laut.de-Kritik
Daran konnte sich selbst Hilde nicht mehr erinnern.
Review von Michael Schuh"Ich bin leider viel zu faul", sang Hildegard Knef vor langer Zeit in der deutschen Fassung des Cole Porter-Evergreens "Laziest Gal In Town". Damit spielte sie wohl weder auf Kollege Friedrichs CD-Review-Tempo an, noch verarbeitete sie damit eigene künstlerische Erfahrungen, die im Laufe ihrer über 50-jährigen Karriere zu allerlei verschiedenen Talenten führen sollten.
Mit der nun vorliegenden, in Ton und Aufmachung schlicht begeisternden Hommage folgen wir der großen Berlinerin aus Ulm noch einmal zurück zu ihren Ursprüngen. Von der singenden Schauspielerin Anfang der 50er Jahre über die gefeierte Chanson-Interpretin der 60er bis hin zur gerne mal ruppigen Seniorin, deren Launenhaftigkeit im Aufnahmestudio zu Hitzewallungen bei sämtlichen Beteiligten führen konnte.
Auf vier CDs versammeln die Knef-Kenner Gunther Buskies und Thomas Worthmann knapp 100 Songs aus 50 Jahren Showgeschäft. Angefangen mit frühen Raritäten, die noch aus einer Zeit stammen, in der ein Schuhmacher in der Besohlanstalt aufzufinden war. Kein Wunder also, dass sich selbst Hildchen, in den 90ern auf "Ein Herz Ist Zu Verschenken" angesprochen, nicht mehr erinnern konnte.
Da der Tonträgermarkt nun zu Ehren des 80. Geburtstages der Hildegard Frieda Albertine Knef am 28. Dezember 2005 ziemlich aufgebläht wird, muss man als Käufer genau abwägen. Zum Mitschreiben: Die DVD "Erinnerungen" lässt Hilde mittels zweier TV-Specials im Bild auferstehen, zwei Wiederveröffentlichungen vergriffener Knef-Studioalben feiern ihre Experimentierlaune in den frühen 70er Jahren, auf dem Tribute-Album "Ihre Lieder Sind Anders" versuchen sich junge Künstler wie Stereo Total oder Justus Köhncke am Original, während die Doppel-CD "Schöne Zeiten - Ihre Unvergessenen Singles" wohl die härteste Konkurrenz für vorliegendes Schlemmerpäckchen darstellt.
Dort werden dann auch Gassenhauer wie "Für Mich Soll's Rote Rosen Regnen", "Tapetenwechsel" oder "Von Nun An Ging's Bergab" verarztet, die auf der 4-CD-Box höchstens in abgewandelter Version vertreten sind. Die "Rosen"-Nummer mit den Rotzlöffeln von Extrabreit oder "Von Nun An Ging's Bergab" in englischer Sprache - Titel: "From Here On It Got Rough".
Es ist zwar zugegebenermaßen schwer vorstellbar, wie man das durchdringende Organ der Knef 300 Minuten am Stück aushält, dafür hat man hier aber für alle Ewigkeit alles Essenzielle versammelt. Zeitlose Songs wie "Das Glück Kennt Nur Minuten" oder "Ich Bin Zu Müde, Um Schlafen Zu Gehen" bilden den Anker in diesem gefühlstaumelnden Wellenbad, das gleich zu Beginn mit umarmenden Nachkriegs-Schmonzetten ("When A Woman Loves A Man", "Das Mädchen Aus Hamburg") aufwartet.
Die Songs entstanden seinerzeit noch in losem Zusammenhang mit jenen Filmen, die Hilde Knef zum ersten deutschen Star nach dem Zweiten Weltkrieg aufsteigen ließen. Dank wachsender Nachfrage presste man die Liedchen geschwind auf Schellack und kassierte doppelt. Ein überraschendes Textmoment jener Frühwerke ist in "Ein Herz Ist Zu Verschenken" zu finden, wo die nach dem geeigneten Mann suchende Protagonistin die Herren der Schöpfung bittet, "Offerten bitte unter 'Sünderin'" anzumelden.
