laut.de-Kritik
Parade von Ohrwürmern mit Wurzeln tief im Soul.
Review von Dani FrommHabe ich mich im Zusammenhang mit "Multiply" eigentlich über dessen unverschämte Kürze beschwert? Ich kann mich nicht erinnern, allzu lange schon liegt Jamie Lidells Vorgängeralbum zurück. Was sich mir allerdings unauslöschlich ins Gedächtnis gefräst hat: Das verständnislose "Wie? Schon aus?"-Gefühl, das "JIM" unerfreulich reanimiert.
Andererseits: Wie oft bekommt man überflüssiges Füllmaterial serviert, das man genau so gut bis viel besser hätte weglassen können? Der Fehler, halbgare oder auch nur okay geratene Tracks zwischen die exquisiten Nummern zu streuen, unterläuft Jamie Lidell nicht. "JIM" birgt, wie einst "Multiply", ausschließlich zauberhaftes Material.
Womit die Kritik - zu lange hat's gedauert, zu schnell ist's wieder vorbei - auch bereits abgehakt wäre und ich getrost in Schwärmerei verfalle. "Another day, another way for me to open up to you." Positiver, freundlicher kann man eigentlich nirgends willkommen geheißen werden. Vogelgezwitscher und ein beschwingtes Piano sorgen für frühlingshafte Leichtigkeit, während soulige Background-Gesänge dezenten Gospel-Appeal verströmen.
Instantan entpuppt sich der Eröffnungssong als der Anführer einer ganzen Parade von Ohrwürmern. Diese rufen - sehr im Gegensatz zu unerwünschten anderen Melodien, die sich unbarmherzig im Gehör festkrallen und nur schwer wieder austreiben lassen - keinerlei Abwehrreaktion hervor. Lidells trickreiche Kompositionen schleichen sich in Kopf und Herz, und da sollen sie bitteschön auch eine Weile bleiben.
Bei aller Kürze funkelt "JIM" doch aus scheinbar zahllosen Facetten und krallt dabei seine Wurzeln tief in den Soul der 60er Jahre. Der Gesang steht prominent im Scheinwerferlicht, wirkt dabei aber doch stets exzellent eingebettet in das instrumentale Umfeld, das ihn stützt und akzentuiert und dabei einen überaus organischen, liebevoll handgearbeiteten Eindruck hinterlässt.
Zum treibenden Rhythmus von "Wait For Me" gesellt sich einmal mehr Gonzales am Piano. Die Dynamik, die diese Kombination überall da entfaltet, wo beide Herren aufeinander treffen, zieht sich auch durch das gemeinsam erschaffene "Where D'You Go". Darauf passt ein einziges Etikett: Rock'n'Roll, Baby!
"All I Wanna Do" baut auf zarte, gefühlvolle Akustikgitarre, den Bass und eine aus dem Hintergrund ertönende Orgel, während es in "Little Bit Of Feel Good" durch und durch funky zur Sache geht. Elektronische Klänge schleichen sich in "Figured Me Out", das mit druckvollem Gesang durchaus auch für den Dancefloor taugt.
Hier offenbart sich, wie auch im philosophischen "Green Light", das vielleicht größte Talent eines Jamie Lidell: Er nutzt Standards, klimpert auf den Erwartungen seiner Hörerschaft, nur, um diesen im geeigneten Moment mit einem Ausbruch in Unerwartetes, mit geschickten kleinen Verfremdungen, einen Tritt zu verpassen, der eventuell aufkommende Langeweile, jedweden "Kenn' ich schon"-Gedankengang, im Keim erstickt.
Der musikalischen Bandbreite angemessen präsentiert sich Jamie Lidell als vielseitiger Vokalist. Zeigte er sich in "Out Of My System" noch in plaudernder Geschichtenerzähler-Stimmung, stellt er "All I Wanna Do" gesanglich in die Tradition von Songs wie Ben E. Kings "Stand By Me". Lidell rockt sich durch den "Hurricane", nur um im abschließenden "Rope Of Sand" wieder leise, verwehte, melancholische Töne anzustimmen.
Unter der oft schlicht erscheinenden Oberfläche birgt "JIM" komplex konstruierte, dabei doch wundervoll eingängige Songs, die, außer, dass sie durchgehend Freude bereiten, vor allem eins schüren: die Lust auf den nächsten Jamie Lidell-Live-Auftritt. Aus der Konserve nämlich ist dieser Mann groß. In seinen manischen Ausbrüchen auf der Bühne aber explodiert der höfliche bebrillte Brite in einen glitzernden Show-Giganten, den man dringend erlebt haben sollte.
17 Kommentare
Klingt ganz gut...
Auf Platte ist Jamie Lidell ja eher konventionell. Aber live...
life-changing/mind-altering/brain-burning
Das Problem war sicherlich, dass ich Jamie Lidell erst live gesehen und dann das Album gekauft habe. Nach der halsbrecherischen Samplingeskapaden des Auftritts hat es mich geradezu empört, dass auf dem Album auch normale Instrumente zu hören sind.
Live > Platte
DAS album?
hör' mal muddlin gear, und dann sag noch mal konventionell ...
Absoluter Spätzünder bei mir.
Aber dafür um so mehr.
oh ja.
Der Typ und das Album gehen gar nicht klar, völliger Überflash. Good times!