laut.de-Kritik
Vibig geht die Welt zu Grunde.
Review von Yannik GölzFür eine lange Zeit war Janelle Monae der größte Kritikerliebling ihrer Generation. Afrofuturistin, Prince-Schützling, klassischer R'n'B-Star, classy bis zum Mond und zurück, und dann noch mit einem Hang zu diesen gigantischen, ausgeklügelten Konzeptalben. Monae hat eine Metropolis-eske Androiden-Oper komponiert und eine emanzipierende Sci-Fi-Lovestory mitsamt Kurzfilm über schwarze, queere Lust aufgebaut. Ihr neues Album "The Age Of Pleasure" nimmt sich eines etwas simpleren Konzeptes an. Der Plan ist: Sommeralbum. Locker lassen. Spaß haben. Wie kann jemand, dem sonst wirklich alles gelingt, sich mit etwas so Simplem so schwer tun?
Verfolgt man das Drumherum, die opulenten Videos, den Social Media-Rollout und die Interviews, erwartet man von diesem Album nicht weniger als eine spektakuläre, queere, schwarze Orgie. Die Utopie nach dem Struggle der letzten Alben, die große Party im Abspann, dazu irgendwo im Hinterkopf das legendäre "joy is an act of resistance"-Zitat. Legt man diesen Eindruck beiseite und hört "The Age Of Pleasure" für das, was tatsächlich auf der Platte ist, dann findet man eine tipsy Janelle Monae, die ihrem Spiegelbild Handküsse zuwirft, während eine oder einer ihrer Partner auf dem Hotelbett dahinter Nickerchen macht.
Am positivsten muss man definitiv den Sound hervorheben. Hier merkt man, dass Janelle einer der größten Musik-Heads der Gegenwart ist. Wie diegetisch und intuitiv sie sicher ein Dutzend Genres aus verschiedenen Äras Schwarzer Musikgeschichte verwebt, das gebietet Respekt. Sie geht vom Amapiano auf "Phenomenal" über den Reggae der Single "Lipstick Lover" bis hin zu Blues, R'n'B, Soul und Dub-Ideen, ohne die Klangfarbe und den Flow des Albums unnatürlich klingen zu lassen. "The Age Of Pleasure" klingt nach Summer in Paradise, Strand unter den Füßen, lila Nachthimmel.
Will man also einfach nur ein Album für die warmen Sommernächte im Hintergrund laufen lassen, wäre man schon ziemlich gut bedient. Irgendwie lässt dieses Album aber nach, je genauer man hinhören will. Ganz grundlegend: Es fehlen Hooks. Das Album bringt eine Menge Momente an den Start, die man mit Fug und Recht einen Vibe nennen kann, aber oft loopen sie dann recht statisch vor sich hin. Für einen Performer, der sich bisher mit fast zu viel Aufwand hervorgetan und jeden einzelnen Song beeindruckend detailliert ausgearbeitet hat, ist das unerwartet.
"Champagne Shit" bringt einen stabilen Groove mit, findet aber keinen wirklich zufriedenstellenden Refrain. "The Rush" bekommt durch Unterstützung von Nia Long und Amaarae eine der beeindruckendsten Vocal-Darbietungen der Platte, aber fühlt sich eher wie eine Aneinanderreihung von Momenten als wie ein fertiger Song mit zentralem Punkt an. Ähnliches gilt für "Know Better", der mit seinem unglaublichen Afrobeat-Synth eigentlich für einen absoluten Standout hätte sorgen müssen, oder der zum Dahinschmelzen smooth produzierte Track "Only Have Eyes 42", der wie eine nostalgische Südsee-Fantasia klingt. All diese Songs hätten Potential für Album-definierende Meisterwerke, aber finden die Energie nicht, sich zu ganzen Songs aufzuraffen. Stattdessen plätschern sie vibig davon.
Aber vibig geht auf diesem Album die Welt zu Grunde. Wie viele coole musikalische Ideen sie hier gar nicht erst über Skit-Länge bearbeitet hat, fällt auf, wenn wir bemerken, dass wir nun fast schon alle Songs mit handelsüblicher Länge besprochen haben. Legenden wie Sister Nancy und Grace Jones bekommen musikalisch eigentlich Feuer vorgesetzt, kommen dann aber nur vorbei, um einen Toast auszusprechen. Auch vielversprechende Grooves wie "Haute" oder "Paid In Pleasure" werden nicht über die zwei Minuten ausgefeilt. Nirgends tut das aber mehr weh als auf "A Dry Red", dieser weinrote Sonnenuntergang von einem Outro, der zu Ende gedacht ein Karriere-Höhepunkt hätte sein können.