Ob Knef hier ein gehöriges Maß an Selbstironie offenlegt oder einfach ihren Ruf der eigenwilligen Querdenkerin begründet? Fakt ist, dass der Bezug auf den Skandalfilm "Die Sünderin" von 1951 wie Hohn in den Ohren der meisten Bundesbürger geklungen haben muss, die sich bei ihrer Identitätssuche mehr an den Heilsbringer Adenauer klammerten, als Die Grünen jemals an Joschka Fischer.
Was die Schauspielerin aufgrund einer an und für sich unspektakulären Nacktszene in der Seele des zum stillen Konsens verpflichteten Nachkriegsdeutschland entfachte, konnte freilich niemand erahnen. Nur Marlene Dietrich mochte bei ihrer ersten Tournee in der Heimat 1960 ähnliche Ressentiments der (publizierenden) Öffentlichkeit erlitten haben.
Großmütterlichen Schlager-Charme ließ Hildegard Knef denn auch bald hinter sich, zog als 30-Jährige nach New York aus, um am Broadway als Hildegard Neff in 477 Vorstellungen zu brillieren und Greta Garbo beinahe in Vergessenheit zu spielen. Musikalisch erinnert der Song "Without Love" an diese Zeit.
Ins dramatische "Lied Vom Einsamen Mädchen", das neben der Dietrich und Nico jüngst Martin Gore neu interpretierte, schummelt Hilde zwar seltsam anmutende "Tralala"-Verse, was jedoch der Einsatz flirrender Transistororgel-Sounds, knapp zwanzig Jahre vor Erfindung des Moog-Synthesizers, wieder wett macht. Akkordeon-lastiges und übler Seefahrer-Herzschmerz wie in "Jeden Tag Stehe Ich Am Hafen" vergisst man da schnell.
"Macky Messer" und "Die Seeräuber-Jenny" aus der Dreigroschenoper begründen 1963 die mächtig swingende Karriere der Chansonsängerin Knef. Für die Single-Kosten der hier vorliegenden englischen Versionen (25.000 DM), die für ausländische Rundfunkanstalten produziert wurden, kommt die Sängerin selbst auf. Dennoch behielten sie den Status eines Weißmusters. Mit "C'est Si Bon" ist ein Medley im Shuffle-Fox-Tempo dabei, wo auch "Die Männer Sind Alle Verbrecher" auftaucht, Walter Kollos Operetten-Hit aus der Kaiserzeit, der allerdings nicht ganz so bekannt wurde wie "Das War In Schöneberg".
Auf der zweiten CD, die die späten 60er Jahre abdeckt, steht Knefs Kunst der brachialen Alltagspoesie in "Gestern Hab Ich Noch Nachgedacht (live)" neben sehnsuchtsvollen Momentaufnahmen wie in "Der Mond Hatte Frei", wo der oft thematisierte Liebesentzug Sujet ist: "Die Party war zu groß, die Wohnung war zu klein / ich ging im Redeschwall verloren (...) Ich sah nicht mehr die Stadt, die nichts von all dem hat, was jedes Liebeslied besungen / doch Rom war nie so schön, denn ohne dich gesehen / wär selbst der Markusplatz misslungen."
Das mit reduziertesten Mitteln groovende "Im 80. Stockwerk" vom scheinbar innovativsten Knef-Album gleichen Titels ehrten seit seiner Komposition 1970 neben zahlreichen DJs auch Die Fantastischen Vier per Sample in "Die Stadt, Die Es Nicht Gibt".
In den 70ern machte Knef vor allem als gefeierte Autorin von sich Reden, während ihre Plattenverkäufe beständig zurück gingen und daher auch ein Labelwechsel von Decca zu Phillips zustande kam. Dennoch finden sich auch in dieser Phase, die durch Knefs Krebserkrankung zusätzlich erschwert wurde, einige schöne Kompositionen, vorneweg das udojürgensesk-balladeske "Leg Doch Nur Einmal Den Arm Um Mich Rum", das Knef'sche Showstar-Testament "Applaus" oder ihr Disco-Funk-Bekenntnis in "Ich Brauch Ein Rettungsboot".
