laut.de-Kritik
Dieser Witz von einem Album ist die verdammte Sellout-Apokalypse.
Review von Yannik GölzSehr freundlich von einem Album, wenn es seine Red Flags früh hisst. In diesem Fall: "Was Hat Das Mit Dir Zu Tun?" ist wahrscheinlich das defensivste, unsicherste Intro, das ich jemals gehört habe. "Ich bin Chapo, das werde ich immer sein", "geh mir nicht auf den Sack", "richtig erkannt, ich sing jetzt, du Schwanz, schon interessant, wenn du's nicht feierst, dann hör's dir nicht an". 90 Sekunden Laufzeit sind vorbei und es sollte bereits höchste Alarmbereitschaft herrschen: Wer auch immer diese verunsicherte Rechtfertigung als ersten Eindruck auf seinem Album haben wollte, weiß insgeheim, dass er da gerade im Begriff ist, richtig schlimm Blödsinn zu droppen.
Es ist der sanfte Versuch, seine Kernhörerschaft auf einen Sellout vorzubereiten. Und hey, manchmal ist der Pop-Turn ja auch voll in Ordnung und cool umgesetzt. Aber es gibt Sellout, und dann gibt es S e l l o u t. Und ich kann's nicht anders sagen als: Jesus Christus, Chapos Arsch hier war im verdammten Sommerschlussverkauf. Das hier ist ein alles-muss-raus-ich-leg-noch-eine-Topfpflanze-und-meine-eigene-Mutter-obendrauf-Ausverkauf. Es ist die verdammte Sellout-Apokalypse. Nicht, weil er jetzt Pop macht, auch wenn "Helldunkel" wirklich hassenswerter Pop ist. Sondern weil dieses Machwerk von der Voll Toggo-Disney Channel-ass-Produktion bis hin zu dem gottlos schleimigen Gesülze wie etwas wirkt, das der Kerl selbst privat nicht einmal mit einem Stock anfassen würde. Zuletzt habe ich ihn als einen pöbelnden Assipunk erlebt, der Drogen verherrlicht und Alben auf dem Index gelandet hat. Man fragt sich ehrlich, ob dieses Album Teil von irgendwelchen diabolischen Bewährungsauflagen ist?!
Das Konzept lautet folgendermaßen: Chapo ist ja bekannt dafür, ein wilder, draufmachender Dude zu sein. So richtig, der trinkt sogar Bier und so. Ein Outcast. Ein Bad Boy. Und jetzt hört hin: Was, wenn der jetzt vielleicht so etwas wie eine bisher verborgene, sensible Seite hat, die die große Liebe aus ihm hervorkitzelt? Also, natürlich ist da immer noch der coole, raubeinige Haudegen in ihm, aber so langsam ist er bereit, sesshaft, vielleicht sogar Papa zu werden. Aww!
Astreiner Pitch, oder? Nur ein Problem: Chapo war nie ein kredibler Bad Boy, ungefähr so wenig, wie er jetzt ein kredibler sensibler Softboy ist. Die 102 Boyz waren auch nur für ein paar Jahre so etwas wie die 187 Straßenbande für Internatsschüler, denen das Original zu einschüchternd war. Die hatten schon ihre Momente, aber ein paar Teenager vom norddeutschen Dorf, die stoffen und saufen, das ist jetzt nicht der Inbegriff von Konterkultur. Aber gut, selbst wenn wir nun davon ausgehen, dass 102 Boyz die deutschen Ramones gewesen wären: Das auf diesem Album zur homöopathischen Dosis verdünnte letzte Fünkchen Bad Boy, das in diesem Mann steckt, kann nicht ausgleichen, dass er hier der Reihe nach Tracks wie für eine Montageszene in einer RomCom mit Mathias Schweighöfer macht. Er rappt, als wolle er eine konservative Schwiegermutter für sich gewinnen.
"Wunderschön Unkompliziert", "Plastikblumen", "Pinker Bademantel" oder "Rotweinflecken" erzählen die Geschichte vom Mann in der Beziehung, die sie für die Bausparwerbungen filmen. Ich weiß nicht, ob es die Cheesiness der billigen Beats ist, gegen die Chance The Rappers "The Big Day" genauso gut Death Metal sein könnte, oder dieses unerträgliche Gesülze. Aber boah, es ist schon einfach hart. Hart, wie es gar keine Persönlichkeit hat, wie es einfach zu diesem generischen deutschen Romanzen-Genre zerfließt, das irgendwie immer gleich klingt, weil scheinbar all diese Leute die gleiche Beziehung führen. Es ist auch dieses dumme Gestocher, weil die Leute offensichtlich wissen, wo die Klischees liegen; aber statt sie zu vermeiden, schreiben sie dann awkward drumherum. So kommt nicht mal richtiger Pathos zustand, sondern nur uferloser cutesy Blödsinn.
