laut.de-Kritik
Visionäre Klangästhetik, plumpe Lines.
Review von Lukas RauerIn Interviews zu ihrem, "D.N.A.2" inbegriffen, siebtem Studioalbum ließen Genetikk verlauten, "Y.A.L.A" (You Always Live Again) solle ihr bis dato zeitlosestes Werk werden. Sie seien underrated, hieß es, und die hiesige Hörerschaft peile ihren Film nicht. Dass sie mit solchen Äußerungen anecken, stört die beiden recht wenig. Kontroverse Aussagen ziehen schließlich immer.
Die Vorzeichen für dieses ambitionierte Vorhaben standen dabei grundsätzlich nicht schlecht. Gemischt und gemastert hat die amerikanische Produzenten-Legende Mike Dean, der in diesem Jahr bereits Hand an die Alben von Kanye West, Travis Scott und Nas anlegte. Was das Mindset betrifft, hätte er in Deutschland außer in Genetikk höchstens in Sierra Kidd und Fler ähnlich visionäre Künstler vorgefunden.
Insofern überrascht es nicht, dass die Produktionen keine Wünsche offen lassen. Genetikk untermauern, dass sie hierzulande zu den wenigen gehören, für die klangliche Ästhetik oberste Priorität besitzt. Ob Samples oder Beatswitches: Die Liebe zum Detail ist spürbar. Man hört den Beats an, dass sie in gemeinsamer Arbeit entstanden, sie verkommen niemals zu Stangenware.
Paradebeispiele dafür liefern "Flames" und "Wake Up". Der Klangteppich von "Flames" klingt über weite Strecken düster, ehe das Ende den Hörer plötzlich harmonisch und friedlich zurücklässt. Ähnlich verspielt wirkt "Wake Up". Karuzos zweitem Part folgt ein klanglicher Bruch, der in einem komplett eigenständigen Song endet. Solche Breaks sind gewagt und im deutschsprachigen Raum rar gesät.
Nicht minder experimentell fällt "5 AM" aus. Hier kombinieren die OTW-Gründer sphärische Klänge mit einer durchschnittlichen Gesangshook. Ohne den Text wäre der Song sogar ziemlich radiotauglich. Während die breite Masse in Übersee solche Tracks zelebriert, gehen sie bei uns noch nicht zwingend als State of the Art durch. Hörer, die nicht gewillt sind, über vermeintliche Genre-Grenzen zu blicken, schreckt eine derartige Nummer vermutlich eher ab. "1 Moment" folgt demselben Prinzip, allerdings mit ruhigen, deepen Klängen.
Während die musikalische Gestaltung erfrischend ausfällt, gerät die textliche ernüchternd. Lyrics und Alben müssen nicht immer anspruchsvoll sein. Künstler sollten sich entfalten dürfen, wie sie es für richtig erachten. Aber wenn sich jemand in der Vergangenheit über das Zusammenspiel von Texten und Sound definierte, sollte er ersteren Aspekt nicht vollends aus den Augen verlieren. So belanglos und austauschbar wie Karuzo auf "Y.A.L.A" teilweise spittet, geht viel von der früheren "Magic" verloren.
Exemplarisch sei hier "Bitches" genannt, einer der in meinen Augen schlechtesten Genetikk-Tracks überhaupt. Das titelgebende Wort in den Hooks gefühlt tausendmal zu wiederholen, führt nicht dazu, dass von der Nummer irgendetwas anderes hängenbleibt. Naja, eine Line noch, aber die aus dem falschen Grund: "Es geht um Vision, Vision, Vision, Vision. Du kannst meinen Boden wischen, wischen, wischen."
Nicht wirklich besser: "Ihre Zähne in mei'm Fleisch wie'n Vampir. Kein Kavalier, sie ist 'n Kannibal wie Hannibal." Diese Zeilen entstammen dem Track "Motel", der rein akustisch gemeinsam mit "Goat" und "Magic" tatsächlich zu den besseren Nummern gehört. Aus so plumpen Lines etwas herauszuholen, gleicht einem wagemutigen Unterfangen.
Für einen Lichtblick sorgt dagegen "Neuer Name", auf dem Karuzo die Vergänglichkeit des Lebens thematisiert und sich gekonnt nachdenklich zeigt. "Wer braucht Trophies, wenn ich morgen in 'ner Kiste lieg' aus Holz, Bitch?" "Marlene" entschleunigt den gängigen Sound ebenfalls angenehm. Hier rückt eine verflossene Liebe in den Vordergrund. In zugegebenermaßen nicht neuer Manier sucht Karuzo nach den Gründen für das Ende der Beziehung.
Mit Features halten sich Genetikk auf "Y.A.L.A" indes zurück. Lediglich Yung Gold unterstützt die beiden. Auf gleich fünf Tracks tritt er in Erscheinung: am häufigsten mit Producer-Tags (z.B. "Flames" und "Bitches"), einmal mit einer Hook ("Motel"), die weder überragend nioch schlecht ausfällt. "Die Welt draußen geht unter, alles brennt. Doch wir bleiben für immer im Motel. Ich schenk' dir mein Geld, all mein Gold und auch mich selbst. Baby, friss mich auf und dann sag mir, wie es schmeckt."
