laut.de-Kritik

Young Young Thug bricht aus Atlanta aus.

Review von

Young Thugs Label YSL hat lange gebraucht, um kommerziell so erfolgreich zu agieren wie heute. Nicht nur der Häuptling schreibt Superstar-Zahlen, auch Gunna hat sich in die erste Liga zementiert. Nun fehlt eigentlich nur noch Lil Keed, damit alle Zugpferde des Labels auf eigenen Beinen stehen. Der hat vergangenes Jahr mit "Long Live Mexico" bewiesen, wie eigen sein Dreh auf Thugs klassischen Atlanta-Sound funktioniert. "Trapped On Cleveland 3" toppt das letzte Album zwar nicht, gerät aber dank eines hungrigen Keeds und spürbar erhöhtem Budget zum genauso abenteuerlichen und eigenbrödlerischen Trap-Projekt.

Die große Frage bei den Young Thug-Sprösslingen bleibt ja immer, ob sie dem Kanon etwas hinzufügen. Ein SahBabii bringt zum Beispiel etwas neues ins Spiel, ein Gunna genauso. Keed emanzipierte sich erst mit seinem letzten Projekt vom reinen Coverband-Status, dafür aber so richtig: Zuvor hätte man ihn als "Slime Season"-Thug mit "Beautiful Thugger Girls"-Stimmeinsatz beschreiben können. Nun wandert sein bizarrer Stimmeinsatz durch ganz andere Sphären, mit dem neuen Projekt kommt auch noch Beatarbeit dazu, die sich einen Südstaaten-Sound jenseits von Atlanta aneignet.

Ein ganzes Ensemble an Produzenten tritt auf, besonders markant bleiben Supah Mario, Wheezy, T-Minus und JetsonMadeIt im Kopf. Alle verstehen zwar, wie klassischer YSL-Sound funktioniert: Treibende, melodische Bässe gegen Ambience-Wände, dazwischen Lo-Fi-Synthesizer-Arpeggios und Samples, die durch die Soundkulissen schneiden. Trotzdem hebt es sich von der schwerelosen Unterwasser-Atmosphäre ab, die Thug und Gunna in den letzten Jahren mit "Drip Or Drown 2" oder "So Much Fun" etabliert haben. Statt gleitenden, unterkühlten Drumpatterns klingt "Trapped On Cleveland 3" roher, viele Elemente kommen mit starkem, perkussiven Einschlag daher.

Eine Energie, die Keed zugute kommt, denn in den besten Momente spielt der mit Gusto auf. Ein Highlight ist "Fox 5" mit Gunna: Getragen von einem der originellsten Vocalsample-Flips in jüngerer Vergangenheit entwickelt dieser Song einen interessanten, polternden Groove. Gute Kulisse für Keed, seine dutzend Stimmen aufzufahren. Hier ist er Thug spürbar am ähnlichsten, seine ohnehin eigenwillige Stimme überschlägt sich, mal flüstert er, dann grollt er. Es gibt Geschrei, Falsetto, so ziemlich jedes Geräusch, das ein Mensch machen kann, wird hier in irgendeine Art Flow übersetzt. Prominent bleibt seine höhere Stimmlage in Szene gesetzt, doch die Menge an Variation erlebt auf dieser Platte ein neues Hoch.

Wie gut das funktioniert, um sonst manchmal monotonen Trap-Beats ziemlich viel Dramaturgie abzugewinnen, zeigt sich auf Nummern wie "Repaid", "Trippin" oder "Wavy" - so bizarr Keeds Stimm-Wirrwarr manchmal klingt, irgendwann lässt man sich darauf ein, sich von seiner schrägen Art des Vortrags durch die Songs leiten zu lassen. Manche Verses fühlen sich zwischendurch klobig und klumpfüßig an, aber doch lösen sie sich immer wieder in perfekt eingängige Patterns auf, die in noch schmissigere Hooks überleiten.

Keeds Flow ist aber nicht nur ein Instrument für den Spannungsbogen, sondern auch ein Vehikel für die Stimmung und Gefühle der Songs. "Cold Word", "Grandparents" und "Repaid" setzen Highlights. Ersterer erinnert instrumental sehr an "Sold Out Dates" von Lil Baby und Gunna – und wird der melancholischen Energie dieses modernen Trap-Klassikers gerecht. Im letzten Drittel fokussiert sich Keed thematisch auf Druck und den Verpflichtungen seines neuen Lebens, hadert mit den Erwartungen seiner alten Freunde und den Ängsten, diese zu enttäuschen. Was textlich nicht ausgesprochen wird, kommuniziert er über seine drängende, klaustrophobische Stimmlage.

Einzig manche Features lassen Biss vermissen. Young Thug schaut für zwei Kollaborationen vorbei, findet aber keine direkte Verbindung mit seinem offensichtlichen Spross. Auch Ty Dolla Sign klingt trotz einer aberwitzigen Line ("She know Dolla hundred percent, straight drop / I done made some bags off K-pop/") uninspiriert. Gastbeiträge von Lil Baby, 42 Dugg und Travis Scott klingen energetischer, aber irgendwie agiert Keed stimmlich eh so vielseitig, dass man sich die prominente Gästeliste gar nicht dringend gewünscht hätte. Besser wäre es gewesen, stattdessen ein paar Tracks vom Tape abzuziehen, um die Stunde Hörzeit schlanker zu gestalten.

Trotz etwas viel Fett an "Trapped On Cleveland 3" steht die Platte als eindrucksvolles Dokument dessen, was Lil Keed in seinem eigenen Mojo leisten kann. Der Thug-Einfluss ist extrem spürbar, aber trotzdem würde Thug kein Album wie dieses abliefern, weil die Atmosphäre, die Stimmung und der etwas über Atlanta reichende Sound letzten Endes typisch Keed ist. Man muss etwas Grundsympathie für das Camp mitbringen, aber genau wie Gunna vertieft auch Keed dessen Katalog mit psychedelischen, emotionalen Trap-Songs, die absolut für sich alleine stehen können.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Obama Coupe
  3. 3. Trippin
  4. 4. Tighten Up
  5. 5. Kiss Em Peace (feat. Young Thug)
  6. 6. Fox 5 (feat. Gunna)
  7. 7. Cold World
  8. 8. She Know (feat. Lil Baby)
  9. 9. Wavy Remix (feat. Travis Scott)
  10. 10. Traplanta
  11. 11. Don't Stop (feat. Ty Dolla $ign)
  12. 12. Hibachi (feat. Young Thug)
  13. 13. Repaid
  14. 14. Heartbreaker
  15. 15. Twisted (feat. 42 Dugg)
  16. 16. Grandparents
  17. 17. Zaza (feat. Future)
  18. 18. Why
  19. 19. Here

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