Natürlich muss Chapo immer wieder daran erinnern, dass er nicht ein rappendes Stockphoto von einem Mann auf einem Romance-Roman ist, sondern ein richtiger Draufgänger. "Randali" heißt der Track mit Nina Chuba, auf dem sie die Party von ein paar reichen, spießigen Kids mit Chaoten über den Zaun stürmen. Und es tut mir wirklich leid, da jetzt eure Selbstwahrnehmung zu stören, aber Nina: Du bist Kinderschauspielerin, Chapo: Dein Album klingt wie ein beschissener Ikea-Katalog. Ihr seid die spießigen reichen Kids. Euer Track zum "Randalieren" geht so dezidiert nicht hart, man könnte ihn einer Kita-Krabbelgruppe während der Nickerchen-Zeit anmachen und hätte nicht nur den Vibe des Raumes kein bisschen gestört, man hätte wahrscheinlich sogar zur Qualität des Schlafes beigetragen. Die Erzieherin Tanja richtet euch lieben Dank aus!
"Du sitzt bei Starbucks und hörst Justin Bieber", grenzt er sich von der spießigen Mehrheitsgesellschaft ab. Man merkt, wenn es an die letzten Strohmänner geht, dass man auf verlorenem Posten steht. War es schwer, sich jemanden zu imaginieren, der lamer als dieses Album ist, Chapo? Klappt nur leider trotzdem nicht, weil ich weiß und du weißt, dass wenn dein Management dir irgendwie ein Feature mit Justin Bieber geklärt hätte, du vor Freude geweint hättest.
Generell wirkt dieses Album thematisch einem Schlageralbum nicht unähnlich. Sogar eine pathetisch-nichtssagende Hymne an die Heimatstadt gibt es im Handgepäck. "Schietwetter & Korn" geht so anbiedernd und uninspiriert durch offensichtliche Wahrzeichen und Klischees der Stadt, man möchte meinen, das stammt vom Wahlkampfteam von Olaf Scholz und nicht von einem hippen Rapper. Herbert Grönemeyer auf "Alkohol" zu interpolieren komplettiert dieses Bild. Wem zur Hölle möchte dieses Album eigentlich gefallen?
Eine besonders verächtliche Erwähnung bleibt schließlich nur dem exzessiven Nutzen von Phrasen auf diesem Album. Der Mann sagt einfach Sachen wie "Was mich nicht tötet, macht mich härter als ich gestern war" oder "Die Zeit heilt alle Wunden, denn man erntet, was man sät". Letzteres ist eine verdammte Zeile. Warum überhaupt noch eigene Gedanken haben, wenn der Volksmund alles besser weiß? Fürs nächste Album: Es ist wie es ist, Chapo, Morgenstund hat Gold im Mund oder so. Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Rap das doch über ein Sample vom Macarena oder vom Ketchup-Song.
Man entschuldige meine Rage, aber "Helldunkel" verkörpert all die schlechtesten Impulse von Deutschrap. Es ist die düsterste Dimension von Sellout: Man nimmt einen Typen, der sich irgendwie ein bisschen subkulturelle Kredibilität verdient hat, und lässt ihn Musik aufnehmen, die das Publikum für komplett bescheuert hält. Dieses Album ist eine musikalische Lobotomie. In tausend Jahren könnte Chapo mir nicht in die Augen sehen und ehrlich sagen, dass das die Musik ist, an die er im tiefste Inneren geglaubt hat. Das das etwas ist, das er sich in seiner Freizeit anhören würde. Es erinnert an all das, was auch den deutschen Mainstream-Film so unattraktiv macht.
"Helldunkel" ist ein Witz von einem Album, bei dem es einleuchtet, dass er schon vor Release beim Aufnehmen des Intros gefrustet damit war, wie die Leute offensichtlich darauf reagieren werden. Also: War es das jetzt wert?
9 Kommentare mit 4 Antworten
Deutschrap ist fresher denn je. Ach ja, das Publikum ist natürlich komplett bescheuert, ansonsten würde solche Musik ja nicht existieren und kommerziell erfolgreich sein.
haha, nicer Verriss.
Jap, musste paar mal gut schnaufen
Chappi 102
Was für Hundemusik
Das Chapo ein Pop-Sellout wird, war schon seit 2022 abzusehen, wo er Songs mit Juju, Luna und badchieff releaste. Aber ja, ich finde diese Musik leider auch ganz furchtbar.
Props an die korrekte Einordnung der 102 Jungen.
Gute Review. Es wird alles gesagt, was falsch läuft
Wacklurch.