laut.de-Kritik

Die letzten Sackgassen der Gedankengänge.

Review von

Als Edgar Wasser und Fatoni 2021 ihr zweites gemeinsames Album "Delirium" herausgebracht haben, war ich ziemlich harsch. Denn schlimmer noch als grundsätzlicher Kernschrott sind Artists, die ihr Potential verschleudern. Es gab ein paar Probleme mit dem Tape, die ich bis heute sehe: Zum einen drückt es zwei eigentlich vielseitigere MCs in die Rolle des Lachi-Lachi-Poetry Slammers, aber es versteckt auch Anklänge von ernsteren Gefühlen hinter einem gefälligem Strom an generischen Witzen. Das ist das Schlimmste: Es wirkte, als wollten die beiden sich ablenken, darüber zu reden, was sie wirklich gerade denken. Mit einer neuen, sehr kurzen EP reißt Edgar nun alle Smalltalk-Fassaden ein. "Ruf Der Leere" zeigt, warum dieser Mann es verdient, an höchsten Maßstäben gemessen zu werden.

Erstmal aber: Eine riesengroße Trigger-Warnug, denn diese drei Songs halten keine Sekunde hinterm Berg, was für ein monolithisches, pechschwarzes Thema sie behandeln. Wir haben es mit einem suizidalen Protagonisten zu tun. "Wenn Ich Spring'" versetzt sich auf ein Häuserdach, weit über der Stadt, ein nokturnaler Trapbeat wie die Straßen, ganz weit weg, ganz unten – und ein mit sich ringender Edgar. "Wenn ich spring, dann nur mit kurzer Erleichterung / Fliege vorbei am obersten Stock und genieße die kalte Luft / Aber etwa bei der sechsten Etage werde ich mich fragen ob es ein Fehler war / Zwischen dem dritten und vierten denke ich 'ja' und dann treff ich die Straße".

Er rappt das so lakonisch, fast ein bisschen berechnend runter, dass es einem die Sprache verschlägt. "Aber hin und wieder muss ich mich daran erinnern, dass die Stimme in meinem Kopf nicht immer stimmt", beruhigt er gleichermaßen ein wenig. Die Düsternis und das Drängende dieses Songs zündet doppelt so sehr, weil Edgar seine Stimme von seinem Modus Operandi wenig abweichen lässt, er rappt es, wie er sonst doppelt um die Ecke gedachte Referenzen oder Punchlines durchrappen würde – und dieser völlige Verzicht auf jeden Pathos lässt den Song so sehr in die Magengrube hauen. Edgar ist ein Mann, der viel denkt – und was er hier präsentiert, wirkt wie die letzten Sackgassen der Gedankengänge, kein Emotionsausbruch, nur ein kühles Zu-Ende-Denken.

Aber es ist nicht alles furchtbar. "DGWNU", kurz für "den ganzen Weg nach unten", könnte man als einen waschechten Lovesong bezeichnen und er handelt von einem Phänomen, ein bisschen ähnlich dem, wie all die antisozialen Kids während dem Lockdown über sich gelernt haben, dass sie nicht ganz so gern allein sind, wie sie dachten. Wunderbar aus dem letzten Song übergeleitet beschreibt er Einsamkeit, die Schwere seiner Entfremdung und lenkt es dann überraschend aufrichtig und unzynisch dazu über, dass ein Partner, ein Verliebtsein ihn aus dieser Isolation prügeln konnte.

Abgeschlossen wird mit "Alles Wird Gut Ok", einem irgendwie Gen Z-esken Aufbrühen von Trap-Elementen gegen einen Loop, der auch im Lo-Fi-Hip Hop zuhause sein könnten. Keine Bars, nur sechzig Sekunden der Titel im Loop, dann abblenden. Ein bisschen wirkt das wie jemand, der das Üble von Track eins und das Positive von Track zwei in Balance hält und sich mit einem Mantra in die gute Richtung lenken will. Aber mehr noch als das, wird es hier Zeit, auch über die musikalische Entwicklung auf diesem kleinen Projekt zu sprechen.

Viele Artists, die als Rucksackträger oder Studentenrapper angefangen haben, hatten irgendwann ab 2015 eine seltsame Obsession mit dem Trap-Genre, aber irgendwie haben sie es in den wenigsten Fällen hingekriegt, es so richtig überzeugend für sich zu nutzen. Die Vocals, die Songstrukturen, das folgte immer noch klarem 2011-Blog-Rap-Schema, der Autotune-Einsatz war immer ... iRoNiScH, die Adlibs nur Grundlage für Jokes und die Grooves rissen auch keine Bäume aus (Audio und Yassin bei letzterem als große Ausnahme genannt). Edgar zeigt hier immenses Feingefühl als Songwriter und Kurator seines Sounds, denn wie er mit Repetition, Vocal-Manipulation und der kollagenhaften Zusammenstellung von verschiedenen Vocal-Elementen arbeitet, das könnte zukunftsweisend für seine Sparte sein.

Denn interessanterweise taucht er nicht voll in Richtung des melodischen Raps ab, sondern arbeitet großteils mit klassischen Elementen seiner Nische, die er aber etwas modernisiert und vor allem großartig arrangiert darbietet. Es gibt sogar einen von diesen depressiven Filmzitaten a la Prezident oder Vandalismus, es gibt kurze Hook-Wiederholungen, Storytelling-Parts, aber wie unterschwellig und subtil er sie zusammenbaut, steht in einer Liga für sich.

"Ruf Der Leere" mag im größeren Ganzen nur ein winziges Projekt sein, aber in seiner Ehrlichkeit, in seiner erschütternden Bereitschaft, die Dinge beim Namen zu nennen, ist es ein absolutes Unikat. Für keine sieben Minuten Hördurchgang geht es absolut unter die Haut. Wenn Edgar auf diesem Level weiterarbeiten könnte, dann ist das hier Grund zur Begeisterung, wie sie diese Sparte Rap seit gut zehn Jahren nicht mehr ausgelöst hat.

----------

Menschen, die unter Depressionen leiden und Suizidgedanken haben, finden bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 Telefonseelsorge rund um die Uhr Hilfe. Die Beratungsgespräche finden anonym und vertraulich statt.

Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.

----------

Trackliste

  1. 1. Wenn Ich Spring'
  2. 2. DGWNU
  3. 3. Alles Wird Gut Ok

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Edgar Wasser

Er ist der deutsche Diktator, "bester Rapper der Welt", "Undenker" und sowieso "The Illest". Provokateur und scharfer Beobachter, Humorist und Freigeist …

2 Kommentare mit 8 Antworten