laut.de-Kritik

Die grausigsten Aufnahmen ihrer Karriere.

Review von

Gibt es da draußen vielleicht jemanden, der sich traut, gegen mich zu wetten, wenn ich behaupte: Bevor Erasure ihrem klassischen Synthie Pop-Sound jemals ein dringend notwendiges Update verpassen, unterschreibt George Bush das Kyoto-Protokoll? Oder etwas themennaher (und weil Kyoto 2012 ausläuft): Eher kehren Alan Wilder und Vince Clarke gemeinsam zu Depeche Mode zurück und teilen sich ein Keyboard.

Vor dem Cover von "Light At The End Of The World" muss man freilich mal wieder den Hut ziehen: So was würden im Jahr 2007 weder die Scissor Sisters noch Marc Almond bringen. Apropos 2007: Dass uns im gegenwärtigen Jahr nach Ansicht des Labels "eines der entschieden modernsten Alben ihrer Karriere" vorliegen soll, obwohl sämtliche Sounds durchweg klingen wie aus dem Moog von 1985, lässt an der Realitätswahrnehmung im Hause Mute gehörig zweifeln.

Dabei wiesen zuletzt alle Vorzeichen in Richtung Erasure-Happy End: Die Idee hinter dem Vorgänger-Album "Union Street", eine Auswahl alter Songs im akustischen Gewand neu zu interpretieren, überraschte nicht nur Fans und setzte hinter die Kompositionskunst des Duos noch mal ein dickes Ausrufezeichen. Um so trauriger, dass beim neuen Studioalbum leider so gut wie kein Licht am Ende des kitschigen Träller-Tunnels abzusehen ist.

Von dieser Kritik ausgenommen sind die mit Abstrichen erträglichen Songs "I Could Fall In Love With You", "When A Lover Leaves You" und "How My Eyes Adore You". Letzterer wurde ausnahmsweise mal nicht mit ein- und demselben 08/15-Beat unterlegt, der spätestens mit dem Einsetzen der Acid House-Bewegung ins Antiquariat wanderte. Dennoch legten Erasure 1992 mit "Chorus" noch mal ein glühendes Pop-Opus vor, bis dann langsam die Zeit begann, in der man vom engsten Freundeskreis, auf seine alte Leidenschaft Erasure angesprochen, verhöhnt und verulkt wurde, gerne in gehobener Tonlage. A little respect? Von wegen!

Beim Hören des neuen Erasure-Albums will man den frotzelnden Kumpels allerdings uneingeschränkt Recht geben, ihnen nachträglich Bier ausgeben und sich für alle retournierten Beleidigungen hinsichtlich karierter Flanellhemden entschuldigen. Denn mitunter ist es wirklich eine Frechheit, mit welcher Chuzpe Erasure ihre eigene Vergangenheit persiflieren, ohne dass auch nur im Ansatz eine neue Idee verarbeitet würde. "Sunday Girl" und das mit unsäglichen Trance-Flächen ausgestattete "Sucker For Love" gehören zweifellos zu den grausigsten Aufnahmen ihrer Karriere.

Dieser unerwartete Tiefpunkt wiegt besonders schwer, da Sänger Andy Bell vor zwei Jahren mit seinem dancelastigen Solo-Debüt "Electric Blue" genau das richtige Lichtlein am Ende der kleinen Synthie Pop-Welt Erasures gefunden zu haben schien. Anstatt sich für die anstehende US-Tour mit u.a. Cyndi Lauper, Debbie Harry und den Dresden Dolls in Bestform zurück zu melden, drohen Erasure in dieser Form zur Greatest Hits-Jukebox zu verkommen. Einmal mehr scheint es, als hätten Bell und Clarke vor langer Zeit alles gesagt, was sie zu sagen haben.

Trackliste

  1. 1. Sunday Girl
  2. 2. I Could Fall In Love With You
  3. 3. Sucker For Love
  4. 4. Storm In A Teacup
  5. 5. Fly Away
  6. 6. Golden Heart
  7. 7. How My Eyes Adore You
  8. 8. Darlene
  9. 9. When A Lover Leaves You
  10. 10. Glass Angel

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13 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Die ist wirklich mies... Was habe ich Erasure früher geliebt (besonders das 1995er "Erasure"-Album. Aber heute sind sie nur noch peinlich. Echt schade.

  • Vor 17 Jahren

    Jap, das war wirklich toll - schon allein soundtechnisch absolut genial. Mein Favorit wird aber immer "Chorus" bleiben - unerreicht. Ich frage mich langsam, wie sie diesen Mist, den sie jetzt wieder produziert haben, überhaupt noch vor sich selbst rechtfertigen können, in Anbetracht der wirklich tollen alten Alben (damit meine ich alle bis einschließlich 1995). Jetzt scheinen sie nur noch auf Uffta-uffta-Dorfdisco-Sound zu setzen. Und davon mal abgesehen - ich erinnere mich, dass es auch mal intelligente Texte gab...

  • Vor 17 Jahren

    Hallo.

    Vielleicht solltet ihr das Album ein paar mal durchlaufen lassen, bevor ihr es so runtermacht.

    Wer genauer hinhört, findet dann möglicherweise einige der interessantesten Erasure Titel, wie z.B. "Storm in a Teacup", "Darlene", "Glass Angel". Besonders letzteres sollte jedem DM-Fan die Tränen kommen lassen.

    "Sucker for Love" ist sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Aber das war "La Gloria" auch nicht.

    Ansonsten klingen Erasure eben wie Erasure. Meckert ja auch keiner über Brian Mays Gitarre.

    Tja, das Cover. Sie sind halt Erasure. Und Andy Bell kam einst auf einem Schwan auf die Bühne. Das passt schon.

    nils

  • Vor 17 Jahren

    @goby256 (« Andy könnte vielleicht auch ein bisschen abspecken damit man ihn im Video nicht auf eine Future Advertising Space irgendwo im Hintergrund verstecken mus. »):

    Ich war auch erschrocken, ihn SO zu sehen...aber hey...der Mann ist HIV infiziert, und mein Lieblings-Sänger ever muss gewiss manches an dickmachenden Zeugs schlucken :-(

  • Vor 17 Jahren

    Ich weiss nicht , was ihr habt.....ich liebe auch das neue Album und freu mich auf den 6.10 in Köln......

    PS: Klar sind die 80er vorbei, auch ich hätte gern wieder Alan bei DM. Aber Erasure sind auch heute noch inspirierend und bis auf "Loveboat" fnde ich all Ihre Songs Klasse und sie erzeugen weiterhin Gänsehaut.....

  • Vor 6 Jahren

    schade. Während DEPECHE MODE immer noch extrem erfolgreich sind und ich nie eine karte für ihre Tour bekomme, sind Erasure seit 1995 mehr oder weniger erledigt.
    Dieses Album ist so kitschig und schlecht

    1 Stern

    Schon das Cover ist peinlich