75.000 Fans feiern mit Ed Sheeran, K.I.Z, Bring Me The Horizon, Deichkind, Avril Lavigne, Turnstile, Ski Aggu, Feine Sahne Fischfilet u.v.a.
Scheeßel (laut) - Nach Rock am Ring und Rock im Park vor zwei Wochen feiern erneut Zehntausende Fans übers Wochenende bei Deutschlands größten Open Airs: Beim Hurricane Festival am Eichenring wurden dem Veranstalter zufolge 75.000 der fast 80.000 verfügbaren Tickets verkauft. Das Schwesterfestival Southside im Süden ist derweil mit 65.000 Fans ausverkauft.
Man könnte das Hurricane auch einfach umbenennen: in 'Hailstorm' oder 'Thunderstorm' zum Beispiel. Denn pünktlich zum dritten Juni-Wochenende zeigt sich der Sommer mal wieder von seiner wechselhaften Seite. Zum offiziellen Festivalstart regnet es zwar, die Fans könnten aber noch mit einem blauen Auge davon kommen.
"Ladies only moshpit"
Denn Wetter ist hier ja immer Thema, selbst, wenn es für die Stimmung eigentlich keine Rolle spielt. Vor allem gäbe es sonst das #Hurricaneswimteam nicht, die um 15 Uhr als erster Act mit ihrer neuen EP den offiziellen Startschuss geben. Auf der Main Stage versteht sich. Anlass der Bandgründung war das sehr nasse Hurricane 2016. Die Gitter, die das Gelände noch absperren, werden geöffnet. Die ersten Festivalgäste strömen, ja, rennen teils in Richtung Bühnen. Darunter bereits welche, die erst viel später bei Ed Sheeran in der ersten Reihe stehen wollen.
Nach Swim-Team heißt eine der ersten Bands des Tages Frank Carter & The Rattlesnakes. Und die Punkrocker liefern ab, obwohl sich der jüngere Teil des Publikums schon vor der Nebenbühne drängt, um Ski Aggu zu erleben. Das stört die Briten aber wenig. Frank hält es, wie gewohnt, nicht lange auf der Bühne und nimmt ein Bad im Publikum. Als er zum "Ladies only moshpit" auffordert und einen "Safe place for women" einfordert, bildet sich eine große Traube tanzender Frauen vor der Bühne.
Ski Aggu landet im Raumschiff
Während dort noch freudig getanzt wird, landet Ski Aggu mit seinem DJ in einem Raumschiff auf der River Stage. Eigener Aussage zufolge vor seinem bisher größten Publikum. Der Blick aufs Regenradar verrät, dass die anrollenden Gewitterzellen zum größten Teil in richtung Bremen abziehen. Das Wetter hält also noch, und so fällt der Weg zur Mountain Stage leicht, wo Me First And The Gimme Gimmes auf viele Alt-Punks und Ü40-Publikum treffen. Spike Slawson überrascht mit Ansagen auf Deutsch und bietet zum Intro gar einen deutschen Country-Klassiker. "The next one is a cover" - wie üblich. An der Gitarre unterstützt übrigens von CJ Ramone von den Ramones.
Bei den großartigen Idles beginnen die ersten Fans, sich mit Capes, Schirmen und Plastiktüten gegen die drohenden Regenmassen zu wappnen. Die lassen zwar noch auf sich warten, aber wer im Anschluss The Kooks sehen will, steht bald teils knöcheltief im Schlamm. Starkregenschauer sorgen nun für kurze Unterbrechungen. Immerhin bleibt es bei 20 Grad relativ warm. In der Zwischenzeit stellen besonders die männlichen Konzertgänger heraus, dass Pyrotechnik tatsächlich kein Verbrechen darstelle. Leider können The Kooks am Ende nicht spielen, der Regen hat Bühnentechnik und Instrumente beschädigt.
Der Topstar am Freitag: Ed Sheeran
Den Übergang von den Nachmittagsshows zu den Freitags-Headlinern besorgen The National: Kurz bevor die Amerikaner die Bühne betreten, zeigt eine Backstage-Kamera deren Handshake mit dem gerade eingetroffenen Ed Sheeran. Die Reaktion des Publikums lässt erahnen, welche Massen Ed Sheeran gleich anziehen wird. Das Warten seiner Fans zahlt sich dann aus. Ed eröffnet mit einer kleinen Pyro-Show und hat die Menge direkt im Griff. Der Regen hat sich mittlerweile längst verzogen und weicht einem wahren Lichtermeer. Ein wunderbarer Tagesabschluss.
Alle haben Bock!
