laut.de-Kritik
Asoziale Kunst.
Review von Steffen EggertWie weit darf Satire gehen? Die Frage stellt sich seit einigen Jahren immer wieder, und es kommt in herrlicher Regelmäßigkeit zu den buntesten Grenzüberschreitungen. Die vier adretten Herren Wölfi, Volker Kampfgarten, Mitch Maestro und Nikolai Sonnenscheiße stehen aus diesem Grund mehrmals auf dem Prüfstand der mit Jugendgefährdungen beauftragten Stelle, weil ihre kleine Kapelle die wildesten Tasten dieser Klaviatur bedient. Mehrere Indizierungsverfahren werden mit der einzig richtigen Erklärung zur Natur des bunten Treibens zurückgewiesen: es ist Kunst.
Die (mächtigen) Kassierer aus dem Bochumer Stadtteil Wattenscheid fristen in etwa der ersten Hälfte ihrer Karriere ein Dasein als Geheimtipp. Was sich nämlich inhaltlich und musikalisch auf den Alben, vor allem aber auf den Bühnen der Republik abspielt, hat es noch nicht besonders häufig gegeben. Es fällt in einigen Punkten klar unter 'special interest' und beinhaltet bewusst menschenverachtende Texte über verschiedenste Sexualpraktiken, Substanzkonsum, Primärgeschlechtsorgane und allerlei abstrus-absurden Nonsens. Zu den Showhöhepunkten zählt der von Sänger Wölfi obligatorisch hingelegte Striptease, bei dem gerne auch seine vermeintlich besten Teile besungen werden.
Musikalisch lässt sich das seit 1985 in stabiler Besetzung werkelnde Quartett am ehesten in die Punk-Schublade stecken, aber ganz so einfach gestaltet sich eine Kategorisierung am Ende nicht. Viel zu vielfältig und stellenweise filigran (ja, tatsächlich) erscheint die dargebotene Klangkulisse, also zumindest auf den Aufnahmen. Drummer Volker ist nämlich studierter Jazzgitarrist und gibt sein Können auch gelegentlich im Studio zum Besten. Und bei sehr naher Betrachtung der in den Songs gelegentlich verwendeten Formulierungen fällt zudem auf, dass man es nicht mit minderbemittelten Proleten zu tun hat.
Auf ihrem vierten Album "Musik Für Beide Ohren" zeigen sich die mächtigen Ruhrpottsöhne von ihrer bisher vielfältigsten Seite und mit einem wuseligen Treiben von Themen, die man eigentlich gar nicht beleuchtet haben wollte. Nach einem gewohnt albern-harmlosen, mit ebenfalls gewohnt schnodderigen Punkakkorden versehen Intro fliegt direkt der erste Haufen durch die Käfigstäbe. "Vati ist tot" versieht eine bewusst gewählte, sensible Thematik, nämlich den erweiterten Suizid eines Familienvaters, mit fröhlichen Melodien und präsentiert alles im Funpunk-Gewand. Je mehr Worte, desto gesteigerter drängt sich die Frage auf, ob man sowas denn überhaupt machen darf? Krieg, Liebe, Satire – streng genommen ist hier alles erlaubt.
Ähnlich derb und nüchtern eher schwerlich zu ertragen schwebt eigentlich nur ("Kurz vor dem Totenschein, gibt's den") "Rudelfick im Altersheim" in eben diesen Sphären. Eigentlich unvorstellbare Schilderungen kopulierender Senior*innen werden mit derart verschmitzt grinsenden Harmonien transportiert, dass es schwerfällt, nicht trotzdem mit den Füßen zu wippen. Die Qualität der Aufnahmen steht den Inhalten im Übrigen diametral gegenüber, woran nicht einmal Wölfis unterdurchschnittliche Gesangsambitionen etwas ändern können.
Das vielleicht schönste musikalische Experiment gelingt mit der festzelttauglichen Polkanummer "Blumenkohl am Pillemann", bei dem allein der Titel schon Bände spricht. Der Protagonist des hoffentlich nicht autobiografischen Stücks malt in wortreichen und expliziten Details den Zustand seines Gemächts aus, während die Kapelle auf dem Schützenfest die Zeltwände wackeln lässt. Durch das einstige Hipster-TV Format "Circus HalliGalli" wurde der Song später im Rahmen pimmelhumoriger Anflüge einem breiteren Publikum zugängig gemacht und sorgte einen ungeahnten Popularitätsanstieg der Band.
