laut.de-Kritik

Selten war ein 'Ungehört 1/5' gerechtfertigter.

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"Ich habe mir in den Kopf gesetzt, ich will DJ sein, ich will Produzent sein. Ich will keinen normalen Bürojob haben, sondern meinen Traum zum Alltag machen. Und nachdem das alles erfüllt war habe ich etwas Neues gebraucht was ich füllen kann." Was passiert, wenn man am Anfang seiner Zwanziger schon alles erreicht hat? Meistens fällt man in ein Loch, hinterfragt das ein oder andere und sucht nach Selbstbestimmung. Felix Jaehn durchlebte in den letzten Jahren so eine Phase und veröffentlichte nur eine Handvoll Songs. Doch damit ist jetzt Schluss: "Jetzt geht es mir wieder gut und ich will lebensbejahende Musik machen".

Dieses 'etwas Neues' fällt aber genauso aus, wie eh und je. Wer glaubt, der Deutsche würde sich nicht nur persönlich, sondern vor allem musikalisch weiterentwickeln, der bewegt sich auf dem falschen Pfad. "Breathe" malträtiert mit dumpfer Fröhlichkeit und dermaßen vereinfachten Lebensweisheiten, dass jede Küchenwand-Tattoo besitzende Biggi vor Neid erblassen lässt. Vor allem Probleme gestalten sich als leicht zu ignorierende Hindernisse: ""Close your eyes, make a wish / Where life ain’t easy, remember this / All your troubles can be fixed". Ja, na sicher!

Generell beschleicht einem das Gefühl, dass Felix sich in esoterischen Kreisen bewegt, wirft man einen Blick auf das schwülstige Albumcover oder warum er es "Breathe" nennt: "Ich hatte jahrelang eine Notiz auf meinem Handy mit dem Inhalt 'Breathe, Inhale, Let Go'. Das Einatmen, Spannung aufbauen, gerade auch vor Shows und dann das Ausatmen, Loslassen, das finde ich total wichtig, weil man mit der Atmung den kompletten Energiefluss im Körper beeinflussen kann".

Tief durchatmen muss auch der geneigte Hörer bei diesen 15 austauschbaren Songs, denen jegliche Inspiration, Komplexität, Kreativität und Experimentierfreude abgehen. Jaehn offeriert immer den gleichen Ablauf stupider EDM-Nummern ohne Überraschungen, strikt nach Schema F produziert. Angereichert mit schon tausendfach verwendeten Handclaps, Violinen, Pianos und neben pseudo-melancholischen Strophen und euphorischen Refrains entsteht ein Sinnbild tonaler Einöde.

All das wäre da ja noch halbwegs zu ertragen, gäbe es nicht diverse unnötige Cringe-Momente, angefangen bei "Close Your Eyes". Eine Ode an das 'nicht aufgeben, weitermachen'-Credo, bei dem ein Anruf des Freundes vollends genügt: "Just pick up the phone and I'm with you / I just got to make sure you're not giving up". Der alberne Anruf gestaltet sich dann am Ende so: "Hey, wassup? How you doing? I hope you're well". Getreu dem Motto 'It's not much but it's honest work'. In das DJ-Fettnäpfchen, uralte Remixe trotzdem noch aufs Album zu klatschen, tritt Felix selbstverständlich ebenfalls hinein. So geschehen mit dem Remix zu "Some Say" der schwedischen Sängerin Nea. Sie hat sogar gestanden, dass sie sich bei der Refrain-Melodie von Eiffel 65 "Blue (Da Ba Dee)" hat inspirieren lassen. Das Niveau liegt dementsprechend ganz weit unten.