Auf das Unwetter am Freitag folgt der perfekte Festivaltag. Der Regen hat seine Spuren hinterlassen, aber der Samstag startet lau und lockt die Besucher früh auf das Festivalgelände. Schon beim Stimmen der Instrumente für Team Scheisse wird klar: Alle haben Bock. Während die Band Soundschnipsel für das Fine-tuning der Technik nutzt, skandiert das Publikum bereits "Zugabe, Zugabe!". Mit einer wichtigen Ansage hinsichtlich korrektem Verhalten und Rücksicht im Pogo geht es dann auch schon direkt in die eigentliche Show. Nahezu zeitgleich spielt der britische Pop-Hype Last Dinner Party vor einer beeindruckend großen Menge auf der White Stage im Zelt. Dort treffen sie mit teils theatralischen Balladen auf ein enorm tanzwütiges Publikum.
Generell zeigt die Crowd heute, dass sie feiern möchte. Nach den Schauern vom Vortag tut das Wetter sein Übriges: Die Sonne sorgt für beste Open Air-Stimmung. Beim Gig von Bombay Bicycle Club strahlt die Sonne geradezu, und die Menge badet im satten Sound der Indie-Rocker. Die Briten strahlen extrem viel Spielfreude aus und treffen auf ein bestens gelauntes Publikum. Heute passt einfach alles zusammen.
Als kurze Zeit später die Leoniden auf der Forest Stage betreten, ist das Gelände gut gefüllt. Die artistischen Einlagen des Gitarristen, die Interaktionen mit dem Publikum und die Kraft der Songs machen aus dem Auftritt einen großen Festivalmoment. Begleitet von kleinen Pyro-Einlagen in der Nachmittagssonne mischen die Leoniden noch Coversongs und Medleys unter die Playlist, "Teenage Dirtbag" von Wheatus bleibt dem Publikum noch lange im Ohr. Derweil breiten sich die Besucher:innen auf dem ganzen Gelände aus. Leute liegen auf den mehr oder weniger getrockneten Rasenflächen und genießen die Sonne bei um die 20 Grad. Perfekt.
Turnstile und The Hives geben Gas
Als Vertreter der The-Bands geht es zu The Hives. Im gewohnten Einheitslook heizen die fünf Schweden ordentlich ein. Wer so viel Energie mit auf die Bühne bringt, kann im Hintergrund nur auf echte Ninjas setzen. Und so begleiten eine Reihe gut getarnter Rowdies die Ausflüge von Almqvist und Co. ins Publikum, reichen Gitarren, entwirren das ein oder andere Kabelknäuel, das Pelle bei seinen Ausflügen ins Publikum verursacht. Mit Turnstile folgt ein weiteres Highlight. Der Circle-Pit steht bereit. Es wird schweißtreibend, nicht nur für den Sänger Brendan Yates, der die komplette Bühne für seine Sprungeinlagen nutzt.
Ein Highlight namens K.I.Z
Vor der River Stage wird dann eng: Mit Avril Lavigne steht ein Topact auf dem Programm, der viele nostalgische Erinnerungen weckt. Neben ein paar neuen Songs finden sich vor allem Hits der frühen 2000er im Set. Gegen Ende der Show ist der Weg nicht weit zur Nachbarbühne, auf der K.I.Z für viele als absolutes Tageshighlight ansteht. Einen Tag nach der Veröffentlichung ihres neuen Albums "Görlitzer Park" spielt die Band quasi eine Releaseshow, begleitet von großen Showelementen. Alles wie immer bei K.I.Z und dabei auch schön laut.
Zwei Tage in den Knochen - aber es wird laut!
Ein letzter, dafür wieder perfekter Festivaltag mit Sonne und 20 Grad bahnt sich an, schenkt man seiner Wetter-App Glauben. Den Gesichtern sieht man vereinzelt an, dass dem Publikum schon zwei Tage in den Knochen stecken, lässt man den Blick vor dem Auftritt von Paula Carolina schweifen. Band und Fans sind dennoch bereit – und spätestens beim Ärzte-Cover "Junge" wird es richtig laut auf dem Gelände.
Auf der Nebenbühne machen sich die Editors bereit. Zur Freude des Publikums spielen sie viele alte Hits, die sie zu ihrer Hochzeit hier noch im Abendprogramm spielen durften. Beim Akustikintro von "Smokers Outside The Hospital Doors" muss sich unser Fotograf die eine oder andere Träne verdrücken. Zu schön. Zum Ausklang von "Papillon" gehts rüber zur Mainstage. Kontrastprogramm mit Feine Sahne Fischfilet - dafür nicht weniger emotional.