Die CD des Albums umfasst elf Tracks. Erwirbt man das Album digital oder streamt es, bietet es einen weiteren Song. Der entstand - laut Aussagen von Genetikk - auf dem Rückflug aus den Staaten nach Deutschland. Einerseits sind Engagement und der stetige Drang, sich musikalisch zu betätigen, löblich. Andererseits zeigt dieser Umstand aber auch, dass die Arbeiten am Album zu einem späten Zeitpunkt immer noch nicht abgeschlossen waren. Auf Käufer der CD wirkt dies vermutlich mehr als ärgerlich. Vielleicht hätten Genetikk besser daran getan, den Track seperat zu releasen.
Karuzo und Sikk müssen sich derweil nicht vorwerfen lassen soundtechnisch auf der Stelle zu treten. In den hiesigen Gefilden erfindet sich niemand dermaßen oft neu. Folgerichtig klingt "Y.A.L.A" im Vergleich zu den bisherigen Projekten der Saarländer deutlich experimenteller und gewöhnugsbedürftiger. Es stellt ohne Frage ein ziemlich spezielles Hörerlebnis dar, gerade im deutschen Rap-Kosmos.
Erst nach und nach versteht man, was sich die Jungs bei dem Projekt gedacht haben: Sie orientieren sich an amerikanischen Blaupausen und versuchen, einen neuen Sound zu etablieren. Zumindest für sich. Wer Genetikk intensiver verfolgt, kennt ihren seit jeher bestehenden Anspruch, Kunst und keine Musik zu schaffen. Daher verwundert es nicht, dass beide selbst so überzeugt von dieser eigenwilligen Platte sind. Den immensen Vorschusslorbeeren wird sie trotzdem eher nicht gerecht. Dafür bleibt "Y.A.L.A" textlich zu weit von dem entfernt, wofür man Karuzo einst schätzte.
6 Kommentare mit 6 Antworten
Und gerade die obszönen und vulgären Lines fallen negativ auf, weil sie extrem wack sind. Der erste Durchlauf war sehr ernüchternd.
Leider werden die Jungs seit Achter Tag von Album zu Album schlechter. Foetus, Voodoozirkus und D.N.A. sind alle top, sowohl klanglich als auch textlich, aber YALA schießt bzgl. der Lyrik den Vogel ab. Bei Künstlern wie Genetikk, bei denen es eben auch immer um den Text ging, kann man m.M.n. den Hörgenuss bei YALA vergessen. Es geht nur noch um stumpfes Zeug... Bitches, Sex, Cash, etc. und das kauf ich ihnen einfach nicht ab. Das passt einfach nicht. Wo ist der "braungebrannte Itaker", der Gringo und die Neckbreaker Aliens? Man konnte die Kopfnicker-Beats im offenen Auto hörn ohne sich zu schämen, der Text war verspielt und es hat Spaß gemacht zuzuhören und man fühlte sich irgendwie gut dabei. Das ist aber schon lange nicht mehr so...
Ich bleibe weiter Fan und hoffe, dass sie wieder zu ihren Wurzeln zurückfinden. Leider bezweifle ich das, da der erste Schritt zur Besserung bekanntlich die Einsicht ist und davon sind sie ja Meilenweit entfernt. Wenn sie auf die Fans hören würden, dann würde ich ihnen raten, dass sie wieder mehr aufs textliche achten sollten und dafür könne sie gerne die Beatwechsel in jedem 2. Song weglassen.
Für mich 1/5, da außer Magic leider kein hörbarer Song dabei ist.
Die Aussprache ist Karuzo's Stärke - und das in sämtlichen Sprachen. Klingt einfach geil.
Seinen südländischen Einschlag in seiner Artikulation vernachlässigt er immer mehr, was sehr traurig ist.
Das hier ist aber besser als FUKK Genetikk..Abwärtstrend auf niedrigem Level gestoppt würde ich sagen
Man stelle sich Sikk mit 'nem talentierten Rapper und Lyricist an seiner Seite vor.
Ich weiß nicht... finde irgendwie er ist Teil des Genetikk-Problems. Ich habe jetzt auch wieder in ein paar Sachen reingehört (ohne halt reinzukommen). Und ich weiß nicht, ob das bloß an Karuzo hängt.
Ich finde die ganze Klangkulisse und dieser "Große Kunst"-Duktus macht irgendwie was kaputt. Ich jedenfalls kann es nicht fühlen. Es ist nicht authentisch und Sikk hat das Anteil dran.
Ja, die beiden zusammen, das wirkt seit längerem überambitioniert. Vielleicht schaden sich auch beide gegenseitig.
genau dieses kunstgefasel stört mich auch. haben irgendwie den ganzen roughen zauber der ersten platten kaputtgeredet, mit ihrem architekturgeschwätz.
Alles Fakenews! Opfer des Mindblocks!
YALA tut 1 Offenbarung sein vong Mindset her!
„Visionäre Klangästhetik, plumpe Lines“ trifft es eigentlich sehr gut. Eine prunkvolle, ästhetische und eingehende Produktion trifft auf anstößige, vulgäre und austauschbare Lines unter dem Deckmantel der nicht verstandenen höheren Kunst.
2/5
Lieblingstracks: Marlene, GOAT
Schwächste Tracks: Bitches, Motel, 5 AM, Nr. 12
GOAT ziemlich gut, vor allem die Produktion. Auf guten Kopfhörern klingt das sehr saftig. Lyrics sind ja mal endlevel scheisse. Und dann wird einem verklickert das wäre Kunst.