laut.de-Kritik

Herzschmerz-Musical mit Beißattacken à la Ozzy.

Review von

Okkult ist mittlerweile wirklich nur noch der Konzeptmantel. Anno 2018 eifert kein bedrohlicher Totenpapst mehr King Diamond nach, sondern ein hipper Kardinal mit Oberlippenbärtchen tanzt wie Michael Jackson durch die Nacht. Ghost versuchen nicht einmal, "Opus Eponymous"-Fans zu befriedigen, sondern treiben die Evolution stur, fokussiert, eklektisch und höchst gelungen voran.

Alles auf "Prequelle" dreht sich um Melodien. Teils geht Mastermind Tobias Forge dabei den zuletzt mit "Square Hammer" eingeschlagenen Pop-Metal-Weg weiter. Disco-Schlagzeug stampft durch "Dance Macabre", sowohl "See The Light" als auch "Pro Memoria" entpuppen sich als weitläufige 80er-Balladen. Und zwar mitsamt kitschigem Klavier. Viele werden ABBA als Vergleich bemühen, näher kommt der Sache Elton John.

Manchmal weiß Forge wohl gar nicht mehr, wohin mit all seinen Melodien. So schaffen es gleich zwei überlange Instrumentals auf die Platte. Während das zweite, "Helvetesfonster", als Showcase für die musikalische Gewandtheit des Schweden dient und soundtrackhaft mit Flöte, jazzigen Untertönen und Walzer-Mittelteil eine erhabene dynamische Wandlung durchmacht, ist "Miasma" der Inbegriff des ghostschen Eklektizismus'. Hier prallen Kiss auf Springsteen und Ozzy Osbourne. Eine schwere Synth-Gitarren-Dopplung leitet das Stück ein, später zitiert man ungeniert "Beat It" – die Startrampe für den überraschendsten und gleichzeitig befriedigendsten Moment der Platte: ein Saxophon-Solo.

Doch die Dunkelheit verschwindet nicht gänzlich. Dafür sorgt allein schon das Konzept, das die freundlichen Melodien konterkariert. Ein Pesthauch umweht "Prequelle". Wenn Ghost sich in "Dance Macabre“ nach Küssen und heißen Nächten sehnen, ist das kein klassischer Lovesong, sondern außerdem ein Requiem für einen Todkranken. Ähnlich "He Is" von "Meliora" betten Ghost universelle Poplyrics mit doppelbödigem Kontext.

Auch musikalisch unterwandern immer wieder subtil Sakrilegien die harmonische Oberfläche. "Pro Memoria" klingt anfangs mit seinen vielen Streichern noch wie direkt aus einem Herzschmerz-Musical entnommen – dann stiftet ein "Der Exorzist" (bzw. "Tubular Bells")-ähnliches Klavierpattern Unruhe. Wohl in Referenz darauf singt Cardinal Copia: "Don't you vomit savage slurs". Im Opener "Ashes" singt ein Kinderchor – deren Ringelreihen gerät allerdings recht abgründig, von Frohsinn keine Spur.

Die Brücke zu grimmigeren Anfangstagen schlägt "Faith". Hier dominieren aggressive Riffs und Soli, Forge schnarrt dazu böse. Die Nameless Ghouls herdbangen sich in schwerem Mid-Tempo durch den Track. Hier wie auch in "Witch Image" spielen Ghost kompositorisch aber ein wenig zu sicher. Zeichnet die anderen Stücke ein gewisser Hang zu ansprechenden Schnörkeln aus, bleibt hier alles basic – und etwas zu überraschungsarm und geerdet für die inzwischen – nennen wir es ruhig so – ziemlich abgehobene Ghost-Show.

Ebendiese bringt Tobias Forge mit "Rats" auf den Punkt und mit "Life Eternal" grandios kitschig zu ende. In Ersterem paaren sich ein flottes Ozzy-Riff mit poppigen "Aua"-Chören. Der Cardinal marschiert mit rollendem "Rrrrrats" in den Tempel und deklariert mit der Zeile "In times of turmoil / In times like these" die epochen-übergreifende Gültigkeit seiner Predigt. Er singt über die Pest, doch eigentlich, eigentlich, gehts ums Heute. Und mit "Life Eternal" liefert er zum Abschluss passenderweise eine zeitlose, grandios kitschige Ballade. Hervorragend arrangiert sülzt er zwischen Chimes, Klavier, melodischer Gitarre, Kirchenorgel und Chor durch. Zur Abwechslung huldigen Ghost auch mal nicht Satan, wenn sie sich nach ewiger Zweisamkeit sehnt, sondern einem scheidenden Menschen.

Man wird wohl nie erfahren, wie gut oder schlecht Ghost ohne ihr optisches Auftreten wären. Doch solange Tobias Forge sowohl Image als auch Musik so stimmig weiterentwickelt, spielt das ohnehin keine Rolle. "Prequelle" wird das Live-Set ungemein bereichern – "Dance Macabre" etablierten Ghost immerhin schon einen Monat vor Release als einen der neuen Konzert-Höhepunkte. Auf Platte sind Ghost Meister des Kopfkinos, Unterhaltung par Excellence. Und wegen ihrer Unerschrockenheit dem Pop gegenüber, ohne sich anzubiedern, wohl etwas, was der Metal aktuell wirklich braucht. Wer sonst vermag die Pet Shop Boys metallisch zu covern (auf der Ltd. Edition), ohne sich komplett zum Affen zu machen?

Trackliste

  1. 1. Ashes
  2. 2. Rats
  3. 3. Faith
  4. 4. See The Light
  5. 5. Miasma
  6. 6. Dance Macabre
  7. 7. Pro Memoria
  8. 8. Witch Image
  9. 9. Helvetesfonster
  10. 10. Life Eternal

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