laut.de-Kritik
Ein flammender Appell für mehr Mitmenschlichkeit.
Review von Toni HennigAuf "Schöne Grüße Vom Schicksal" haderte Heinz Rudolf Kunze vor rund zwei Jahren noch mit Gott. Nun veröffentlicht er mit "Der Wahrheit Die Ehre" nicht nur sein "politischstes Album", mit dem er einen "Krieg für die Wahrheit" führt, wie er verriet, sondern auch seine beste Platte seit langem.
Dabei ließ die Single "Die Zeit Ist Reif" etwas völlig anderes vermuten. Der bei Hannover lebende Musiker und Sänger erzählte zwar, sein Manager habe gesagt: "Gib Vollgas, tu, was du willst - keinerlei strategische Anbiederung!" Jedoch hört man davon in dieser harmlosen Allerwelts-Deutsch-Pop-Nummer nicht viel. Dazu heißt es: "Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen / Und ein Silberstreif soll den Menschen Hoffnung machen / Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein." Nur wird an keiner einzigen Stelle klar, welche Gespenster Kunze meint. Letzten Endes lässt sich der Text je nach eigener politischer Auffassung so zusammenbiegen, wie man möchte.
Wenn man jedoch das zuvor veröffentlichte "Der Prediger" heranzieht, erscheinen diese Worte schon in einem ganz anderen Licht. Dort schlüpft Brille zu unverkrampften Geradeaus-Tönen seiner Band die Verstärkung in die Rolle eines Durchgeknallten. Der konstruiert sich aus "Zorn" seine ganz eigene Wahrheit, verkauft diese aber als das Maß aller Dinge, denn "überall will er stören, überall sind zu hören, seine Worte: 'Schall seid ihr und Rauch!'" Damit bezieht sich Kunze vor allem auf die Panikmacher und Schwarzmaler in den sozialen Netzwerken, die Fake News und Verschwörungstheorien für bare Münze halten.
Am stärksten erweist er sich jedoch, wenn er ganz direkt und unverblümt von seinen eigenen politischen und privaten Ansichten singt und so im Gegensatz zu fast sämtlichen Songpoeten tatsächlich Haltung beweist. Das Cover mit der Brille, die in Flammen steht, führt also dementsprechend alles andere als auf die falsche Fährte.
Im Titelstück besingt Kunze zu akustischen Country-Klängen mit düsterer Blues-Schlagkante die Lebensgeschichte eines Mannes, der "vom Weg" abkam und "aus der Kurve" flog, wo es eigentlich kein "Weg" und keine "Kurve" gab. Er kritisiert außerdem die zunehmende Gleichgültigkeit und Unreflektiertheit in unserer Gesellschaft: "Mit den Wölfen zu heulen, ist die Mode der Stunde, alle finden das sexy, auch die Mehrheit der Hunde." Am Ende bleibt nicht nur ein mitreißender Protest-Song ganz nach der Machart Bob Dylans, sondern eines der besten und erzählerischsten Stücke des gesamten HRK-Kataloges.
In "Mit Welchem Recht" geht Kunze sogar noch ein wenig weiter und knöpft sich die aktuelle Politik vor, die Geflüchteten ein Recht auf eine bessere Zukunft verwehrt. Parallel dazu appelliert er mit beißenden Fragen zu treibendem Deutsch-Pop an die Mitmenschlichkeit und setzt sich für eine offene Gesellschaft ein: "Mit welchem Recht wollen wir Mauern errichten / Damit der Garten Eden ungeteilt bleibt?" Da vergisst man schon fast, dass er sich mit Räuberzivil vor fünf Jahren den geistigen Ausrutscher "Willkommen Liebe Mörder" leistete, der mit dümmlicher Schwarz-Weiß-Malerei Pegida & Co. in die Hände spielte.
Den lyrisch vielleicht besten Moment des gesamten Albums findet man allerdings in "Nimm Mit Mir Vorlieb", das mit Politik rein gar nichts zu tun hat. Vielmehr kommt es mit melancholischer Gitarren-Führung und sphärischen Streichern als intimes Liebeslied daher. Es stellt nicht nur eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache dar, sondern zeigt den Niedersachsen auch von seiner zurückhaltend optimistischen Seite, wenn er sinniert: "Vorlieb, das ist ein schönes Wort / So heißt im Herz ein kleiner Ort / zufrieden und bescheiden."
