laut.de-Kritik
Alter Wein in neuen Schläuchen, aber immer noch gute Jahrgänge.
Review von Philipp Kause"Nachts Scheint Die Sonne", "weil du endlich wieder einmal bei mir bist / weil du wieder zärtlich meine Lippen küsst / und weil du endlich wieder bei mir liegst", so einfach gestaltet sich die Welt bei Michael Holm. Was bei Drews das "Bett im Kornfeld", war bei dem bayerischen Songwriter "Tränen Lügen Nicht" - ein Über-Hit, eine Melodie mit Breitenwirkung übers Schlager-Genre hinaus, ein Evergreen über Jahrzehnte. Holm verzeichnet viele Hits mit vielen Küssen auf unzähligen Lippen. Etliche als Interpret, noch viele mehr als Autor für andere - also ordentlich Masse! "Holm 80" sind zwar keine 80 CDs (halb so viele bekäme man randvoll), dafür fragte sich der kreative Kopf: Wie würde er selbst seine Lieder heute zum 80. Geburtstag aufnehmen?
Wer volle 80 Minuten Holm-Dröhnung braucht, kann zur Deluxe-Version von "Holm 80" greifen, eine kürzere Standardausgabe legt mehr den Fokus auf Gäste wie Michelle, Andreas Gabalier, Otto Waalkes, der selbst gerade runden Geburtstag feiert - immerhin ein buntes Aufgebot!
Besagtes "Nachts Scheint Die Sonne" ist ein ganz typisches Holm-Lied. Dezent Country-eingefärbter, absolut Karaoke-tauglicher Pop mit glatt geschliffenen Zeilen, die wie eine Regieanweisung für einen Clip-Dreh ganz klare eindeutige und einfache Bilder vor Augen zaubern. Michael Holm nahm ab 1969 regelmäßig Platten auf. Der späteren Disco-Welle mit ihren Flach-Ausläufern ins Mitgrölbare der Marken Boney M und "YMCA" legte Holm den Grundstein. "Nachts Scheint Die Sonne" entstand 1971 mit dem Giorgio Moroder, einem seiner besten Kumpel im Musikbusiness. Recht viel anders hört sich selbiger Liebes-Schlager auch heute nicht an: "Nachts Scheint Die Sonne Version 2023".
Das Lied hatte damals eine pfiffige B-Seite, die auch zur Geschichte gehört und viel über den Sänger verrät: "Smog In Frankfurt", was hier auf "Holm 80" fehlt, war seinerzeit subversiv. 1971 verlegten Holm und Moroder das Liebesgeknutsche zumindest auf der Vinyl-Rückseite kurzerhand ins düstere Szenario zwischen saurem Regen, erhöhten Ozonwerten und Feinstaub-Partikeln. Michael Holm klang dabei völlig selbstverständlich, Jahre vor Ölkrise, Umweltbewegung und Katalysatoren - als erklärter Stockkonservativer. Musikjournalismus bemüht sich ja meistens um die Renegades, die Rebellen, die Outlaws und ewigen 'Leftists', linke Idealist:innen, die die Welt gerechter machen wollen. Gerade der Schlager, schon von der Genre-Idee her eher rustikal-behäbig, nah am Bewahrenden und Harmoniesüchtigen, outet sich aber seltenst in einer gesellschaftlichen Haltung, suhlt sich im Apolitischen. Bei Michael Holm finden sich dagegen immer wieder klare Haltungen inmitten des Liebesgesäusels.
Musikalisch positioniert er sich aktuell im Ansatz, mit der Zeit zu gehen. Neu oben drauf geklatscht finden sich auf fast sämtlichen Tracks Stampf-Beats, die wie ein Ei dem andern gleichen. Das muss man wohl hinnehmen, wenn Senioren aktuell wirken wollen, siehe Michael Bolton - kein deutsches Schlager-Phänomen, sondern eine internationale Unsicherheit im Produzieren.
Umso überraschender fängt Holm sogar mich trotz meiner Folktronic-Allergie mit der hyper-hippen Neuauflage "Baby, Du Bist Nicht Allein ft. Michelle" ein. Dieser Milky Chance-Verschnitt mit süßen Vocal Effects hat Klasse, muss ich anerkennen. Erstaunlich gut gehen sogar die Dance-Beats in "Giorgio Und Ich" auf, wohl gerade weil in Holm immer eine Spur Moroder-Groove schlummerte. Fragwürdig hingegen ist das Gießkannenprinzip: Dem Tex Mex-Klassiker "Mendocino" Stakkato-Beats zu spendieren, passt überhaupt nicht. Beide neuen Versionen wirken wie Discounter-Remixes: 'Hier kommt Ihr '100-Remixes-zum-Paketpreis'-DJ und mastert Songs palettenweise, bitte bedienen Sie sich selbst, Herr Holm.' - Und der Holm, Sparfuchs vor dem Herrn, schnappt zu. Schlager-Plug-Ins zwanghaft auf ZZ Top-Gitarren zu trimmen und die Riffs ungelenk hie und da dazwischen bratzeln zu lassen, führt in der "Mendocino Version 2023" dann zum Tiefpunkt der Scheibe. Auch Zuckriges mit Spoken Word-Passagen zu überquatschen und als "Wart Auf Mich Version 2023" zu editieren, hätt's nicht gebraucht.
