Anekdoten auf Boom Bap-Beats. Mehr noch als Blus Lore-Kenntnisse und Bildkraft ist es seine pure Nerd-Liebe zu Davis, die diesen Song unwiederstehlich macht. Man möchte sofort zurück zu "Milestones", "Walkin'" und "Blue Moods" und sich in den Bildern von Charlie Parkers legendärem Jazz-Club suhlen. Noch schlimmer wird das auf "Music Is My Everything", das mit Choosey Hip Hop-Sozialisierung nacherzählt.

Wenn der auf der Zeile "I eat, sleep, breathe this music" seinen Verse schließt, fühlt sich der Pathos verdient an. Die Gesamtheit von "Miles" ist voll von kindlicher Freude, einer tiefen, bewundernden Liebe zur Hip Hop-Kultur, es ist bis zu den Knochen glühender Vollblut-Nerd-Rap. Da vergibt man, dass er auf Songs wie "When The Gods Meet" ein bisschen zu tief in die Metaphern-Kiste greift und den Pathos dick aufträgt. Da muss die Sehnsucht nach Anerkennung von Szene-Instanzen ab und zu über dem Endprodukt gestanden haben, denn man hört hinter der Jahreszeiten-Allegorie förmlich schon Backpacker-Milizen und als Zombies zurückgekehrte Source-Redakteure ihre Zähne in die verkopften Überinterpretationen rammen, die sie zwangsweise abliefern werden.

Dass das Projekt trotzdem kaum lahmt, liegt auch an der organischen, vibranten Sample-Produktion von Exile. 1969-R'n'B von The Dells Hand in Hand mit Cool Jazz-Flips, Blues-Klanggerüsten und sogar afrikanischer Tribal-Musik auf "Roots Of Blue" und lebendigem Gospel auf "Dear Lord". Plattengekratze zitiert Boogie Down und Mos Def in Urban Thermo Dynamics-Zeiten, ein Gefühl von zeitloser Nostalgie und verjazzter Session-Charakter halten das Album in Schwung.

Es ist fast ein bisschen verrückt, dass "Miles" kein bisschen langweilt. Die Verses reichen in die Ewigkeit, manchmal wirkt es, als reduziere sich seine Geschichtsschreibung aufs Listenmachen. Aber Blu strahlt als MC einen Magnetismus aus, der auch über die längsten Verses von "Miles" packt. In seinem Rap lebt Liebe für die Kultur, nicht nur als Phrase oder Ideal, sondern als Praxis. Er verdient jedes Realkeeper-Gelübde, jede Plattitüde und jede Nostalgie, denn musikalisch fließt dieses Album als Gesamtprojekt so rund, so immersiv, dass man die verkopften Konzepte und großen Ambitionen nur zugestehen kann.

Das Hörerlebnis erinnert nicht einmal an die Kendricks oder Big Krits, viel mehr fühlt man sich, als höre man ein großes Jazz-Doppelalbum. Man fühlt sich wie bei Flying Lotus oder Kamasi Washington. Man fühlt sich in den besten Momenten tatsächlich an den Ethos, den störrischen Perfektionismus und die intuitive Brillanz von Miles Davis erinnert. Mit diesem Tribut verdient sich Blu ein triumphierendes "Miles Smiles".

Trackliste

  1. 1. Blue
  2. 2. When The Gods Meet (feat. Ishe)
  3. 3. True & Livin'
  4. 4. Miles Davis
  5. 5. The Feeling (feat. Jacinto Rhines)
  6. 6. Music Is My Everything (feat. Choosey & Jimetta Rose)
  7. 7. Bright As Stars (feat. Aceyalone, Iman Omari & Ishe)
  8. 8. Blue As I Can Be
  9. 9. You Ain't Never Been Blue
  10. 10. Miles Away (feat. C.S. Armstrong)
  11. 11. Troubled Water (feat. Gappy Ranks)
  12. 12. Roots Of Blue (feat. Jacinto Rhines)
  13. 13. African Dream (feat. Gappy Ranks & Aloe Blacc)
  14. 14. Requiem Of Blue (feat. Fashawn)
  15. 15. The American Dream (feat. Miguel, The Last Artful & Dodgr)
  16. 16. Dear Lord (feat. Jimetta Rose)
  17. 17. To The Fall, But Not Forgotten
  18. 18. All The Blues
  19. 19. Spread Sunshine
  20. 20. The End (feat. Dag Savage, Cashus King & Adad)

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