Warum also klingt das Album also so? Um mehr Fokus auf Janelle zu geben, sie ein bisschen roher und unorchestrierter in den Fokus zu rücken? Unwahrscheinlich, denn es gab selten bisher so banale Performances von ihr. Das Intro "Float" will klarmachen: Janelle ist jetzt nicht mehr unsicher, sondern ganz in sich angekommen und die baddest bitch alive. Und da bleiben wir dann auch erst Mal eine Weile. In einer ganzen Stange an Deklamationen, die man als eine etwas steifere Version vom Dancefloor-Drill Sergeant bezeichnen könnte, den Beyoncé auf "Renaissance" gegeben hat, wird wieder und wieder klargestellt, wie schön Janelle Monae ist.
Meine steile These ist die Folgende: Janelle ist einfach zu sehr Streber, um sich locker zu machen. Selbst auf einem Song wie "Haute", auf dem sie wortwörtlich nichts sagt als "A bitch looks good, a bitch looks hot, a bitch looks prett" performt sie mit einer Verkopftheit, als würde sie gleich im Adlib eine Hinreichung zu einer Master-These mitliefern, warum diese Formulierungen Sozio-Historisch nicht nur unproblematisch, sondern ermächtigend sind. All ihr Spaß-Haben kommt konstruiert aus dem Kopf, nicht aus dem Bauch oder den Füßen. Selbst ein simpler Hedonismus-Song wie "Lipstick Lover" fühlt sich irgendwie wie eine millimetergenaue präzise Inszenierung von Freude an, aber wirkt nicht so, als hätte Janelle wirklich Spaß.
Stattdessen scheint das Album mit aller Macht zu versuchen, Spontanität und Lockerheit per Form aufzubauen. Deswegen all die kurzen Songs, die Interludes, das Gerede darüber, was für eine gute Zeit man hat. Aber je genauer man hinhört, desto weniger authentisch wirkt das alles. Beim vierten Hören war "The Age Of Pleasure" am Strand liegen, während Janelle als Animateurin Tanzschritte vormacht und vorbetet, was für eine gute Zeit wir alle haben. Es ist ein Musterbeispiel für ein Album, das man gerne mehr mögen würde, als man es tatsächlich mag. Denn auf dem Papier spricht vieles dafür: Das Konzept, die Sounds, die Konzeption, die Genres, die spektakulären Visuals. Aber das Album, das man gern in "The Age Of Pleasure" sehen würde und das Album, das Janelle hier vorgelegt hat, sind leider zwei sehr verschiedene.
9 Kommentare mit 4 Antworten
Janelle Monaes Solar Power
Lasst einfach mal den Scheiß mit den "Sommeralben" sein. Das geht quasi nie gut, weil meist zu geplant und gewollt Schon FKA Twigs hat sich daran brutalst verhoben.
Eine Schande um die Monáe, aber nachdem sie zuletzt schon so viel mit Hollywood und TV-Serien kokettierte, befürchtete ich schon einen kreativen Burnout. Hoffe, sie kommt mit der nächsten Platte zurück!
Das Lipstick-Video ließ bereits vermuten, dass die Genialität von Dirty Computer erstmal passé ist.
Hmm interessant. So schlecht hab ich das jetzt eigentlich nicht gesehen, auch wenn einige Texte und Melodien flach ausfallen. Mehr: https://youtu.be/AqhDwbqfYB4
Höre es gerade und bin mega enttäuscht.
Klingt wie der Einheitsbrei des amerikanischen Pop Krams.
Es ist jammerschade. Seit Metropolis waren immer einige Perlen auf den Alben zu finden, aber das ist einfach nur fade, kraftlose Popsoße von A bis Z. Höre erst einmal "Many Moons", um mir diese Belanglosigkeiten aus den Ohren zu spülen.
*Aus den kleinen flauschigen Öhrchen, die man so lustig umstülpen kann
Immer diese Flauschophilen