Wo die Spoken-Parts dagegen wieder passen und sich ganz nett anlassen, ist in "Dänen Lügen Nicht ft. Otto Waalkes", wobei mehr der Otto den Michael featuret. "Du machst dich an eine Dänin ran / da kommt ihr Freund und droht dir Prügel an. / Schau im Krankenhaus, im Spiegel dein Gesicht - und du siehst ein: Dänen lügen nicht." Das umgetextete Cover mit heimeliger Mundharmonika und persiflierender Lautmalerei entspricht typischem Waalkes-Humor. Wer dem nie etwas abgewinnen konnte, wird diesen Track so albern wie überflüssig finden. Er beweist aber, was für ein musikalischer Comedian Otto selbst in ideenarmen Momenten wie hier ist - eine Allrounder-Qualität, die vielen heute fehlt, deren einzige Waffe vulgäre Wortwitze sind. Am Ende der neuen Version kommt es zu einem saloppen Dialog zwischen Michael und Otto, und auch ein klitzekleiner Jodler peppt den Schmalz des Stückes auf.
Davon gibt's noch zwei neue Fassungen: "Tränen Lügen Nicht ft. Ramon Roselly, Mickie Krause, Der deutsche Schlagerchor" entlarvt "Tränen Lügen Nicht" als situativen Song, der in manchem Rahmen einfach zündet. Angeheitert in einer vollen Kneipe oder einem Bierzelt wird man die eingängige Komposition lieben. Die Gäste legen viel Ausdruck und Anmut hinein. Dagegen reißt eine Solo-Version am Piano ("Tränen Lügen Nicht Version 2023") verblüffend weniger mit.
Mehr Schmatz als Schmalz offeriert das schmissige "Nur Ein Kuss Maddalena Version 2023" mit der Weisheit "Es ist keine Sünde, im Sommer glücklich zu sein." Holm belegt seine Vorliebe für gehobenes Tempo und sein Faible fürs Thema Küsse, und demonstriert noch was Typisches: Der 1943 Geborene konnte mit Hippie-Kult und Kommunen-Sex herzlich wenig anfangen. Er machte Musik für Bravo-Leser:innen, hätte mit seinen Lobeshymnen auf Treue und Beständigkeit - so wie bei Maddalena - jedoch nie als verständnisvoller Dr. Sommer getaugt.
Jenseits der progressiven Beziehungs-Tendenzen einer Jane Birkin gab's auch in der Musik der Nachbarländer Anfang der '70er viel Bieder-Pop, insbesondere in England, auch wenn sogar der von der damaligen deutschen Großeltern-Generation als aufrührerisch verstanden wurde. Der Michael machte daraus ein Geschäft und übersetzte regelmäßig aktuelle Hits zeitnah ins Deutsche, um sie von der 'schmutzigen' Sprache des Rock'n'Roll und im Übrigen von der Sprache der Besatzungsmächte (in weiten Teilen der BRD) rein zu waschen. Nur auf Deutsch kam man 1973 ins ZDF. Lobos "Baby, I'd Love You To Want Me" hieß dann, wie immer bei Holm frei übersetzt, "Baby, Du Bist Nicht Alleine". Streichergestützt, mit fettem Schlagzeug und mit Mickie Krause ganz sinnlich, "oh, Baby", hört sich die erste neue Fassung interessant bis schräg an. Die andere mit Holm solo bietet sein warmes Charmeur-Raunen in Glitzer-Arrangement. Der Michael bleibt halt der Typ 'Gentleman alter Schule'.
Entsprechend hätten sich sowieso früher schon längst Duette angeboten, das unterhaltsame "Wart Auf Mich ft. Alexandra Rotan" flutscht jedenfalls und profitiert vom niedlichen Akzent der norwegischen ESC-Ex-Kandidatin. Bester Wurf ist auf jeden Fall "Musst Du jetzt grade gehen, Lucille ft. Andreas Gabalier". Origineller als das Original, hat Holms Fassung der Country-Schnulze einen lebendigen Text, der dramaturgisch gut durch die Minuten führt und den er überzeugend vorträgt. "Die Tür ging auf, und ein Mann trat zu ihr / er war groß und so breit wie ein Bär / ich dachte, dass ich nun meine Zähne verlier / doch der Blick seiner Augen war leer / Er stand, und ich sah seine Hände, die zittern."
"Holm 80" beherbergt weitaus mehr Unterhaltungstalent als das Werk eines Hansi Hinterseer oder Andy Borg, und diese CD abzuspielen ist auch keine schläfrige Veranstaltung, selbst wenn sie nur gut gealterten Wein in neuen Schläuchen präsentiert. Holm referierte auf verschiedene Strömungen in der Musik und verlegte sich 15 Jahre seines Schaffens auf Relax-Instrumentals wie "Montezuma" mit dem Projekt Cusco. Aus den seichten Gewässern seines Genres sticht er als Profi mit offenen Ohren heraus, der ein gutes Gespür für Melodien und Sprachbilder hat. Auch wenn man seinen Geschmack nicht teilt, kann man von ihm über Timing und Vortragstechnik einiges lernen. Einfache Kost, guter Mann.
7 Kommentare
Stand dieses Jahr mal mit Michael Holm auf der Bühne und der scheint auf mich ein sehr sympathischer, umgänglicher Typ zu sein und geht mit seinen 80 Jahren auf der Bühne noch ab wie Schmidts Katze
Olm
Holmholmholmholmholmholmholmholmachtzig
… Er beweist aber, was für ein musikalischer Comedian Otto selbst in ideenarmen Momenten wie hier ist…
Ottos Fähigkeiten an der Gitarre wurden schon immer ausgeklammert, großer Fehler.
Jedes Mal, wenn in einer Rezi die Bezeichnung "Folktronic" verwendet wird, beißt Felix Rennefeld irgendwo auf diesem Planeten griesgrämig in einen Toast Hawaii, weil er sich damals für sein Alexander Marcus-Shtick stattdessen auf "Electrolore" eingeschossen hat.
Ach, warum wird alles so verbumsmuckesiert....