laut.de-Kritik

Berauschend, bizarr und dabei noch hochgradig einprägsam.

Review von

"Etwas, das alles und jeden verschlingt: Baum, der rauscht, Vogel der singt. Frisst Eisen, zermalmt den härtesten Stein, zerbeißt jedes Schwert, zerbricht jeden Schrein. Schlägt Könige nieder, schleift ihren Palast. Trägt mächtigen Fels fort als leichte Last." (Tolkien)

Die Zeit ist ein garstiges Tier. Selbst vor Frank Zappa macht sie nicht halt. Mehr und mehr gerät er in Vergessenheit. Der Mann, der früher mit heruntergelassenen Hosen auf einem Lokus thronend von jeder zweiten WG-Zimmertür grüßte, ist heute aus dem Alltag verschwunden. Über seinen Langrillen im Second-Hand-Schallplattenladen bildet sich langsam eine feine Schicht Staub. Die alten Herren haben längst die gesuchte Pressung. Das Jungvolk wurde nicht rechtzeitig an den Musiker herangeführt oder erschrickt vor der Flut seiner Werke. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Eine Diskografie von über sechzig Alben zu Lebzeiten, gefolgt von über dreißig Veröffentlichungen nach seinem Tod, macht es nicht gerade leichter. Welche Platte eignet sich zum Einstieg, welche taugt gar als Meilenstein? Egal, zu welcher Entscheidung man kommt: Will man allem gerecht werden, kann man nur alles richtig und zugleich alles falsch machen.

Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Sein Erstling "Freak Out!" mit den Mothers Of Invention? "Sheik Yerbouti", sein Tower Of Power und Einstieg in den Mainstream? Oder, ganz mutig, seine kalte Synclavier-Episode mit "Jazz From Hell"? Sein letztes "Muah" mit dem "Yellow Shark"? Oder das im Vergleich schon fast gradlinig rockende "Zoot Allures"? "The Torture Never Stops".

Meine Zappaisierung erfolgte mit "Over-Nite Sensation", "Apostrophe (')" und nicht zuletzt dem Schmuckstein "One Size Fits All", dessen "Inca Roads" alleine schon einen eigenen Meilenstein verdient hätte. Doch letztlich fällt die Wahl auf einen ganz anderen Longplayer.

"Frank Zappas Musik wäre ohne seinen Humor furzbeschissener Jazzrock gewesen", gibt Bela B. 2007 von sich. Dass er absolut Recht hat und doch zugleich meilenweit daneben liegt, hat Zappa bereits 1969 mit "Hot Rats" bewiesen. Während sich die Welt noch streitet, ob nun die Beatles oder die Stones die wahren Helden sind, ist Zappa seiner Umwelt schon Jahrzehnte voraus. Schlimmer noch: Über vierzig Jahre später wirkt er in unserer wieder zunehmend konservativer werdenden Umwelt und Musiklandschaft, in der als aufregendster Aspekt nur noch die Darreichungsform bleibt, wie ein Alien.

Pompöse und prahlerische Melodieführung spiegelt die Schlagfertigkeit von "Hot Rats". Zappa malt mit Noten, Instrumenten und der zu diesem Zeitpunkt neuen 16-Spur-Tonbandtechnik Bilder. Mit Hilfe von allerlei Studio-Zauberei, wie auf halber Geschwindigkeit eingespieltes Schlagzeug oder Bass, kreierte er eine ganz eigene, unverkennbare Klangwelt.

Fast vollständig verzichtet der Sohn sizilianischer Einwanderer auf eins seiner größten Wiedererkennungsmerkmale: seine Texte, die schonungslos und zynisch mit allem und jedem abrechnen. Nur "Willie The Pimp" verfügt über ein paar gepfefferte Zeilen, die aber sein Jugendfreund Captain Beefheart zum Besten gibt.

Die Abkehr von Rock, Doo Wop, Klangkollagen und Musique Concrète hin zum Jazzrock sowie die selbst auferlegte Schweigepflicht sind für Zappa nötig, um seine zweite Stimme zu entdecken: sein markantes Gitarrenspiel. Bissig wie Baby-Schlangen verhakt es sich in das Fleisch seiner Kompositionen und setzt sein Toxin frei. "Shut Up'n Play Yer Guitar". In den schnellen, abgehackten Noten finden sich seine Blues-Vorbilder Johnny "Guitar" Watson, Matt Murphy, Eddie Jones und Clarence "Gatemouth" Brown wieder.

Als zentrale Figur des zweiten Solo-Albums nach "Lumpy Gravy" entpuppt sich der letzte Verbliebene der ersten Mothers Of Invention-Generation. Ian Underwood zeichnet für einen nicht unerheblichen Teil des Sounds von "Hot Rats" verantwortlich. Neben diversen Blasinstrumenten spielt er Piano und die Organus Maximus, eine Pfeifenorgel, die im Whitney Studio installiert war.

