laut.de-Kritik

Das hat schon alles seine Richtigkeit.

Review von

Es gab Ende der Neunziger auf MTV eine Sendung namens Daria. Die Protagonistin würzt - sei es aus gefühlter intellektueller Überlegenheit oder Selbstzweifeln - jede Äußerung ihrem Umfeld gegenüber mit viel bitterbösem Zynismus.

An Daria muss ich immer denken bei weißen Mittelklassekids in den USA, die sich auf Bühnen stellen und ihre avantgardistische pseudointellektuelle Aneinanderreihung von Wörtern, die wegen verminderter Aufmerksamkeitsspanne drei Minuten nicht überschreiten darf, Spoken-Word-Kunst nennen. Bei diesen Kids überlagert dann doch oft die überbordende Selbstgefälligkeit in der eigenen Wortwahl, Artikulation und Sprachmelodie die Betroffenheit in Stimme und Ton. Denn im Gegensatz zu jenen, die in Trailerparks und Projects leben, haben sie Zeit, Mut durch ein gewisses erzieherisches Fundament und vor allem das intellektuelle Grundgerüst, dies überhaupt vortragen zu können. Weil sie sich dann doch auf der Sonnenseite der Gesellschaft, am oberen Ende der "Nahrungskette" befinden, sucht man sich irgendwelche aufzublasenden Diskriminierungen und wirkt im Herausarbeiten derselben jedoch selten authentisch.

Und dann hört man Jordan Dreyer, Sänger und Shouter von La Dispute im Abklingen des Songs "Autofiction Detail" von Heartbeat sprechen, und dieses breite white American English im Spoken-word-Style klingt plötzlich nicht manieriert, wie bei geltungsbedürftigen Teenies mit ihrem Welpenschmerz, sondern es ist das Destillat an Verzweiflung an der Gesellschaft, der Bigotterie.

"A tongue of flames, a light above / The voice of God, a smoking gun / Beating heart, beating heart / A beating heart, a beating heart / A beating heart, a beating heart / A beating heart, a beating heart / A beaten dog, the snarling teeth / The face of God, a light above / A beating heart and us the blood / In all of us a beating heart."

Jordan Dreyer und seine Band sind die Prediger nicht derer, die Gott verlassen oder anzweifeln, sondern die Prediger derer, die mit Gott in Diskurs gehen wollen über die Axiome einer Gesellschaft, die in sich rottet. Das Album ist Ausdruck des gesamten Schmerzes von White America, nicht resignierend, sondern fastend, ausgehungert, sprintend, um die Wut loszuwerden, dann wieder gehend, humpelnd, verschwitzt, mit Kaltschweiß, irgendwo im Hardcore, im Posthardcore, das Meisterwerk "The Devil And God Are Raging Inside Me" von Brand New auf die Spitze getrieben, aber auch mit avantgardistischen Collagen oder wie "Autofiction Detail" mit einer zerstörten L7-Melodie, irgendwie Cake, auch Weezer. Anderenorts meint man einen Hauch Korn zu hören und dezente Desert Rock-, Shoegazer- oder Crossover-Referenzen, you name it. "Self-Portrait Backwards" klingt nach etwas, was Conor Oberst wieder machen sollte.

Die Regel ist zumeist, dass der Rhythmus wegbricht, wenn man irgendwo angefangen hat, mitzutrommeln oder mitzuwippen, und auf kaum ein Schema Verlass ist. Gerade deshalb sind Songs wie der Opener "I Shaved My Head", "Man With Hands And Ankles Bound" oder "Sibling Fistfight At Mom's Fiftieth / The Un-sound" wegen eines durchgängigem Rhythmuskorsetts in ihrem Bandkontext eingängiger Pop, bei "Top-Sellers Banquet" wird sogar gerappt, aber nur im ersten Drittel, dann kurz "Strobogewitter", Stimmungswechsel.

Auf ihrem fünften Album im 22. Bandjahr klingen sie mehr denn je hauptsächlich nach sich selbst, wenn überhaupt, dann nur noch vielseitiger. Sie kreieren laut eigener Aussage ein Konzeptalbum, inspiriert durch eine Zeitungsmeldung von einem Autounfall im Jahr 2022, wobei zumindest musikalisch die Unvorhersehbarkeit gegen ein Konzeptalbum spricht. Warum diese Unvorhersehbarkeit, das häufige Wechseln von Stimmungen, Rhythmen, Melodien ja ganzen Klangwelten nicht anstrengt, warum es nicht nervt, diese Frage ist schwer zu beantworten, es muss daran liegen, dass man bei La Dispute darauf vertraut, dass das alles seine Richtigkeit hat, weil das immer schon so war und sie es einfach können.

Trackliste

  1. 1. I Shaved My Head
  2. 2. Man With Hands And Ankles Bound
  3. 3. Autofiction Detail
  4. 4. Environmental Catastrophe Film
  5. 5. Self-Portrait Backwards
  6. 6. The Field
  7. 7. Sibling Fistfight At Mom's Fiftieth / The Un-sound
  8. 8. Landlord Calls The Sheriff In
  9. 9. Steve
  10. 10. Top-Sellers Banquet
  11. 11. Saturation Diver
  12. 12. I Dreamt of a Room With All My Friends I Could Not Get
  13. 13. No One Was Driving The Car
  14. 14. End Times Sermon

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5 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 8 Stunden

    Das Album ist zweifellos eine 5/5, wenn man mit dem Stil etwas anfangen kann.

    Was mich an dieser Stelle leider viel mehr interessiert: Nach welchem Schema werden Songtitel in laut.de-Texten denn eigentlich fett gesetzt?

  • Vor 7 Stunden

    Das macht schon beim ersten Mal hören viel Laune, hatte die nicht auf dem Schirm. Danke Laut!

    • Vor 7 Stunden

      Wenn noch mehr Interesse an der Musik von la Dispute besteht würde ich „Wildlife" empfehlen als Nächstes zu hören. Gibt auch auf laut.de eine Kritik dazu, welche sich gut liest.

  • Vor 6 Stunden

    Warum man hier ein Brand New Album vergleichend ranzieht, wenn La Dispute mit Wildlife den viel passenderen - auch von laut.de als solchen geadelten - Meilenstein in der eigenen Diskografie haben - who knows.
    Gerade weil sich hier das Gefühl aufdringt, dass La Dispute nach zwei deutlich anders gearteten Alben mit der neuen Platte den stilistischen Brückenschlag zu Wildlife suchen. Das Niveau erreicht die Platte nicht ganz, aber es ist dennoch eins der stärksten dieses Jahr.

    • Vor 2 Sekunden

      was kein Wunder ist, denn das Jahr war bislang recht schwach vom Niveau her. Was aber das Lob nicht schmälern soll. Es ist ein gutes Album, für mich auf der Spur vom Vorgänger- wenn auch stilistisch verändert.

  • Vor 2 Stunden

    Erinnert mich an "At-the-drive-in"...
    und bringt mich dazu, eher mal die wieder zu hören.

  • Vor 3 Minuten

    Vergleiche mit at the drive in würde ich für die schnelleren Sachen, wie "Most beautiful bitter fruit" -welcher ein Wahnsinnssong ist- zulassen. Aber solche Perlen wie Foulton Street I sind dann doch anders gelagert. Wobei II dann doch wieder in Richtung ATDI geht- wenn auch in letzter Konsequenz nicht mit deren Härte. Weitere Tipps: der Opener von Rooms of the House udn eigentlich das Panorama Album, weil es für mich das Beste von ihnen bislang war.