laut.de-Kritik

Frenetischer Ausbruch aus der eigenen Scheiße.

Review von

"Now I found myself and I got that help from everyone that I love": Das ist "Stardust", in einer Line zusammengefasst. Klang "Quaranta" noch mellow und introspektiv, ist das Folgealbum nun ein geballter Energie- und Dopaminstoß. Der Rapper, der mit manischer Musik direkt aus dem Kellerloch der Seele bekannt geworden ist, hat Entzug und Therapie hinter sich, klingt frisch, hungrig, angriffslustig, fokussiert. "Stardust" ist Danny Browns "Recovery", nur dass es, anders als "Recovery", musikalisch nicht komplett ranzig ist.

Danny Brown war immer eine Mischung aus klassischem MC, der als Jugendlicher Nas und Wu-Tang mit der Atemluft eingesogen hat, und avantgardistischem Cool Kid, das Features mit Phantogram und Gesaffelstein macht. In logischer Konsequenz vertont er seine Erzählungen vom Ausbruch aus der eigenen Scheiße mit einer Legion avantgardistischer Cool Kids, Quadeca, underscores, Frost Children, weitere Namen, die mir allesamt bis dato nichts sagten, weil ich mich seit etwa meinem vorletzten Geburtstag als hängengebliebener Oldhead identifiziere und im Grunde von Musik keinen Plan habe. Aber Danny Brown ist aufgestiegen vom coolen Kid zum coolen Onkel, hat diesen Plan und die nötige Crew um sich, und setzt ihn in die Tat um. "Stardust" verfolgt ein klares Konzept, Danny Brown featuring Gen Z, ohne nach Konzeptalbum zu klingen. Das ist nicht "Mr. Morale", hier wird Party gemacht.

Als hätten sie gespürt, dass ich den ganzen letzten Sommer gefühlt nur Led Zeppelin gehört habe, steigen Danny Brown und Quadeca mit "Book Of Daniel" in das Album ein. Würde man den Track auf eine "Physical Graffiti"-CD brennen und mir die unterjubeln, würde ich mich beim Hören einerseits sehr stark wundern, andererseits überrascht sein, wie viel Sinn das zwischen "Black Country Woman" und "Boogie With Stu" ergibt. Quadeca rollt einen Teppich aus Folk- mit der Geste von Stadionrock aus, auf dem Danny Brown die frohe Botschaft verkündet: "Sleeping real good at night 'cause I'm proud of myself / Say a prayer when I wake up because that rehab helped."

Es folgt der Dreifachschlag "Starburst", "Copycats" und "1999": Der messerscharf produzierte Hyperpop der beiden Singles in Kombination mit seinem rasanten Flow setzt eine frenetische Energie frei, die ich in der Intensität bei ihm seit "Old" nicht mehr gespürt habe, weniger unhinged, dafür präziser und mit wesentlich knackigerem Bass. Was Producer Holly auf "Starburst" macht, klingt wie aus Eis gefräst, bevor sich der Track im letzten Drittel ganz in die Nacht stürzt.

Hook und Beat von underscores auf "Copycats" leben seit Wochen mietfrei in meinem Kopf. Obwohl er nicht großartig anders rappt als vor zehn oder fünfzehn Jahren, klingt Danny Brown catchy wie noch nie: "All I ever wanted was to be like you / so I'm doing that too." Mit "1999" lässt er dann doch nochmal etwas den Provokateur raushängen, ich würde das, was hier zu hören ist, als Glitch-Screamo bezeichnen, beziehungsweise als Krach. Wieder erstaunt trotzdem, wie nahtlos sich Danny Brown hier einfügt, als hätte er nie andere Musik gemacht. Es klingt nicht schön, aber es ist ein guter Track.

So widerborstig wird es danach nicht mehr. "Lift You Up" ist roher House, und der ist immer angemessen. Roher House braucht nie eine Entschuldigung. "Flowers" mit 8485 und "Green Lights" mit Frost Children spielen mit atzigen Rave-Synthies und Emo-Rap, "1L0v3myL1f3!" klingt mit seinen virtuosen Wechseln von Drum'n'Bass zu zwei Takten Trap zu einem hart peitschenden New Order-Beat nach Musik, die Grimes heute vielleicht machen würde, wenn sie nach "Art Angels" nicht drastisch falsch abgebogen wäre.

Auf "Baby" stellen underscores abermals ein mathematisch präzise anmutendes Gespür für die perfekt sitzende Pop-Hook unter Beweis. ISSBROKIE reißt zu hyperaktiven Beats auf "Whatever The Case" ab ("I do this shit for the art, it comes with the money"). "The End" ist ein knapp neunminütiges Opus aus Drum'n'Bass und Hoffnung: "Gotta change it up, no givin' up 'cause day-by-day is a battle / I'ma keep it up, they know what's up and focus on what matter." Und weil auf diesem Album alles geht, rappt ta Ukrainka die Hook auf Ukrainisch, ihren Part auf Polnisch und reimt dabei "Kassandra" auf "Gregor Samsa", das reicht für mich, um zu wissen, dass es ein guter Part ist. Das Album dreht von Genre zu Genre Siegesrunde nach Siegesrunde. Danny Brown zelebriert das Gefühl, auf Ecstasy zu sein, ohne auf Ecstasy zu sein. Ich habe hier schlicht mehr oder weniger nichts zu kritisieren.

In den Texten vermisse ich manchmal den Wahn von früher (die Line "sent your bitch a dick pic and now she needs glasses" geistert seit mittlerweile über einem Jahrzehnt durch meinen Kopf), aber da das hörbar der deutlichen Verbesserung von Danny Browns mentaler Gesundheit geschuldet ist, fühlt es sich nicht an, als würde da etwas fehlen. Die Spoken Word-Parts, die Frost Children-Mitglied Angel Emoji übers Album verteilt rezitiert, sind für meinen Geschmack etwas zu gewollt konzeptig und etwas zu sehr Tumblr-Poesie ("Only in the brief, microscopic first breath of 'Go' is there anything worth talking about / If we combine all our restless moments in our long lives together / Maybe we can capture the beginning again", etc. etc.).

Trotzdem mag ich, dass sie da sind, denn ihre Präsenz auf dem Album beweist den Respekt und den Glauben, den Danny Brown seinen kreativen Weggefährt:innen entgegenbringt. "Stardust" fühlt sich ein wenig an wie früher Kanye-Alben, bevor die Welt in dieser Hinsicht den Bach heruntergegangen ist: ein schwindelerregender Ausbruch kreativer Energie, in dem die Features die heimlichen Stars sind und das Maximum aus ihrem Potential holen, sobald das Rampenlicht auf sie fällt. Nur dass hier nicht ein narzisstischer Imperator im Zentrum steht, sondern Onkel Danny, der das Kunststück meistert, wie ein Erwachsener zu klingen, und gleichzeitig neben den Anfang 20-Jährigen im Club zu wirken, als gehöre er nirgendwo anders hin. Der Mann hat Bock. Wir haben Bock. Angesichts dieser Diskographie ist das eine schwierige Aussage, aber ich lehne mich aus dem Fenster und nenne "Stardust" sein bislang bestes Album.

Trackliste

  1. 1. Book Of Daniel
  2. 2. Starburst
  3. 3. Copycats
  4. 4. 1999
  5. 5. Flowers
  6. 6. Lift You Up
  7. 7. Green Light
  8. 8. What You See
  9. 9. Baby
  10. 10. Whatever The Case
  11. 11. 1L0v3myL1f3!
  12. 12. Right From Wrong
  13. 13. The End
  14. 14. All4U

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