Hinzu stoßen die Bassisten Max Bennett und Shuggie Otis, die Violinen von Don "Sugarcane" Harris und Jean-Luc Ponty und Rhythmusgitarrist Lowell George. Wie bei einem Staffellauf reichen mit John Guerin, Paul Humphrey und Ron Selico gleich drei Schlagzeuger die Stöcke von Hand zu Hand.

Virtuos steuern Underwood und Zappa mit Hilfe von Schlagzeuger Ron Selico und Bassist Shuggy Otis durch "Peaches En Regalia", einem grellbunten Notenhagel: berauschend, bizarr und im gleichen Maße hochgradig einprägsam. Dass all dies leicht und verspielt klingt, bleibt aber die größte Leistung.

Wie ein Gegenmodell zum schwerelosen "Peaches En Regalia" stellt sich "Willie The Pimp", die Geschichte vom Möchtegern-Zuhälter Willie, auf. "Hot meat / hot rats / hot zits / hot wrists." Geheimer Schmutz und dreckiger Blues-Rock, untermalt von Don "Sugarcane" Harris Violinenriff, unterbrochen von Zappas schroffen Wah-Wah-Gitarrensolo. Über all dies geifert und rotzt Kapitän Rindfleischherz manisch über das Studiomikro, dass einem angst und bange wird. "Man in a suite with bow-tie neck / Wanna buy a grunt with a third party check."

Ohne Vorwarnung springt der Funk von "The Gumbo Variations" mit Gitarren-/Bassriff, Maracas und einem manischen Tenorsaxophon, gespielt von Underwood, ins Gesicht. Ein Solo folgt dem nächsten, bis alles nach zwölf Minuten mit der elektrischen Geige von Harris in einem G-Spot-Tornado endet.

"Son Of Mr. Green Genes" begleitet "Mr. Green Genes" und dessen Thema vom Album "Uncle Meat" mit Hilfe von temperamentvollen Soli durch eine affektive Psychose. Ein verfremdeter Basslauf bildet das Grundgerüst für "Little Umbrellas", "Peaches En Regalia"s melancholischer Bruder. Ein verregneter Parkspaziergang, in dessen Pfützen sich Thelonious Monk spiegelt.

Hinreißend und doch so schwer greifbar bleibt das entrückte "It Must Be A Camel" mit einem kurzen Auftritt von Jean-Luc Ponty. Seinen Namen verdankt das Stück den Notenzeichen, die wie Kamelhöcker über das Papier verteilt sind. "Ich mag es einfach, wie Noten auf dem Papier aussehen."

Mit "Hot Rats" zeichnet Zappa ein halbes Jahr vor "Bitches Brew" seine eigene Version von Jazzrock und Fusion Jazz, die er nochmals in "Waka/Jawaka" und "The Grand Wazoo" aufleben lässt. Als Komponist erreicht er einen ersten Höhepunkt, lässt aber Raum für entwaffnende Improvisationen. Viel zu schade, um all dies dem Staub und dem Vergessen zu überlassen. Aber vielleicht halten wir uns damit auch nur unbewusst an den Wunsch des Meisters. Der antwortete in einem Interview mit Nationwide UK TV auf die Frage, wie er in Erinnerung bleiben möchte: "I don't give a fuck if they remember me at all."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Peaches En Regalia
  2. 2. Willie The Pimp
  3. 3. Son Of Mr. Green Genes
  4. 4. Little Umbrellas
  5. 5. The Gumbo Variations
  6. 6. It Must Be A Camel

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25 Kommentare mit 2 Antworten

  • Vor 11 Jahren

    Kubanke über Bowie, Kabelitz über Zappa... Langsam kommt ihr da an, wo ihr hin solltet!
    Sehr schön, bin beigeistert. Meilensteine und Interviews, das sind die Perlen eurer Auslage, laut.de.

  • Vor 11 Jahren

    meine Zappaisierung war zufällig genau dieselbe. Aber ich glaube, wieso das viele ... "neue" nicht hören ist, weil Zappa eben doch nicht so leicht verträglich ist.

    allerdings ist Zappa ein muss als Meileinstein, ich sage mal, er ist wohl einer der besten Musiker. (Punkt)

  • Vor 11 Jahren

    Zappa find ich ja mal sehr nice - kenne das vorliegende (wie in etwa 90 % des restlichen Machwerks) zwar nicht, werd da demnächst aber mal wieder einsteigen! Merci dafür!
    Beefheart wäre ja übrigens auch mal was für die Rubrik :)