Prolligen Punk, wie man ihn eigentlich erwartet, gibt es auf "Musik Für Beide Ohren" dennoch in angemessenen Dimensionen. "Besoffen sein" winkt klar dem immer noch sehr weit verbreiteten Oi!-Publikum zu und bedarf keiner weiteren Erklärung, während das höchst heitere "Arm ab" wirklich kein Auge mehr trocken lässt. Ungelenker Gesang meets asseligen Punk, und die Message bleibt unmissverständlich. "Zuerst reiß ich dir dein'n Arm ab und dann haue ich dir mit deinem Arm wat vor die Schnauze. Wat sachste dazu? Kannste ja wieder anpappen lassen." Herrlich, einfach herrlich, und der herkunftsbetonenden Pottgangart wird dankenswerterweise auch gehuldigt.
Seit jeher finden auch Coverversionen den Weg ins Repertoire der attraktiven Geldeintreiber, und auch hier fällt gelegentlich der Feinsinn der Truppe auf. Neben wenig überraschender Hommagen an die Dead Kennedys ("Zu voll zum Verkehr"), die längst vergessenen Münchner Marionetz ("Wolfgang Glück", ein hochmelodischer Ohrwurm) oder die beste Band der Welt ("Du willst mich küssen (Spezialversion)" – in diesem Fall "fisten", passt ins Konzept) ist es vor allem das nahezu schöne "Es ist nie zu spät" das hier heraussticht. Im Original von Gilbert Bécaud zeigt sich sogar eine Nähe zum Chanson in der sonst formunschönen Musik und damit auch ein Anflug von Ernst.
Vor 25 Jahren sorgten manche der hier behandelten Themen sicherlich für weniger Wallung als es heute der Fall wäre. Die astreine Funk-Nummer "Vegane Pampe" zum einen, das allerhöchst fragwürdige "Mongo mit der Bongo" zum anderen, das natürlich genau von jenem handelt, was man sich hier als worst case vorstellen kann. Ach so, Jazz! Im großartigen, mit nicht artikulierten Lauten versehene "Das Skelett von Willy Brantt" [sic] wächst besagter Schlagzeuger über sich hinaus, und auch "Das Leben ist ein Handschuh" spielt gekonnt mit Gypsy- und Balkanstimmung, ergibt aber dabei null Sinn.
Es fällt schwer, einen besonderen Meilenstein aus dem Repertoire der Kassierer herauszudeuten. Es hätte streng genommen auch jedes andere Album treffen können. Ausschlaggebend bei der Auswahl könnte das legendäre, dadaistische Krimi-Hörspiel "Der Sackabreißer von Wattenscheid" zum Ende Albums sein, in dem die die Namen der Personen durch spezielle Geräusche ersetzt werden. Aber wer weiß das schon so genau.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.


8 Kommentare mit 3 Antworten
Verdient
Ich habe so ein paar Glaubenssätze, die mich durch Lebens bringen, und in Sachen Musik ist es so, dass ich eine Band nur wirklich als gut bezeichnen würde, wenn ich mir wenigstens ein Alben am Stück anhören kann. Klar, kommt es immer auf die Stimmung an, aber diesen Meilenstein könnte ich mir nicht in einem Durchlauf geben. Finde ein paar Songs lustig, aber es ist mir doch zu gimmickhaft.
Sehe ich tatsächlich genauso. Im Grunde wäre ein Scooter-Meilenstein jetzt auch nicht mehr weit.
Im Grunde ist ein Scooter-Meilenstein jetzt schon lange überfällig.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Tagen durch den Autor entfernt.
Wann Meilenstein mit Die Arschgef***ten Gummi***en?
Ich kenne einen Jungen der ist Mongoloit
Gern wär ich wie er und sänge dann sein Lied
Ich sehe ihn ständig lachen seine
Gene stören ihn nicht
Er hat ein Chromosom zuviel und übergewicht
Mongo Mongo mit der Bongo bist
Stets gut gelaunt wirst
Du auch mal angeflaumt bleibst
Du trotzdem gut gelaunt
Mongo sitzt im Kaffee Kongo
Trommelt bis halb 3
Und das Elend dieser Welt ist ihm einerlei
Ja sein ganzes Lebenglück liegt
In einem Torten Stück
Wären wir wie er gäbs keine Kriege mehr
Mongo mit der Bongo
Du willst mich fisten
mitten ins Gedärm
doch ob du mich lieb hast
Das wüsst' ich gern