laut.de-Kritik

Ein Drogen-Manifest und persönlicher Headbangers Ball gestandener Musiker.

Review von

Als Pantera-Bassist Rex Brown zum ersten Mal ein paar der Riffs des Down-Debütalbums hörte, war er platt und wollte sie am liebsten für Pantera abzwacken. "Ich sagte nur: 'Gott, Phil, spar einige davon auf!' Es war einfach dermassen gut!", schreibt er in seiner Autobiografie. Tja, wenn nicht einmal Rex darauf gefasst war, was für ein Album Phil Anselmo mit seinem Nebenprojekt herausbringen würde, wie sollte es dann ein gewöhnlicher Heavy-Metal-Fan sein?

"Nola" erwischte wohl viele auf dem falschen Fuß. Wer hätte auch damit gerechnet, dass ausgerechnet Anselmo ein solch musikalisches und vielschichtiges Album ausbrüten würde? Der Sänger war schließlich ein echter Tough Guy und maßgeblich dafür verantwortlich, dass Pantera mit jedem Album radikaler, angepisster und entsprechend unzugänglicher klangen.

Die Magie von "Nola" liegt wohl genau in der Dualität der beiden Bands begründet: 1995 hatte Anselmo mit Pantera alles erreicht, was an Erfolg denkbar war. Doch die persönlichen Spannungen innerhalb der Gruppe wuchsen seit Jahren an. Wenn gleichzeitig die Kameradschaft schwindet, heißt das unter dem Strich: Pantera wurde zur reinen Geschäftsbeziehung.

Down hingegen, verankert im heimischen New Orleans statt in Texas, war ein dringend benötigtes Ventil für Anselmo. Ein Spaßprojekt. Es ging darum, mit ein paar befreundeten Musikern zu jammen, eine gute Zeit zu verbringen und den gemeinsamen Idolen wie Black Sabbath und Saint Vitus nachzueifern. Während Pantera-Alben zunehmend aus einem verkopften Ansatz entstanden – dem Willen, härter und härter zu werden – schimmert auf "Nola" eine Leidenschaft durch, für die es auch Herz braucht. Ach ja, wenn dann noch supergroupmäßiges Talent dazukommt, kann das nicht schaden.

Schon im Eröffnungstrack "Temptations’s Wings" zeigt die Power-Combo, was Sache ist: Die simple Melodie des Strophenriffs soll den Hörer noch nicht ausknocken, sondern kündet wie ein Fanal erst einmal von Größerem. Das erste richtig massive Riff lässt dann aber nicht lange auf sich warten. Jimmy Bower bearbeitet derweil unermüdlich seine Kessel und lässt so viele kleine Wirbel vom Stapel, dass der Song schon naturgemäß an Sogkraft gewinnt. Über alledem thront Anselmos heiseres Gekeife, vorgetragen voller Inbrunst: "I look at others and wonder why // I’m feeding my cancer (…) I can’t shake temptation’s wings." Schädlichen Versuchungen war der Gute zu jener Zeit wirklich erlegen: Die Drogen-Thematik zieht sich durch das gesamte Album.

Inmitten all des Gedröhnes und Gescheppers tut sich dann überraschend ein lichter Moment auf. Ein kurzer Breakdown, während dem das Duo Pepper Keenan/Kirk Windstein die Gitarren laut klagend aufheulen und einander umkreisen lassen. Doch schon türmt sich der Song von neuem auf: Dieses Biest lässt sich nicht so einfach stoppen.

"Lifer" verfügt sogar noch über die satteren Riffs. Zudem erinnert sich Anselmo daran, dass er eben doch mal mehr war als nur ein Brüllhirsch, sondern ein richtig guter Sänger. Dass aus dem Nichts ein gänzlich neues Hauptriff auf den Plan tritt und man sich plötzlich in einem neuen Song wähnt, ist nur ein Beleg dafür, dass hier keinerlei Ideenmangel herrscht.

Nach diesem Doppelschlag ist der Ton schon einmal gesetzt: Die Wohlfühlzone der Südstaatler liegt im Midtempo, inmitten von schweren Riffs und wuchtiger Drums. Nennt es Sludge, Stoner, Southern Metal oder sonstwie: "Nola" ist schlicht der ganz persönliche Headbanger’s Ball gestandener Musiker, die sich austoben wie Teenies in ihrem Proberaum. Mochten die Neunziger für den Metal eine schwierige Zeit gewesen sein, weil der böse Grunge den Ton angab und alte wie junge Bands krampfhaft nach frischen Ideen und Ansätzen suchten: Anselmo und Co. gaben einen gepflegten Schiss drauf und wandten den Blick rückwärts. Sie besannen sich auf den Urknall des Heavy Metal. Und drangen so weit in Sabbath’sche Sphären vor wie kaum eine andere Band sonst.

Mit "Pillars Of Eternity" beschreiten sie weiter ihren Weg durch zähen und heavy Morast. Das ausufernde Gitarrensolo zum Schluss veredelt die Nummer zusätzlich. Das bluesig gefärbte "Rehab" offenbart dann Einblick in die düstere Gefühlswelt des Herrn Anselmo: "My eyes are blind // to almost everything you see // And I’m drowning through sorrow // you recognize me // In a box of pine // and that’s dying // Is it worth the risk to be revived?"

Dass Anselmo freilich meilenweit vom Einchecken in einer Reha-Klinik entfernt war, zeigt die Kiffer-Hymne "Hail The Leaf". Auch dieser Brocken steckt tief im Südstaatensumpf fest und glänzt mit einem Wasserpfeifen-Solo sowie einem Schlussteil, der nur so zum Mitsingen einlädt: "No more sadness, no more pain." Ach, wäre dagegen doch tatsächlich ein Kraut gewachsen ...

