laut.de-Kritik
Mehr als nur Untermalung für Rooftop-Partys.
Review von Florian DükerAls Frank Ocean letztes Jahr mal wieder spontan das Bedürfnis hatte, seine Fans zu enttäuschen, indem er seinen Auftritt als Headliner beim Coachella-Festival absagte, bescherte er damit Fred Again.. unbewusst dessen bisherigen Karrierehöhepunkt. Denn dieser wurde kurzerhand gemeinsam mit Skrillex und Four Tet damit beauftragt, dem wohl beliebtesten Festival der USA einen würdigen Abschluss zu verpassen.
Das ungleiche Trio ergriff die Gelegenheit beim Schopfe und zündete ein EDM-Feuerwerk ab, sowohl aus den zu erwartenden, größten Hits der drei Künstler als auch aus eher weniger zu erwartenden Remix-Versionen von Nirvanas "Smells Like Teen Spirit", Carly Rae Jepsens "Call Me Maybe" und Blink 182s "I Miss You". Wie viel Spaß die drei dabei hatten, ist der Aufnahme des Sets auf YouTube deutlich anzumerken.
Ob auch dieser Moment zu den zehn Tagen zählt, die Fred Again mit "Ten Days" musikalisch verarbeitet hat? Gut möglich, kann so ein Konzert doch niemals spurlos an einem vorbeigehen. Selbst dann nicht, wenn darauf noch Auftritte vor ähnlich großem oder noch größerem Publikum folgen, wie in Freds Fall beim Glastonbury oder kürzlich beim Reading Festival in England. Ein aufregendes Leben, das der in London geborene ehemalige Internatsschüler führt.
"Das hier sind zehn Songs über zehn Tage. Es gab ein paar wirklich verrückte Momente im letzten Jahr, aber mir ist bewusst geworden, dass es eher die ruhigen, intimen Momente waren, die mich wirklich beeinflusst und geformt haben", erklärt er in einem Post auf Instagram.
"Bei manchen handelte es sich um extrem fröhliche Momente und bei manchen eher weniger. Und über manche Tage möchte ich gar nicht so detailliert sprechen, weil ich nicht der einzige bin, für den es ein so besonderer Tag war."
Damit ist das Konzept des Albums schon erklärt. Zugegeben, er ist sicher nicht der erste, der auf einem Album Songs verschiedenen Erlebnissen widmet, aber warum auch das Rad neu erfinden? Das hat er mit seiner Musik ohnehin noch nie getan. Daraus könnte man ihm nun einen Strick drehen, und das haben so manche auch schon versucht, doch hält seine Musik weiterhin dieser Kritik stand?
"Adore U" zeigt direkt, wo es lang geht, ist eingängig, tanzbar, unwiderstehlich. Wie fast ausnahmslos alle Songs entstand auch das Intro in Zusammenarbeit mit mindestens einem anderen Künstler, in diesem Fall mit dem Afrobeat- und Soulsänger Obongjayar, der zuvor auch schon auf Songs von Little Simz und Danny Brown zu hören war. "Ten" geht noch einen Schritt weiter in Richtung Unbeschwertheit und klingt wie die perfekte Untermalung für eine stilvolle Rooftop-Party bei Sonnenuntergang. Der erste Stargast des Albums ist Sampha, der einen eher unspektakulären Refrain auf "Fear Less" beisteuert.
Wer Geduld hat und sich mit dem Akzent des Feature-Gasts Soak abfindet, kommt auf "Just Stand There" in den Genuss von Freds Fähigkeit, ein Stück langsam aufzubauen und dann zur euphorischen Klimax zu bringen. Das vom Klavier getragene Instrumental steigert sich von Sekunde zu Sekunde, im gelungenen Kontrast zum ausdruckslos vorgetragenen Monolog: ein Track wie eine Hypnose, die Drums als hin- und her schwingendes Pendel, Soak als Hypnotiseurin, die den Hörer mit der hundertsten Wiederholung in Trance versetzt.
Den nächste Stargast des Albums, Anderson .Paak, setzt Fred mit einem der energetischsten Songs des Albums in Szene: "Places To Be" ist wie gemacht für die ganz großen Bühnen der Welt, bietet aber dafür wenig replay value. Mit Skrillex und Four Tet haben gleich zwei weitere Stargäste am darauffolgenden Track "Glow" mitgewirkt. Die Chemie scheint nicht nur auf der Coachella-Bühne zu stimmen, sondern auch im Studio. "Glow" bekommt alle Zeit der Welt, sich zu entfalten und strahlt nach einigen Minuten in allen Farben und in alle Richtungen, mal schwächer und mal stärker, mal gedimmt und mal blendend hell.
Für die zweite Albumhälfte hat sich der Brite dann noch mehrere Highlights aufgehoben. Ruhig, romantisch und reserviert kommt "I Saw U" daher, eine Ballade, ganz ohne Drums: "I open my eyes, but there's nothing left to see / 'Cause, darling, I saw you and you saw me", singt Fred, und schwarz auf weiß klingt das natürlich kitschig, doch im Albumkontext funktioniert es. Was ebenso funktioniert, ist das Sample eines fast 30 Jahre alten Songs auf "Where Will I Be". Ältere Semester erinnern sich womöglich an den gleichnamigen Klassiker von Emmylou Harris. Freds Version zeigt in erster Linie, wie zeitlos diese Melodie ist, hat aber durchaus ihre Daseinsberechtigung und geht respektvoll mit dem Original um.
Während "Peace U Need" zwar die für Fred Again.. typische Mischung aus Euphorie und Therapie verströmt, musikalisch aber fast eher nach Jamie XX als nach Fred klingt, kommen auf dem Closer "Backseat" schließlich wieder alle Stärken des Produzenten und Songwriters zum Vorschein: ein immer mehr an Fahrt aufnehmendes Instrumental, süchtig machende Drums, perfekt inszenierte Vocals - ein pure Lebensfreude ausstrahlender Abschluss.
Es lässt sich also über jeden Track auf Fred Agains.. viertem Studioalbum ein gutes Wort verlieren. Auch wenn die ganz großen Highlights fehlen, muss sich "ten days" weder vor den vergangenen Werken in Freds Diskographie, noch vor der Konkurrenz verstecken. "Ten Days" ist geeignet für die Rooftop-Party bei Sonnenuntergang - das hat er selbst gezeigt - doch es ist weit mehr als belanglose Hintergrundmusik. Fred Again.. ist zu einem der größten Stars seines Genres herangewachsen, und das zurecht.
1 Kommentar
Nicht ganz so gut wie sein Album Actual Life 3, aber das gehört bei mir auch zu den Top 3 Elektronikscheiben insgesamt.