Eventuell geben ja ein wenig Zufriedenheit und Bescheidenheit dem einen oder anderen Hörer ein wenig Orientierung und Halt in dieser verrückten, unübersichtlichen Welt. Umso schöner, dass Kunze die Platte zu erhabenen Orgelklängen mit folgender Erkenntnis abschließt: "Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort." Das kann man heutzutage nun wirklich nicht oft genug betonen.
Auch musikalisch beschränkt sich der "rockende Dichter und Denker" auf das Wesentliche. Er verzichtet größtenteils auf aufgesetzte Springsteen-Posen und auf zu viel Pathos, und wenn er sich mal kurze Zeit doch dazu verleiten lässt, dann klingt er wie in der Außenseiter-Hymne "Wenn Du Ohne Liebe Bist" wenigstens umarmend statt anbiedernd. Oftmals betont Brille zwar wie in "Pervers" seine erdige, rockige Seite, aber auch sparsam instrumentierte Singer/Songwriter-Nummern vernimmt man auf dieser Scheibe. So ergibt sich ein insgesamt recht rundes Werk, das erstaunlich wenig Fallhöhe nach unten besitzt. Nur auf "Heute Ist Gut" hätte man gut und gerne verzichtet, wenn HRK den überschwänglichen Li-La-Laune-Bär gibt.
Ganz anders dagegen "Nackter Fischer", wenn es zu behutsamen Drums, aufjaulenden E-Gitarren-Klängen und weiten, countryesken Einschüben um die Gegensätze zwischen Natur und dörflicher Tradition geht. Als Mittler dazwischen fungiert ein "nackter Fischer", der als Sinnbild für das Archaische steht. Dabei strahlen Kunzes Worte eine ungemein mystische Kraft aus.
Das aus kernigen Rock-Einschüben und einer eingängigen Hook im "Finden sie Mabel"-Stil bestehende "Ein Sorgloses Leben" hat die Geschichte von "Karl-Heinz" zum Thema, der nach einem Bankraub in "Mexiko" untertaucht. Dort wartet er auf seine "Uschi" und erhofft sich mit ihr "ein sorgloses Leben, Palmen und so". Nur bleibt er auf dem geklauten Geld alleine sitzen, sie liebt ihn "nicht mehr". Dass eine Brille-Nummer nach einer gefühlten Ewigkeit wieder so zum Schmunzeln anregt, damit hätte man selbst als größter Optimist nicht mehr gerechnet.
Parallel zur Platte erscheint mit "Wenn man vom Teufel spricht – 200 Zeitgeschichten" ein Buch. Es enthält "kleine lose Texte, Gedankensplitter" und dient als "hervorragendes Ergänzungsmaterial", das "zur gleichen Zeit entstanden ist wie die Scheibe, sich aber nicht singen lässt", so Kunze. Es liegt der Fan-Box des Albums bei. Damit beginne er zudem sein "Spätwerk", betonte er im Gespräch weiterhin. Das kann entweder eine gute Nachricht oder eine Warnung sein. Womit der Niedersachse nämlich als nächstes um die Ecke kommt, das weiß man nie so richtig. Bisher bewegt sich jedoch alles im mehr als grünen Bereich.
11 Kommentare mit 10 Antworten
Kunze hat sich wieder gefunden! Danke Heinz Rudolf, danke!
Das letzte Album fand ich schon phantastisch! Freue mich aufs neue Album!
Gutes Album ohne Schlag(er)seite.
Ein Totalausfall (Wenn Du ohne Liebe bist), ein paar Hinhörer (Prediger, Pervers, Ich bin so müde, Der Wahrheit die Ehre), der Rest musikalisch eher Mittelmaß. Textlich allerdings fast durchgängig hohes Niveau, manchmal sogar der Biss aus alten Tagen. Produktionstechnisch für meinen Geschmack etwas glattgebügelt. Insgesamt kein neues "Draufgänger", aber ein Schritt in die richtige Richtung.
Die politische Botschaft kommt bei HRK gelegentlich (auch hier) ein bisschen aufdringlich daher. Aber warum auch nicht? Der Rechtspopulismus ist ja auch ziemlich aufdringlich. „Der Wahrheit die Ehre“ ist politisch mutig und wird dem Anspruch auf Breitenwirkung absolut gerecht. Weiter so HRK. Mund auf, damit andere die Fresse halten.
Es kommt mir so vor, als ob Heinz Rudolf Kunze in den Neunzigerjahren in eine Zeitmaschine gestiegen und in der Gegenwart gelandet wäre. Jetzt macht er die gleiche Musik wie damals und wundert sich, wie sehr sich die Gesellschaft verändert hat.
Ein gutes Album. Danke, laut.de, durch euch habe ich es entdeckt.