Erstmals etwas weiter aus der Ecke wagen sich Down auf "Eyes Of The South": Die Riffs drücken zwar auch hier, doch das Gitarren-Intro atmet den Blues. Ausserdem fängt es den spontanen Charakter, der auf dem gesamten Album mitschwingt, gelungen ein. Etwas, das besonders für das Schlagzeug-Spiel von Jimmy Bower gilt. Ein melodisches Intermezzo lässt einmal mehr erkennen, welche Gefühle inmitten dieser vertonten Wucht lauern.

Das verdrogte "Jail" nimmt den Hörer dann mit in komplett andere Sphären. Tempo, Druck und Wut lösen sich in süßliche Rauchwolken auf. Stattdessen gibt es viel Hall, verdächtig laaang gezogene Klänge und Geflüster. Unverblümt eine Hommage an 'Planet Caravan' und dermaßen sachte intoniert, als hätten die Jungs Angst gehabt, jeden Moment könnte die Polizei an die Tür klopfen.

Zwar kehrt der Mut rasch zurück und führt die Musiker mit "Losing All" auf altbewährtes Terrain zurück, doch soll es nicht die letzte musikalische Überraschung bleiben: Mit beschwingter Gitarrenmelodie hat "Stone The Crow" fast schon etwas von klassischem Südstaaten-Rock à la Lynyrd Skynyrd. Auch Anselmo brilliert hier erneut mit einer tollen Gesangsleistung, der er später live meist vergebens nacheifern sollte. Im Refrain darf es dann freilich wieder ordentlich brettern, nur um sicher zu stellen, dass Down nicht zur Radioband verkommen. Das einminütige instrumentale "Pray For The Locust" (interessanterweise komponiert von Anslemo) bildet dann das letzte tonale Experiment der Platte.

Das Grande Finale gehört mit "Bury Me In Smoke", einer echten Dampfwalze. Ausgestattet mit geilen Riffs und trägem Groove, der gleich ins Genick geht, sowie feinen Soli als Dreingabe zelebrieren Down nochmal eine echte Machtdemonstration. Anselmo hängt erneut so melancholischen wie morbiden Gedanken nach, die ihn kaum im nüchternem Zustand heimgesucht haben dürften. Vielleicht mal etwas kürzer treten, Phil?

Puh, knapp eine Stunde feinster Heavy Metal. Das wärs, oder? Sollte man meinen. Doch das Schöne an "Nola" ist, dass die Platte dem Hörer einen ganzen Kosmos von artverwandter Musik eröffnet. Der Supergroup-Charakter machts! Zumindest das Teenager-Ich des Schreibenden wurde durch diese Platte an Bands wie Corrosion Of Conformity und Eyehategod herangeführt. Mehr kann man von einer Platte wahrlich nicht erwarten.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Temptation's Wings
  2. 2. Lifer
  3. 3. Pillars Of Eternity
  4. 4. Rehab
  5. 5. Hail The Leaf
  6. 6. Underneath Everything
  7. 7. Eyes Of The South
  8. 8. Jail
  9. 9. Losing All
  10. 10. Stone The Crow
  11. 11. Pray For The Locust
  12. 12. Swan Song
  13. 13. Bury Me In Smoke

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5 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    Eins der besten Alben aller Zeiten! Phil ist der Größte..

    M.

  • Vor 9 Jahren

    ja, ist schon geil. aber bin ich der einzige, der findet, dass EHGs dopesick oder take as needed for the pain den meilenstein eher verdient hätten? :uiui: verglichen mit den augen waren down mir immer zu clean und glatt. also im verhältnis

  • Vor 9 Jahren

    Ich mochte Pantera immer recht gern, aber ich erinnere mich noch, als ich vor ein paar Jahren das erste Mal Nola gehört habe, wie es mir die Eier weggeblasen hat. Insofern mag ich mit der Meinung alleine dastehen, aber ich find das hier weit besser, als die Pantera Sachen, auch wenn ein Vergleich nicht unbedingt passend ist vom Stil her. Von der Hit-Dichte so ziemlich einzigartig im Sludge-Bereich, der Southern Hard Rock mit reinmixt.

  • Vor 9 Jahren

    Ja Torque-y, ich bin immer überrascht, wenn Du nicht mit Fäkalsprache am trollen bist, da deine Kommentar dann sehr gut sind. Dopesick und Take As Needed sind definitiv absolute Bretter vor'm Herrn und verdienen Meilenstein-Rezensionen, jedoch stellst Du schon recht fest, dass die Stile was verschieden sind, obwohl beide Bands Sludge spielen.

  • Vor 9 Jahren

    hm... da hat die Meilenstein-Redaktion wohl letzthin wohl ein paar Nachhilfestunden in Sachen "Metal" genommen :) Amorphis, Fear Factory, und jetzt Down. Im Gegensatz zu den beiden anderen hat mich Down damals kalt gelassen. Lag wohl daran, dass ich die Wucht und Härte von Pantera erwartete, oder erhoffte - entsprechend enttäuscht war ich von der Scheibe... Bei langsameren, düstereren und verkifften Metal-Sachen haben mich dann die Gothic-Metal-Scheiben von Mitte bis Ende der 90er (Moonspell, Paradise Lost, The Gathering, Amorphis, Samael etc) mehr inspiriert. Aber das ist nur meine persönliche Meinung und Geschichte...