laut.de-Kritik

Gleitgel-Gitarren und feuchte Hipsterhöschen.

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Was ist denn da los? Statt Bärten blickt ein holdes Mädel vom Cover der neuen Kadavar-Scheibe. Und wie heißt das Ding? "Berlin"?! Retro und Hipster scheinen doch näher zusammenzuliegen als gedacht. Oder?

Nein, keine Sorge, Kadavar kann man auch 2015 noch ernst nehmen. Sogar als Kuttenträger. Mainstreamtauglicher ist die Band mit "Berlin" trotzdem geworden. Das beginnt beim Sound, der zwar von klinisch noch immer meilenweit entfernt ist, aber im Vergleich zu den Vorgängeralben doch um einiges moderner ausfällt. Was wohlgemerkt ausschließlich positiv zu vermerken ist.

Sabbath-Vibe transportieren die Hauptstadtmenschen selbstverständlich weiterhin. Riffs wie in "Thousand Miles Away From Home" könnten auch vom Meister Iommi selbst stammen. Ozzy sagt in "Last Living Dinosaur" hallo. Andrew Stockdale ist euch ebenfalls ein Begriff oder?

Über einen ähnlichen Pop-Appeal wie Wolfmother verfügen Kadavar mittlerweile sowieso. Dazu kommt mit Surf-/College-Faktor und Glockenrassel "Filthy Illusion" – Sommerhits kennt man von Sabbath-Jüngern sonst eher weniger, Kadavar haben auch das drauf. Die Gretchenfrage Stones oder Beatles beantworten die Jungs mit einem beherzten sowohl als auch: Jagger und Co. für Grundsound und Handwerk, Lennon/McCartney für die beschwingt-leichte Außenwirkung.

Absolut beeindruckend ist, wie die Band mit ihrer Trio-Besetzung umzugehen weiß. Eine zweite Gitarre vermisst man zu keiner Sekunde. Eher wünscht man sich, mehr Gruppen würden es hinbekommen, derart zueinander passende Bass- und Gitarrenspuren zu kreieren, wie sie beispielsweise in "Pale Blue Eyes" zu finden sind. Ganz zu schweigen von diesen herrlichen Gleitgel-Leads!

Deren Artverwandter zupft wohl in "Thousand Miles Away From Home" die Cleane. Weicher geht's kaum. Das später auftauchende Riff hatte ich ja bereits erwähnt. Und dann wäre da noch das Solo im letzten Teil, bei dem nicht so ganz klar ist, ob nun eigentlich die Bassline oder doch die sich in Sustain und Hall suhlende Klampfe die Höschen feuchter macht.

Es gäbe noch einige Songs mehr (im Grunde alle zwölf), über die man hier einen ganzen Abschnitt füllen könnte. Um es abzukürzen, sei jedoch nur noch der besonderste herausgegriffen: Bonus-Track "Reich Der Träume". Ja, ein Cover und ja, Lupus singt deutsch. Das tut er mindestens genauso schön und geheimnisvoll wie Nico. Während darüber schwere Synthesizer tropfen. Die Fuzzfraktion bleibt diesmal zuhause.

Es hat sich also definitiv etwas getan im Kadavar-Land. Vom Klischee okkultrockender Bartträger sind Tiger, Lupus und Dragon weiter entfernt als je zuvor. Dem Untergrund sind sie mit "Berlin" endgültig entstiegen. Das ist gut so. Denn frischer und selbstständiger klangen die Herren noch nie. Sie schwitzen ihre Vorbilder zwar noch immer kräftig aus, verpassen deren Sound jedoch einen gänzlich neuen Anstrich. Und der ist jutebeutelkompatibel, kuttentauglich und abgefuckt psychedelisch zugleich.

Trackliste

  1. 1. Lord Of The Sky
  2. 2. Last Living Dinosaur
  3. 3. Thousand Miles Away From Home
  4. 4. Filthy Illusion
  5. 5. Pale Blue Eyes
  6. 6. Stolen Dreams
  7. 7. The Old Man
  8. 8. Spanish Wild Rose
  9. 9. See The World With Your Own Eyes
  10. 10. Circles In My Mind
  11. 11. Into The Night
  12. 12. Reich Der Träume

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