Komplett im Arsch - und in Urlaubsstimmung
Deutschpunk zieht auch in diesem Jahr. Und so können sich Adam Angst der Unterstützung des Publikums ebenso sicher sein wie nun Feine Sahne Fischfilet. Beide Bands, bekannt für ihre politischen Texte und eingängigen Melodien, begeisteren das Publikum, das lauthals mitsingt. Feine Sahne Fischfilet bringen die Menge mit kämpferischen Hymnen und elektrisierender Bühnenshow zum Toben. Wie im Rausch wird im Publikum ein Rauchtopf nach dem anderen geöffnet, und die Band feiert die Bengalos wie bei einem Heimspiel von Hansa. Bierduschen für Monchi und das Publikum fehlen ebenfalls nicht, aber es gibt auch Gänsehautmomente, als Monchis Eltern für einen Discofox zu einem Song über die Abrechnung mit seiner Jugend die Bühne betreten.
Wie schafft man den Sprung von Deutschpunk zu Italo-Pop? Im Zweifel mit dem ein oder anderen Bier auf dem Weg zur River Stage. Der Festivalauftritt von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys fühlt sich an wie ein Kurztrip in den Süden, bei dem die Band mit sommerlichen Italo-Schlagern das Publikum sofort in Urlaubsstimmung versetzt.
"Thank you for the Soundtrack of my youth"
Ein ähnliches Duo wie zuvor Adam Angst und Feine Sahne bieten die nun folgenden Sum 41 und The Offspring: College- und Skater-Punk vom Feinsten, der Jung und Alt vor der Bühne vereint. Die Pole Position hatte Sum 41 gebucht. Ihre Playlist, gespickt mit Hits, führt die Kanadier durch ein Vierteljahrhundert Bandgeschichte. Mit "We Will Rock You" bleibt sogar noch Platz für eine Queen-Hommage. Noch mehr Zuschauer ziehen dann The Offspring: Unzählige Handys werden gezückt.
Hört ihr die Signale? Die Saufsignale?
Wer jetzt noch Energie übrig hat, muss sie sich extrem gut eingeteilt und für deutsche Elektropunker aufgespart haben. Den Abschluss auf der zweitgrößten Bühne macht die Festivalband schlechthin: Deichkind gastieren mit ihrem Wanderzirkus in Scheeßel und haben einen Haufen Spielzeug dabei. Neben einem Ständchen für Geburtstagskind Sven haben sie auch den brandneue Song "Könnt Ihr Noch?" im Gepäck. Die Hitdichte der Hamburger ist enorm, das Publikum extrem textsicher. Ein Umstand, den sich Deichkind mit mittlerweile acht Studioalben und unzähligen Liveauftritten hart erarbeitet haben.
Während Deichkind noch spielt, ertönt der durchdringende Bass von Bring Me The Horizon. Für viele folgt nun quasi ein Gottesdienst - nicht nur aufgrund der an eine Kathedralen angelehnten Visuals. Die zum größten Teil jungen Frauen in den ersten Reihen rasten aus, als der charismatische Oli Sykes die Bühne betritt und energiegeladen, theatralisch und vor allem laut, das diesjährige Hurricane beschließt.
Das Hurricane war einmal der Beweis dafür, dass Musik Menschen zusammenbringen kann: Von mitreißenden Headliner:innen über überraschende Neulinge bis hin zu magischen Momenten auf dem Campingplatz – dieses Jahr hatte wieder alles. Mit dem Klang der Gitarren im Ohr geht es nach Haus, und wir wissen, dass wir nächstes Jahr wiederkommen wollen. Danke, Hurricane!
Hurricane 2025
Das nächste Hurricane findet vom 20. bis 22. Juni 2025 statt. Der Vorverkauf mit einem limitierten Frühbucherkontingent ab 199 Euro startet morgen, am Dienstag, 25. Juni (um 12 Uhr). Erste Acts sollen demnächst veröffentlicht werden.
Fotos und Text: Björn Buddenbohm und Jan-Philipp Horstmann.
3 Kommentare mit einer Antwort
Ski Aggu oder Idles? Wann steht das denn fest?
Dieser Kommentar wurde vor 6 Monaten durch den Autor entfernt.
Langsam merke ich echt, dass ich alt werde. Hab nach dem Anschauen der Bilder echt gar kein Bock mehr auf Festivals. Fast nur totgespielte Bands aus den letzten 20 Jahren, dazu dann verkleidete, angestrengt-lustige Leute, die am Montag, spätestens Dienstag wieder die Knöpfe ihrer ERP-Software drücken.
Festivals sind definitiv eine von den Sachen, die man sich als "alter Sack" lustiger vorstellt, als sie (für alte Säcke) in Wirklichkeit ist.