Das Tag-Team Miksu/Macloud & Fourty mit dem US-Säger Leland kredenzen auf "Happy" bilinguale Redundanzen, bei denen jeder im Ansatz gebildete Mensch mit dem Kopf schüttelt: "People ask me every day how I'm doin' (Jeden Tag) / What I'm doin' (Was ich mach') / They say, "How you doin'?" (Was geht?)". Im Refrain singen sie davon, wie glücklich sie sind, klingen dabei jedoch wie Fentanyl-Abhängige. "No Therapy" berichtet von Selbstliebe und Selbstdarstellung, psychischer Gesundheit und Selbsterkenntnis. Die Texte kommen indes wie die einer verstrahlten Sekte gleich: "You, me, honestly / we don't need no therapy / Love me crazy, we'll be who we wanna be / Just live it up". Alles ganz einfach, man kennt es. Blöd nur, wenn Felix in einem Interview bei Cultr zugibt, in Therapie gewesen zu sein.

Eines von zwei Verbrechen an der Menschheit bildet "Heard About Me" von Dimitri Vegas und Like Mike. Ein ganz fürchterlicher Aufguss von 50 Cents "P.I.M.P.", bei dem noch sein ikonisches 'Go Go Go' aus "In Da Club" untergemischt wird und eine verkrampft lässige Lady die Semantik des Originaltextes umdreht: "I don't know what you heard about me / But you won't get me out on that D / Boy, your hustle tricks are so cheap / You're just a mother-effin' P-I-M-P". Brudi, da muss ich aber ganz schnell los.

Die andere Missetat betrifft ebenfalls ein Cover. "Thank You (Not So Bad)" nimmt sich den Chorus aus Eminems "Stan" und wiederholt ihn satte acht Mal. That's it. Bei dem cool scheppernden Dark House-Beat hätte man ein wenig mehr Eigenständigkeit erwartet, doch der derzeit grassierende Hype beinahe jeden alten Song in ein groteskes EDM-Kleid zu zwängen, geht auch an Felix nicht vorbei. Ein todtrauriges Ergebnis für die Popmusik.

Gerechtfertigter war ein 'Ungehört 1/5' tatsächlich selten, wenngleich Felix noch ein gelungenes Tandem versteckt. "Automatic" trumpft mit etwas düsteren Zeilen über eine toxische Beziehung und einem sich vornehm zurückhaltenden, leicht exotisch angehauchten Beat auf. Der einzig veritable Clubhit "One More Time" verbindet handwerklich sauber alle Versatzstücke mitsamt gelungener Melodie. Genre-Liebhaber wissen natürlich, dass der Song schon auf dem diesjährigen Album "IIII" seines Kumpels Robin Schulz vertreten ist. Da hat er sogar an Recycling gedacht - gewieft, dieser Felix!

"Breathe" subsumiert alles, was an kontemporärer 'Musik' im Radio läuft und trieft vor anbiedernder Massentauglichkeit, so dass einige Tracks in Dorfdiscos sowohl im House- als auch im Schlagerraum Verwendung finden und von Testosteron-Machos mit extrem weitem V-Ausschnitt sowie generischen Alman-Anettes so richtig gefühlt werden. RTL bedankt sich gleich mehrfach, taugt doch jeder einzelne Song zur musikalischen Untermalung ihrer unzähligen Reality TV Shows. Ein Armutszeugnis.

Trackliste

  1. 1. Breathe (Demo) (feat. Miss Li)
  2. 2. Close Your Eyes (feat. Miss Li)
  3. 3. I Got A Feeling (feat. Georgia Ku)
  4. 4. Old Me
  5. 5. Happy (feat. Fourty & Leland)
  6. 6. Somebody You Like
  7. 7. Automatic (feat. Jon Eyden)
  8. 8. No Therapy (feat. Nea & Bryn Christopher)
  9. 9. Heard About Me
  10. 10. One More Time (feat. Alida)
  11. 11. So Close (feat. Georgia Ku)
  12. 12. Without You (feat. Jordan Shaw)
  13. 13. Thank You (Not So Bad)
  14. 14. All The Lies
  15. 15. Some Say (Felix Jaehn Remix)

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