Alten Bert Kaempfert-Songs wie "Wer Will Noch Mal" oder "Danke Schön" verhilft Knef um 1979 mit ihrer Stimme zu neuem Glanz, auch wenn Textzeilen wie "I recall / Central Park in fall" dem Hörer schon damals ein Schmunzeln entlockt haben muss. Das 1980 in Böblingen aufgezeichnete "Amsterdam" (nun erstmals auf CD) ist ein kristallines Live-Highlight, das Duett "Ways Of Love" (mit einem gewissen Glenn Yarbrough) dagegen in seiner Schnulzigkeit höchstens noch mit "Do You Know It's Christmas", ebenfalls Jahrgang '84, vergleichbar.
Für das '93er Musical im Gedenken an die verstorbene Marlene Dietrich, das sich schon nach wenigen Wochen als Totalflop entpuppte, nahm Knef "Sag Mir Wo Die Blumen Sind" und "Ich Hab Noch Einen Koffer In Berlin" auf. "Marlene" ist ihr persönlicher Tribut an die enge Freundin. Kooperationen mit Palastorchester-Chef Max Raabe und Jazz-Star Till Brönner stellten Hildegard Knef gegen Ende ihres Lebens noch einmal einer neuen Generation vor.
Hierzu hätte auch eine Version der "Reform Sessions"-CD gut gepasst, auf der 2002 junge Elektro-Acts wie DJ Koze die Originale umpflügten. Dennoch: Dieses Boxset steckt voller Wahrheiten, wovon eine besonders schön ans Ende passt: "Dass es gut war wie es war, das weiß man hinterher / dass es schlecht ist wie es ist, das weiß man gleich" (aus "17 Millimeter").
5 Kommentare
Kein besonders origineller Titel - aber vorzügliche Review.
Für 300 Minuten Knef am Stück hören bin ich wohl auch nicht Hardcore-Fan genug, aber schon allein die Auflistung einiger Songtitel: "Im Schlaf streck ich meine Hand aus ... " oder "Friedenskampf und Schadenfreude" - das wirkt ganz erstaunlich unverbraucht und originell.
Diese poetische Originalität und die Sichtweise "weltoffene, kosmopolitisch denkende Künstlerin" kontra "muffiges 50er Jahre Adenauer-Deutschland", die ich aus der Review meine herauslesen zu dürfen, erhellt vielleicht ein bisschen die Ursache für die Popularität von Hildegard Knef bei vielen Leuten, die mit dem Genre "gehobener Schlager" so direkt gar nicht viel am Hut haben.
Unbedingt erwähnen würde ich in der Reihe der neueren Beeinflussten noch "Erdmöbel". Nicht nur, dass sie mit "Tapetenwechsel" einen Knef-Titel interpretiert haben. Das diesjährige Album "Für die nicht wissen wie" hat für mich doch einiges von den eher ruhigen, poetischen Hildegard-Knef-Songs. Die "roten Rosen" seh ich dagegen ein bisschen als das unvermeidliche "Smoke On The Water" - man kennt es, aber man muss es nicht unbedingt nochmal hören.
Ist eine tolle, gut aufgemachte Box geworden. Mit wirklich informativem Booklet, und auch reichlich Daten zu den einzelnen Liedern. Wird nächste Woche dann auch selbst gekauft (hatte die Gelegenheit, die mal in den Händen zu halten & ein paar Sachen anzuspielen). Schön, daß auch eine ganze Reihe bislang unveröffentlichter Songs zu finden sind.
Seit letzter Woche auch in meinem Besitz und wenn das so weitergeht, lande ich heute noch bei 6-7 Stunden Knef-Lauscherei. Hat sie eine Tochter? Wenn ja, hat DIE eine Tochter? Ich will eine Frau, die aehnlich aussieht wie Hilde zwischen 20 und ca. 35.o_O
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Was bist 'n du fuer 'ne abartige Wurst, Mann?